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Nach Partei-Konvent in MagdeburgWie völkisch ist die AfD im NRW-Landtag und im Kölner Stadtrat?

Lesezeit 4 Minuten
Das Parteilogo ist beim AfD-Bundesparteitag in der Magdeburger Messe zu sehen.

Auf dem AfD-Bundesparteitag in Magdeburg wurden laut Verfassungsschutz „rechtsextremistische Verschwörungstheorien“ verbreitet. Delegierte aus NRW gaben sich zurückhaltend.

Rechtsnational, identitär, die Reden auf dem AfD-Parteitag in Magdeburg waren maßlos. Wie tönt das Partei-Personal im Landtag und im Kölner Rat?

Bei der AfD wurde in der politischen Sommerpause in Düsseldorf mal so richtig modernisiert. Nicht beim Programm, sondern dem Fraktionssaal im Landtag: Unter anderem waren neue Möbel fällig. Wurde bei der AfD zu oft auf den Tisch gehauen?

Nein, das Alter. Und tatsächlich geben sich die Rechtspopulisten im Landtag ziemlich gesittet – was nach den extremen Parolen auf dem Bundesparteitag und dem teils radikalen Personaltableau für die Europawahl überrascht. Wie „völkisch“ ist also die AfD in NRW?

„Die AfD NRW kann insgesamt als vergleichsweise moderater Landesverband eingestuft werden“, sagt der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Stefan Marschall von der Heinrich-Heine-Universität. Aber, so Marschall: „Gleichzeitig gibt es laut NRW-Verfassungsschutz innerhalb des Landesverbandes Strömungen und Tendenzen, die als verfassungsfeindlich eingestuft werden. Ob der NRW-Landesverband sich gegen den Gesamttrend in der Partei langfristig wird stemmen können, ist fraglich.“

Nur die Euskirchenerin Irmhild Boßdorf wurde öffentlich wahrgenommen – dank krasser Aussagen

Plastisch wurde das bei besagtem Parteikonvent am Wochenende in Magdeburg. Aus NRW reisten 99 Delegierte in den Osten. Damit stellte der Landesverband fast jeden sechsten Teilnehmer. Öffentlich wahrgenommen wurde am Ende praktisch nur die Politikerin Irmhild Boßdorf vom Kreisverband Euskirchen. Die ehemalige Pressesprecherin der Partei in NRW forderte in ihrer Bewerbungsrede um einen Listenplatz eine „millionenfache Remigration“. Das ist Vokabular der „Identitären Bewegung“. Boßdorf sagte zudem, man müsse eher als den menschengemachten Klimawandel den „menschengemachten Bevölkerungswandel“ fürchten.

Irmhild Boßdorf, Bewerberin um einen Listenplatz der AfD für die Europawahl, spricht auf der AfD-Europawahlversammlung in der Messe Magdeburg. Sie trägt Brille und eine weiße Bluse und steht am Rednerpult vor der blauen Kulisse.

Zwar waren 99 Delegierte aus NRW nach Magdeburg gereist, aber nur die Euskirchenerin Irmhild Boßdorf schaffte es mit identitären Äußerungen in die öffentliche Wahrnehmung.

Das ist alles andere als moderat. Aber Außenseiterin Boßdorf landete offenkundig dank ihrer krassen Aussagen auf dem guten Listenplatz 9. Sie könnte mit Kandidaten ins EU-Parlament einziehen, die laut Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang „in der Vergangenheit mit Positionen aufgefallen sind, die nicht mit unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar sind“.

Ein Fünftel der Mitglieder in NRW werden dem ehemaligen „Flügel“ von Björn Höcke zugerechnet

Durch ein NRW-internes Duell mit dem ehemaligen Bergmann Guido Reil kam der AfD-Politiker Christian Blex in Magdeburg überraschend unter die Räder. Er war für einen vorderen Listenplatz ausgeguckt. Blex hatte im vergangenen Herbst Schlagzeilen gemacht, als er nach Russland gereist war. Er flog aus der Fraktion, ist aber noch in der Partei – und gilt als Vertrauter von Björn Höcke:. Dem Mann hinter der völkisch-nationalen Gruppierung „Der Flügel“ – offiziell schon länger aufgelöst.

Der fraktionslose Christian Blex bei der 12. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Er sitzt auf einem Sessel, trägt Anzug und Brille.

Christian Blex flog aus der Fraktion. Er als Vertrauter von Björn Höcke.

„Angaben des NRW-Verfassungsschutzes zufolge werden rund ein Fünftel der Mitglieder der NRW-AfD dem ehemaligen ‚Flügel‘ zugerechnet“, so Politologe Stefan Marschall gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Das sei deutlich weniger als der Anteil des „Flügels“ an der Mitgliedschaft der Gesamtpartei - und insbesondere in den ostdeutschen Landesverbänden.

Landesverbandschef Vincentz streckt der Brandmauer-CDU die Hand aus

An der Spitze der AfD in NRW steht ein Mann, der weit vom „Flügel“ entfernt ist: Martin Vincentz (37). Arzt und einst erfolgreicher Fechter. Kann sich der Landesverbandschef gegen die extremen Strömungen in der AfD erwehren?

Den Parteitag erlebte Vincentz nach eigenen Angaben als „effizient“, die darauf folgende Kandidatenkür sei „zunächst etwas schleppend“, dann aber „zügig und diszipliniert“ vonstattengegangen: „So konnten bisher 15 geeignete und starke Kandidaten aufgestellt werden“, so Vincentz. Das klingt diplomatisch und passt zu dem Politiker.

Der neugewählte Landesvorsitzende der AfD in Nordrhein-Westfalen, Martin Vincentz (M), freut sich mit seinem Vorgänger Rüdiger Lucassen (l) und dem Bundessprecher Tino Chrupalla über seine Wahl.

Martin Vincentz (M) nach seiner Wahl zum AfD-Landesvorsitzenden im Mai 2022. Neben ihm Vorgänger Rüdiger Lucassen (l.) und Bundessprecher Tino Chrupalla.

Er streckt der Brandmauer-CDU die Hand aus, sagte er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ zu einer möglichen Zusammenarbeit: „Sollte die CDU ihren konservativen und bürgerlichen Kern wiederentdecken, wäre dies möglich. Allerdings ist dies mit der Wüst-Merkel-CDU schwierig, da diese hauptsächlich links-grüne Politik betreibt. Auf kommunaler Ebene gibt es allerdings Möglichkeiten und in Sachfragen, die das Leben der Bürger verbessern, sind wir jederzeit gesprächsbereit.“

Im Kölner Rat spielt die AfD nur eine Nebenrolle

Apropos kommunale Ebene: Im Kölner Stadtrat spielt die AfD zwar nur eine Nebenrolle, manchmal stimmt die vierköpfige Fraktion aber auch mal für einen Antrag einer anderen Fraktion. Umgekehrt passiert das nie. Die AfD-Politiker sind im Stadtrat weitgehend isoliert. Von der politischen Ausrichtung versucht die Kölner AfD-Fraktion, sich einen bürgerlichen Anstrich zu geben. Insbesondere in letzter Zeit befassen sich die eigenen Anträge vor allem mit klassischen Konflikthemen, wie etwa den Verkehrsversuchen oder steigenden Mieten.

Auch im Landtag ist die AfD völlig alleine. Als die Fraktion einen Untersuchungsausschuss zur Rahmedetalbrücke forderte, gab es – wenig überraschend – keine Mehrheit. Als wenig später SPD und FDP einen Untersuchungsausschuss zum gleichen Thema beantragten, stimmte die AfD mit. Politik als Einbahnstraße: Während CDU, SPD, Grüne und FDP öfter fraktionsübergreifende Anträge einbringen, wird die AfD nie gefragt. Hier steht die Brandmauer der anderen Fraktionen tatsächlich.

Neben Martin Vincentz – der nicht nur Partei-, sondern auch Fraktionschef ist – sind noch mehr moderate Abgeordnete im Landtag vertreten. Die AfD muss auch gar nicht allzu lautstark oder extrem auftreten, sie grenzt sich schon so vom bürgerlichen Lager ab. „Dafür lässt ihr die CDU Raum, die durch die Regierungsverantwortung mit den Grünen und auch traditionell ein eher ‚linker‘ Landesverband in der Union ist“, so Politikwissenschaftler Marschall.

NRW-Chef Vincentz wurde in Magdeburg von AfD-Bundeschefin Alice Weidel übrigens in den höchsten Tönen gelobt: Jung und talentiert sei er. Seine Arbeit werde in NRW gebraucht – aber, so Weidel: „Ich muss ganz ehrlich sagen, ich würde mich auch freuen Martin Vincentz auch auf Bundesebene öfters mal anzutreffen.“ Der Angesprochene guckte etwas verlegen. Politiker aus anderen Strömungen der Partei wären vor Stolz wahrscheinlich geplatzt.