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Unterbringung von GeflüchtetenNRW-Städtetag kritisiert Schwarz-Grün

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Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, spricht auf einer Pressekonferenz.

Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, spricht auf einer Pressekonferenz.

Im Interview erklärt Helmut Dedy, Geschäftsführer des Deutschen Städtetags in NRW, wieso die Unterstützung für Kommunen seitens der Landesregierung seiner Meinung nach nicht ausreicht.

Herr Dedy, bei den Flüchtlingen hat sich die Unterbringungssituation nicht entspannt. Warum reichen die Plätze in Landesunterkünften immer noch nicht aus?

Helmut Dedy: Das Land hat jetzt sein selbst gestecktes Ziel von 35.000 Plätzen in Landeseinrichtungen erreicht. Das sollten wir anerkennen. Perspektivisch aber brauchen wir deutlich mehr Plätze, die kurzfristig aktiviert werden können. Land und Städte müssen vorbereitet sein, wenn wieder mehr Flüchtlinge kommen sollten. Die Zahl der Unterkünfte in den Städten ist oft auf Kante genäht. Deswegen brauchen wir die Plätze in den Landesunterkünften als Puffer. Wichtig ist uns auch, dass das Land die Vorhaltekosten für Flüchtlingsunterkünfte in den Städten dauerhaft übernimmt. Sonst müssen wir nicht belegte Unterkünfte aus Kostengründen nach kurzer Zeit wieder aufgeben und sie fehlen uns, wenn die Zahlen wieder steigen.

An die Bezahlkarte für Flüchtlinge werden hohe Erwartungen geknüpft. Rechnen Sie damit, dass diese erfüllt werden?

Richtig, mit der Bezahlkarte sind viele Erwartungen verbunden. Wie die Karte genau wirkt, muss sich noch zeigen. Wir unterstützen den eingeschlagenen Weg und wollen, dass die Karte zumindest mit landesweit einheitlichen Standards eingeführt wird, besser noch bundesweit. Die Ampel im Bund hat mit ihrem Kompromiss nur dafür gesorgt, dass die Karte rechtssicher eingeführt werden kann. Viele Fragen müssen vor dem Start noch geklärt werden, zum Beispiel die Obergrenze für Bargeldabhebungen oder für wen die Karte überhaupt gelten soll. Nur für neu ankommende Geflüchtete oder auch für schon länger hier lebende? Die Länder sollten sich auf gemeinsame Regeln einigen. Die müssen dann für ganz NRW gelten. Das kann nicht jede Stadt für sich selbst festlegen.

Nimmt der Verwaltungsaufwand durch die Bezahlkarte zu?

Wenn sie gut gemacht ist und einheitlich gilt, dann sehe ich das nicht. Die Städte in NRW stehen bereit, bei der Einführung der Bezahlkarte konstruktiv mitzuwirken.

Minderjährige Flüchtlinge: „Die Jugendämter und Einrichtungen kommen an ihre Grenzen“

Kommen die zusätzlichen Mittel des Bundes für Geflüchtete inzwischen bei den Kommunen in NRW an?

Nein, bisher leider nicht. Beim Bund-Länder-Treffen im vergangenen November hat der Bund eine Pro-Kopf-Pauschale je Geflüchteten zugesagt. Diesen Einstieg in ein atmendes System der Finanzierung, das sich den Flüchtlingszahlen anpasst, hatten wir lange gefordert. Aber zwei Probleme bleiben: Zum einen wird die Pauschale von 7500 Euro nicht reichen für die Integrationsaufgaben, die die Städte stemmen. Zum anderen hat das Land mit uns noch nicht geklärt, wie das zusätzliche Geld an die Kommunen verteilt wird. Für uns ist deshalb klar: wir brauchen dringend eine Novelle des Flüchtlingsaufnahmegesetzes mit einer deutlichen Anhebung der finanziellen Pauschale. Bei den Städten muss mehr Geld für die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten ankommen.

Wie entwickelt sich die Situation bei den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen?

Unbegleitete minderjährige Geflüchtete zu versorgen, ist eine sehr große Herausforderung. Sowohl die Jugendämter als auch die Betreiber der Einrichtungen kommen mehr und mehr an ihre Grenzen. Auch hier fehlen Fachkräfte für die qualifizierte Betreuung. Die Träger der Einrichtungen sind kaum mehr in der Lage, zusätzliche Plätze anzubieten.

Kann man mit den Standards zufrieden sein?

Die Städte tun ihr Bestes, alle Kinder und Jugendlichen gleichermaßen gut unterzubringen. Aber natürlich müssen wir hier und da vorübergehend weitere Plätze für unbegleitete minderjährige Geflüchtete schaffen, indem räumliche und personelle Standards vorübergehend flexibilisiert werden. Ich bitte die Landesjugendämter dringend, alle Möglichkeiten dazu zeitnah zu prüfen. Wir brauchen hier einen Schulterschluss von Bund, Land und Kommunen, wie wir pragmatisch mit den Engpässen vor Ort umgehen.

Ganztag: „Unterricht und Ganztagsförderung über den Tag verteilt“

Bei der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztag an Grundschulen fehlt eine gesetzliche Regelung des Landes. Was glauben Sie: Wie lange müssen die Kommunen noch darauf warten?

Es gibt bisher kein Signal der Landesregierung, ob es überhaupt ein Gesetz geben wird. Das klingt nach einer formalen Frage, ist aber ein echtes Problem. Denn ohne Ausführungsgesetz müssen wir davon ausgehen, dass auch kein zusätzliches Geld vom Land für den Ganztag fließt. Wie soll dann ein Ausbau gelingen? Die kommunalen Haushalte rutschen immer mehr ins Minus. Lässt das Land die Städte dann noch mit der Finanzierung der Ganztagsförderung allein, dann heißt das Ganztag nach Kassenlage.

Wie sollte der Ganztag in NRW organisiert werden?

Wir wünschen uns, dass die Landesregierung den Rechtsanspruch als echte Chance für mehr Bildungsgerechtigkeit nutzt. Dafür brauchen wir einen bildungspolitischen Neustart. Es geht nicht nach dem Motto: Beim Ganztag bleibt alles beim Alten. Das Kabinett hat vor Kurzem fachliche Grundlagen für den Ganztag beschlossen. Die besagen: Beim Ganztag bleibt erst einmal alles, wie es ist. Das bleibt weit hinter unseren Erwartungen zurück. Wir wollen Entscheidungen vor Ort ermöglichen, die den Elternwillen umsetzen. Wenn Schule, Eltern und Schulträger sich gemeinsam für den gebundenen Ganztag entscheiden, sollte er vom Land auch genehmigt werden. Das heißt dann: Mehr Förderung mit gutem pädagogischen Konzept – und Unterricht und Ganztagsförderung über den Tag verteilt. In anderen Bundesländern ist das längst möglich.

Wie geht die vom Land versprochene Reform der Schulfinanzierung voran?

Wir haben dieses wichtige Projekt aus dem Koalitionsvertrag immer unterstützt, aber mittlerweile drängt die Zeit. So ein Reformprozess ist komplex, zu Beginn braucht es ein bildungsökonomisches Gutachten. Wir müssen schließlich wissen: Wer zahlt aktuell wie viel für was? Welche Szenarien erwarten wir in Zukunft und welcher finanzielle Bedarf hängt daran? So müsste der Prozess beginnen. Die Landesregierung dagegen will zuerst ein juristisches Gutachten in Auftrag gegeben und die rechtlichen Grundlagen beleuchten. Das braucht es aus unserer Sicht nicht und kostet unnötig Zeit. Eine Reform der Schulfinanzierung vor der nächsten Landtagswahl sehe ich daher nicht mehr.

Für die Novelle des Kinderbildungsgesetzes (KiBiz) will das Land nicht mehr Mittel zur Verfügung stellen. Kann der Kita-Ausbau so gelingen?

Eine Kita braucht einen Träger. Für den Kita-Ausbau braucht es Träger, die neue Kitas eröffnen und betreiben. Die finden sich aber nur, wenn die Finanzierung stimmt. Aktuell reichen die Pauschalen im KiBiz hinten und vorne nicht, um eine Kita solide finanziert zu betreiben. Die Trägeranteile sind zu hoch, die Landesanteile zu gering. Für einen Kita-Ausbau müssen definitiv mehr Landesmittel ins System.