Dass eine junge Mutter aus einer gewalttätigen Beziehung flüchten will, aber keinen Platz findet, gehört in Köln und NRW zum Alltag.
Köln gegen den TrendImmer mehr Fälle häuslicher Gewalt in NRW – doch die Frauenhäuser sind voll
Für Margret Schnetgöke ist es eine alltägliche Situation, die sie am Telefon beschreibt. Am Vortag hatte eine Frau in der Frauenberatungsstelle in Köln angerufen, jung, Mutter von zwei Kindern. Sie berichtete von ihrem gewalttätigen Partner, darüber, wie er sie schon seit langer Zeit misshandelt, wie ihre Schwester sie ermutigte, sich endlich Hilfe zu suchen. Die Situation sei nicht mehr auszuhalten. „Ich will weg hier“, sagt die Frau am Telefon. „Was kann ich machen?“ Schnetgöke empfahl ihr die Flucht in ein Frauenhaus. Dort, sagte sie, könne sie erst einmal zur Ruhe kommen. „Im Umkreis von 100 Kilometern war jedoch nur ein einziger Platz frei. Ob sie ihn bekommen hat, weiß ich nicht.“
Das Bundeskriminalamt hat in dieser Woche seinen alljährlichen Lagebericht zu häuslicher Gewalt veröffentlicht. Der Bericht zeigt: Die Fälle häuslicher Gewalt steigen an, und zwar drastisch. Mitarbeiterinnen der Frauenberatungsstelle Köln und der Frauenhäuser hoffen, dass diese Zahlen aufrütteln: „Die Zahlen zeigen, dass es im Bereich des Gewaltschutzes noch viel zu tun gibt“, sagt eine Mitarbeiterin der Frauenhäuser.
Wie viele Menschen wurden im Jahr 2022 Opfer von häuslicher Gewalt?
Das Bundeskriminalamt (BKA) zählt 240.547 Opfer – 8,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Knapp zwei Drittel waren von Partnerschaftsgewalt betroffen, ein Drittel von innerfamiliärer Gewalt. Besonders stark war der Anstieg bei der Partnerschaftsgewalt: Hier verzeichnet das BKA einen Anstieg von 9,4 Prozent.
Welche Auffälligkeiten gibt es bei der Geschlechterverteilung?
Mehr als drei Viertel der Tatverdächtigen bei häuslicher Gewalt sind Männer, knapp ein Viertel sind Frauen. Bei der Unterkategorie Partnerschaftsgewalt sind vier von fünf Tätern männlich. Im Gegenzug sind die Opfer meist Frauen.
Wie ist der Anstieg zu erklären?
Eigentlich erwartete man den riesigen Anstieg in den Corona-Jahren 2020 und 2021. Den gab es damals zwar – doch im Jahr 2022 nahm die Zahl an Einsätzen wegen häuslicher Gewalt noch drastischer zu. Margret Schnetgöke sieht darin auch eine Corona-Nachwirkung: „Wenn die Zeiten schwieriger sind und der Stress größer, dann kommt es schneller zu Gewalt“, sagt sie. Auch der noch immer hohe Anteil an Homeoffice könne in die hohen Zahlen hineinspielen.
Einen weiteren Grund für die hohen Fallzahlen sieht Schnetgöke in der steigenden Sensibilisierung. „Das Dunkelfeld ist riesig“, sagt sie. Man habe ja nur die Daten von Fällen, bei denen die Polizei beteiligt war. „Während Corona wurde mehr über häusliche Gewalt gesprochen und das Thema enttabuisiert“, sagt sie. „Vielleicht hat das betroffene Frauen und Nachbarn ermutigt, bei Übergriffen die Polizei zu rufen.“
Wie entwickeln sich die Zahlen zu häuslicher Gewalt in NRW?
Auch in Nordrhein-Westfalen steigt die Zahl der polizeilich erfassten Fälle von häuslicher Gewalt stark an. Das Landeskriminalamt (LKA) verzeichnete für das Jahr 2022 33.700 Fälle – ein Anstieg von 9,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Ein ausführliches Lagebild zu häuslicher Gewalt wird das LKA im August oder September vorstellen.
Wie ist die Situation in Köln?
In Köln bleibt die Zahl die Einsätze zur häuslichen Gewalt eher konstant, seit 2021 geht sie sogar leicht zurück. „Die Zahlen hier in Köln decken sich nicht mit der Bundesstatistik“, sagt eine Sprecherin der Polizei Köln. Die Geschlechterverteilung sei in Köln jedoch ähnlich wie im Bundesschnitt: Circa 78 Prozent der Verdächtigen sind Männer, 22 Prozent Frauen.
Welche Einrichtungen in Köln bieten Schutz?
In Köln-Ehrenfeld beraten Mitarbeiterinnen von „FrauenLeben e. V.“ Frauen in psychischen und sozialen Notlagen. Zudem bieten zwei autonome Frauenhäuser Schutz für Frauen und ihre Kinder, die vor einem gewalttätigen Partner fliehen wollen. Die Frauenhäuser in Köln sind jedoch notorisch überlastet: Jedes Jahr weisen sie hunderte schutzsuchende Frauen ab, 2022 war an circa 98 Prozent der Tage keine Neuaufnahme möglich. „Wenn wir ein Frauenhaus morgens auf Grün schalten, ist mittags der Platz weg“, sagte eine Mitarbeiterin eines Kölner Frauenhauses dieser Zeitung bei einem Gespräch im Februar.
Der Sozialdienst Katholischer Männer (SKM) betreibt eine Beratungsstelle für Männer in der Kölner Innenstadt und bietet Schutzwohnungen für Männer, die von häuslicher Gewalt betroffen sind.
Welche Konsequenzen werden gefordert?
Schnetgöke fordert, das Hilfesystem für Frauen weiter auszustatten. „Wir brauchen eine gut ausgestattete Regelfinanzierung für die Frauenberatungsstellen“, sagt sie. Momentan müssen ihre Kolleginnen fast jedes Jahr von Neuem Anträge stellen und auf Förderung hoffen. Seit Jahren kämpft die Beratungsstelle gemeinsam mit den Frauenhäusern für die Einrichtung eines dritten Frauenhauses in Köln.
Um die Gewalt zu beenden, brauche es zudem mehr Prävention, begonnen in Kitas und Grundschulen. „Wir haben auch erschreckend hohe Zahlen bei Gewalt in Teenagerbeziehungen“, sagt Schnetgöke. „Es ist fatal, wenn in so jungen Jahren schon Gewalt als Mittel zur Macht ausgeübt wird.“ Gleichzeitig müsse es Anti-Gewalt-Angebote für Täter geben, wo sie lernen, ohne Gewalt mit Konflikten umzugehen.