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8100 Lehrer an Schulen mit Personalnot700 Alltagshelfer stehen Erstklässlern an NRW-Schulen zur Seite

Lesezeit 4 Minuten
ARCHIV - 18.08.2021, Nordrhein-Westfalen, Wuppertal: Erstklässler mit ihren Schultaschen warten bei der Einschulung auf den gemeinsamen Gang in ihr Klassenzimmer. Die Grundschulklassen sind in Nordrhein-Westfalen so groß wie in keinem anderen Bundesland. Der Landtag debattiert am Donnerstag über die Konsequenzen. (Zu dpa: «Landtag debattiert über volle Klassenzimmer in Grundschulen») Foto: Bernd Thissen/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Erstklässler mit ihren Schultaschen warten auf den gemeinsamen Gang in ihr Klassenzimmer. Durch den Einsatz von Alltagshelfern will das NRW-Schulministerium die Folgen des Lehrermangels abmildern. Foto: dpa

Abordnungen von Lehrern, weniger Teilzeit und mehr Alltagshelfer verbessern aus Sicht des NRW-Schulministeriums die Personallage an den Schulen.

Wie schlimm es um den Lehrermangel vor allem an den Grundschulen in NRW bestellt ist, mag man an der Dankbarkeit von René Wittinghofer ablesen, weil er nach mehreren Jahren vergeblicher Suche im Mai endlich einen neuen Kollegen bekommen hat, der freiwillig zumindest für zwei Jahre an der Otfried-Preußler-Gemeinschaftsgrundschule im Duisburger Norden unterrichten möchte.

„Ich bin froh, dass sich junge Kollegen in Schulen wagen, in denen es herausfordernde Situationen gibt“, sagt Schulleiter Wittinghofer. Der Neue „soll sich bei uns so wohlfühlen, dass er dauerhaft bleiben möchte. Aber zumindest mittelfristig kann ich jetzt ein bisschen besser planen.“ Seine Schule liegt in einem sozialen Brennpunkt. „Wir haben viele Kinder mit Zuwanderungsgeschichte und Sprachbarrieren. Wir sind keine reinen Wissensvermittler, sondern gestalten ein Stück weit den Lebensalltag der Kinder mit. Es ist ein herausforderndes Arbeiten.“

Mehr Lehrer in NRW helfen freiwillig in den Grundschulen aus

Wittinghofer sitzt an diesem Montag bei einem Pressegespräch im Düsseldorfer Landtag neben Schulministerin Dorothee Feller (CDU), die am ersten Schultag nach den Herbstferien eine Zwischenbilanz ihres Konzepts vom Dezember 2022 zieht, mit dem sie die Personalsituation an den Schulen in NRW verbessern und den Unterrichtsausfall bekämpfen möchte. „Wir werden das nicht von heute auf morgen ändern“, sagt die Ministerin. „Das ist ein Marathonlauf.“ Vor zehn Jahren sei alle Welt noch von sinkenden Schülerzahlen ausgegangen. Die Lehrerausbildung im Land dauere im Durchschnitt sieben Jahre. „Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, aber wir kommen Schritt für Schritt voran.“

Seit dem Frühjahr sei es gelungen, zusätzliches Personal durch befristete Abordnungen von zwei Jahren an die Schulen zu schicken, „die es besonders benötigen“. Erfreulich sei, „dass die Alltagshelferinnen und Alltagshelfer von den Schulen als wertvolle Unterstützung angenommen werden.“

16.10.2023, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Schulministerin Dorothee Feller (r) spricht bei einer Pressekonferenz zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung mit den Alltagshelferinnen Kübra Kacar (l) und Yvonne Dominas aus Gelsenkirchen-Schalke. Foto: Christoph Reichwein/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Schulministerin Dorothee Feller (r.) spricht bei einer Pressekonferenz zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung mit den Alltagshelferinnen Kübra Kacar (v.l.) und Yvonne Dominas von der Regenbogenschule in Gelsenkirchen-Schalke.

Im laufenden Schuljahr haben die Bezirksregierungen in NRW insgesamt 8129 Abordnungen ausgesprochen. Davon profitieren besonders die Grundschulen. Die Zahl der Lehrkräfte, die vorübergehend einen Teil oder komplett von einer anderen Schulform gewechselt sind, sei seit April um 205 auf 3553 gestiegen. 523 Lehrerinnen und Lehrer haben sich nach ihrer Neueinstellung in den Schuldienst bereit erklärt, an Schulen zu gehen, an denen die Personalnot besonders groß ist.

Die Alltagshelferinnen sind für die Schulen ein Segen

Aus Sicht der Schulministerin ist die Einstellung von Alltagshelferinnen und Helfern an Grund- und Förderschulen besonders gut angelaufen. Ihre Zahl hat sich seit Schuljahresbeginn von knapp 400, die damals vorgesehen waren, auf 700 erhöht. Aktuell seien weitere 35 Stellen ausgeschrieben. Alle werden auf unbesetzten Lehrerstellen eingesetzt, blockieren diese Stellen aber nicht. Die Bezirksregierungen haben die Steuerung übernommen.

Wir haben in ersten Klassen jeweils 25 bis 26 Kinder, von denen etwa zehn weder Deutsch sprechen noch einen Kindergarten besucht haben
Astrid Röwekamp, Grundschulrektorin in Gelsenkirchen-Schalke

Für Astrid Röwekamp ist das ein Segen. Sie leitet die Schalker Regenbogenschule in Gelsenkirchen, mit 440 Kindern eine recht große Grundschule mit fünf Eingangsklassen. „Wir haben in ersten Klassen jeweils 25 bis 26 Kinder, von denen etwa zehn weder Deutsch sprechen noch einen Kindergarten besucht haben.“

Man habe sich im Lehrerkollegium recht schnell darauf verständigt, fünf Alltagshelferinnen zur Unterstützung der Kinder in den ersten Klassen zu suchen. Sie übernehmen Aufgaben, „für die es nicht unbedingt einer Lehrkraft bedarf“, sagt Röwekamp. „Sie helfen beim Um- und Ausziehen, können sich als Ansprechpartnerinnen Zeit für die Kinder nehmen oder unterstützen im Unterricht. Sie werden von den Lehrkräften als riesige Bereicherung empfunden.“ Die Schalker Regenbogenschule sei da kein Einzelfall. „Sie haben in kurzer Zeit intensive Beziehungen zu den Kindern aufgebaut. Dafür haben die Lehrkräfte heute leider nicht mehr die Zeit.“

Kübra Kacar (31), von Beruf Zahnarzthelferin, ist eine der fünf Alltagshelferinnen. „Wir wurden von den Kindern so herzlich angenommen. Wir haben so eine krasse Bindung aufgebaut. Wir bekommen morgens oft gemalte Bilder. Das ist ein sehr schönes Gefühl. Wir sind wie eine Familie.“ Viele der Kinder verstünden die deutsche Sprache überhaupt nicht, „da müssen wir uns handsprachlich verständigen. Wenn das der Lehrer allein machen muss, kann er nicht mehr unterrichten.“

Der Blick auf den aktuellen IQB-Bildungstrend vom Freitag, nach dem die Neuntklässler in NRW beim Lesen, Zuhören und Schreiben deutlich schwächer Abschneiden als der Bundestrend, hat die Schulministerin nicht überrascht. „Wir müssen ehrlich bleiben. Wir brauchen einen langen Atem.“ Die IQB-Studie zu den Grundschulen im vergangenen Jahr sei zu dem Ergebnis gekommen, „dass 25 Prozent der Kinder, die in der vierten Klasse sind, in Lesen, Schreiben, Rechnen, Zuhören die Anforderungen nicht erfüllen. Deshalb muss uns das nicht wundern, dass sich das in den weiterführenden Schulen fortsetzt. Wir waren bei den Grundschulen schon insgesamt dreimal im unteren Drittel.“