In NRW ist die Zahl der Fälle von häuslicher Gewalt um fast zehn Prozent angestiegen. Wiederholungstäter sollen mit Haft bedroht werden.
NRW-Justizminister will härtere StrafenMehr Fälle in NRW – „Häusliche Gewalt bedeutet jahrelange Folter“
Der Rettungswagen wurde am frühen Sonntagmorgen gerufen. In einem Mehrfamilienhaus in Neunkirchen-Seelscheid trafen die Sanitäter am vergangenen Wochenende eine 37-jährige Frau an, bei der sie schwere Verletzungen am Kopf und Würgemale feststellten. Polizei und Staatsanwaltschaft gehen nach derzeitigem Ermittlungsstand davon aus, dass der 35-jährige Ehemann der Täter war. Ihm wird gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Ein typischer Fall von häuslicher Gewalt. NRW-Justizminister Benjamin Limbach will jetzt noch konsequenter gegen die meist männlichen Täter vorgehen.
Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ plant der Grüne eine Bundesratsinitiative, um die Opfer von häuslicher Gewalt besser zu schützen. Gravierende Verstöße gegen eine richterliche Gewaltschutzanordnung sollen künftig schärfer bestraft werden können. Bei besonders schweren Verstößen gegen Kontaktverbote sollen dann Haftstrafen zwischen drei Monaten und fünf Jahren möglich sein.
Justizminister Limbach: „Für Wiederholungstäter heißt das Aussicht auf Haft“
„Häusliche Gewalt bedeutet für Betroffene meist jahrelange Folter“, sagte NRW-Justizminister Limbach unserer Zeitung. „Sie passiert viel zu häufig und in den eigenen vier Wänden, wo wir uns am sichersten fühlen. Hat eine Betroffene einmal die Kraft gefunden, den Teufelskreis zu durchbrechen, muss der Verstoß gegen eine Gewaltschutzanordnung direkte rechtliche Folgen haben“, sagte der Politiker aus Bonn. „Für Wiederholungstäter heißt das Aussicht auf Haft, wenn es zu einer erneuten Körperverletzung kommt“, so Limbach.
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Im Jahr 2022 wurden nach Angaben des Düsseldorfer Landeskriminalamts 58.603 Fälle von häuslicher Gewalt in NRW bekannt, das sind 9,7 Prozent mehr als im Jahr 2021. Insgesamt wurden dabei etwa 64.000 Menschen Opfer von Gewalt im häuslichen Umfeld. Bei mehr als der Hälfte der Delikte handelte es sich um vorsätzliche, einfache Körperverletzung. In 30 Prozent der Fälle waren Täter und Opfer miteinander verheiratet. In 54 Fällen endeten die Übergriffe tödlich.
Haftstrafen sollen Täter abschrecken
Im NRW-Justizministerium hieß es, man verspreche sich von der gesetzlichen Änderung „eine effektivere Durchbrechung gefährlicher Gewaltspiralen“ und zugleich präventiv auch eine stärkere abschreckende Wirkung. Gewaltschutzanordnungen ergehen, um Opfer vor weiteren Übergriffen zu schützen. So wird den Tätern beispielsweise gerichtlich verboten, die Wohnung einer Person aufzusuchen oder sich ihr innerhalb eines bestimmten Umkreises zu nähern.
Aber nicht alle Täter halten sich die Anordnung. Es gebe eine „kleine, aber signifikante Gruppe“ von Aggressoren, die sich von Ordnungsgeldern und Ermittlungsverfahren nicht abschrecken ließen. Ihr Verhalten könne nur durch konsequente Maßnahmen durchbrochen werden. Dazu zählt Limbach die Aussicht auf eine mögliche Inhaftierung.
Mit seinem Vorstoß will der Grüne jetzt eine im April 2024 verabschiedete Richtlinie der EU zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt umsetzen. Danach müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Verstöße gegen Eilschutzanordnungen, Kontakt- und Näherungsverbote oder Schutzanordnungen mit „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen“ geahndet werden können.
Polizei kann Täter festnehmen
Sicherheitsexperten halten den bisherigen Schutz der Opfer für unzureichend. So kann die Polizei erst dann tätig werden, wenn eine „gegenwärtige Gefahr“ gegeben ist, weil die Gewalt bereits begonnen hat, andauert oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht. Bei Gefahr für Leben kann die Polizei eine „Wohnungswegweisung“ aussprechen – aber nur für zehn Tage.
Die neue Regelung würde den Schutz der Opfer deutlich ausweiten. Kommt es nach einem Kontaktverbot erneut zu körperlichen Übergriffen, wiederholten Drohungen oder wiederholten Versuchen, den Aufenthalt des Opfers ausfindig zu machen, kann die die Polizei den Täter vorläufig festnehmen und dem Haftrichter vorführen.
Iris Rotter, Fachbereichsleiterin der Gefährdetenhilfe beim Sozialdienst Katholischer Frauen in Köln, sieht die Limbach-Pläne positiv: „Wir begrüßen die Initiative der Landesregierung, weil sie für mehr Rechtssicherheit sorgt“, sagte Rotte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Gleichzeitig müssten Fälle von häuslicher Gewalt auch bei der geplanten Reform des Kindschaftsrechts im Bund mitgedacht werden: „Je nach Risiko muss dann auch ein Umgangsausschluss möglich sein.“