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NRW-Verkehrsministerium schlägt AlarmKnapp 300 Brücken an Bundes- und Landesstraßen sind marode

Lesezeit 4 Minuten
Oliver Krischer (Bündnis 90/Die Grünen), Verkehrsminister von Nordrhein-Westfalen, schaut sich neben Petra Beckefeld, Technische Direktorin des Landesbetriebs Straßenbau Nordrhein-Westfalen, eine defekte Brücke über der Wipper bei Wipperfürth samt Behelfsbau an. Beide tragen schwarze Jacken.

NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer und Petra Beckefeld, Technische Direktorin des Landesbetriebs Straßen NRW, besichtigen eine defekte Brücke über der Wipper bei Wipperfürth. Eine Behelfsbrücke wird den Verkehr so lange aufnehmen, bis die alte Brücke saniert wird.

Das Brückendesaster in NRW betrifft auch Bundes- und Landesstraßen. 205 Brücken müssen mittelfristig ersetzt, 22 verstärkt und 69 instandgesetzt werden. Kostenpunkt: 1,8 Milliarden Euro.

Die Wipperbrücke der Bundesstraße 256 zwischen dem Wipperfürther Ortsteil Ohl und Marienheide im Bergischen Land taugt sicher nicht zum Mahnmal für den Zustand der Straßenbrücken in Nordrhein-Westfalen. Dafür ist sie im Vergleich zur Leverkusener Rheinbrücke oder der wegen Einsturzgefahr gesperrten Rahmede-Talbrücke auf der Sauerlandlinie zu unbedeutend.

Dass NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) am Freitag ihr dennoch einen Besuch abstattet, liegt an ihrem Zustand. Die Plattbalkenbrücke aus den 1950er Jahren ist am Ende ihrer Belastungsfähigkeit angelangt und deshalb halbseitig gesperrt. Der Verkehr rollt nur noch einspurig über das Bauwerk und wird von Baustellenampeln gesteuert.

Für die Sanierung braucht das Land rund 1,8 Milliarden Euro

Alle Welt redet über den desaströsen Zustand der Autobahnbrücken in Deutschland. Die 6422 Brücken auf den Bundes- und Landesstraßen in NRW hingegen, die aus 7308 Teilbauwerken bestehen, geraten nur selten ins Blickfeld. Für ihren Erhalt, für Sanierungen und Neubauten ist weiterhin der Landesbetrieb Straßen NRW verantwortlich. Die Autobahnen mit allen Brücken hat im Januar 2021 der Bund übernommen und dafür eine neue Gesellschaft gegründet – die Autobahn GmbH.

Der Landesbetrieb hat alle Brücken an Bundes- und Landesstraßen bei Bauwerksprüfungen unter die Lupe genommen. Das Ergebnis ist alarmierend. 205 müssen ersetzt, 22 verstärkt und 69 instandgesetzt werden. Allein dafür sind laut Verkehrsministerium 1,8 Milliarden Euro erforderlich. Im vergangenen Jahr konnte Straßen NRW insgesamt 64 Brücken neu bauen oder sanieren und hat dafür gut 70 Millionen Euro ausgegeben. Für 2023 sind 67 Maßnahmen geplant, die rund 100 Millionen Euro kosten werden.

Köln und Leverkusen verschickten Bußgeld-Bescheide für 12,4 Millionen Euro

Dass immer wieder Sperrungen und Lastbeschränkungen von Brücken nötig sind, führt Straßen NRW vor allem auf den stark gestiegenen Güterverkehr vor allem auf Autobahnen, Bundes- und Landesstraßen in den vergangenen Jahrzehnten zurück. Hinzu kommt, dass sich über die Jahrzehnte auch die zulässigen maximalen Achslasten und Gesamtgewichte für schwere Lkw kontinuierlich erhöht haben.

Fahrzeuge fahren am 29.09.2016 bei Leverkusen (Nordrhein-Westfalen) durch eine automatische Sperranlage.  Seit einem Monat ist die Lkw-Sperre an der baufälligen Leverkusener Rheinbrücke nun in Betrieb - seitdem hat die Anlage rund 3000 Lastwagen an der Überfahrt gehindert.

Ein Lkw strandet an der Schranke vor der Leverkusener Rheinbrücke. Die Städte Köln und Leverkusen haben seit 2018 Bußgelder in Höhe von 12,4 Millionen Euro verhängt.

Bei der Leverkusener Rheinbrücke summiert sich das Bußgeld, das von 2018 bis 2022 gegen Lkw-Fahrer erhoben wurde, weil sie das Fahrverbot ignorierten und vor den Sperrschranken landeten, laut Angaben der Stadtverwaltungen von Köln und Leverkusen auf knapp 12,4 Millionen Euro.

„Gleichzeitig bestehen bei vielen Brücken strukturelle Mängel“, sagt Petra Beckefeld, Technische Direktorin des Landesbetriebs. So sei zum Beispiel in den Hoch-Zeiten des Brückenbaus von Anfang der 1960er bis Mitte der 1980er Jahre in der Regel sehr materialsparend und nur mit geringen statischen Reserven gebaut worden. „In Kombination mit den heutigen wesentlich höheren Verkehrslasten und Verkehrsmengen ergeben sich Defizite, die bei vielen Bauwerken auch mit den seinerzeitig eingerechneten Sicherheiten nicht mehr vollständig zu kompensieren sind“, sagt die Ingenieurin.

Sanierung und Erhalt müssen einen Vorrang vor dem Neubau haben
Oliver Krischer (Grüne), NRW-Verkehrsminister

Auch wenn das Verkehrsministerium in Düsseldorf für die Autobahnen in NRW nicht mehr verantwortlich ist, kann Krischer ihren Zustand nicht einfach ignorieren. 873 Teilbauwerke, die Brücken beispielsweise in Autobahnkreuzen werden alle einzeln gezählt, sind stark sanierungsbedürftig. „Die Landesregierung hat sich darauf verständigt, dass Sanierung und Erhalt einen Vorrang vor dem Neubau haben müssen“, sagt Krischer. „Dafür werden wir noch in diesem Jahr die Weichen stellen.“

Für die NRW-Autobahnen erwarte er, dass Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) das Gleiche tue. „Der Bund hat in NRW im vergangenen Jahr gerade mal 41 und damit weniger als die Hälfte der erforderlichen Zahl an Autobahnbrücken saniert“, sagt Krischer. „Das mache ich Herrn Wissing nicht zum Vorwurf, schließlich hat er das Problem auch nur geerbt. Aber angesichts dessen die Priorität auf den Autobahnneubau setzen zu wollen, ist unverantwortlich. Wir brauchen stattdessen eine gemeinsame Kraftanstrengung von Bund und Land, um die Infrastruktur zu erhalten.“

An der B 256 in Wipperfürth hat man im vergangenen Jahr mit dem Neubau begonnen. 2024 soll die neue Brücke stehen. „Ein großer Teil der Brücken im Land wurde in den 60er und 70er Jahren gebaut und wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten voraussichtlich einen vermehrt schlechteren Zustand aufweisen und deshalb saniert oder neu gebaut werden müssen“, sagt der Minister zu den aktuellen Ergebnissen der Bauwerksprüfungen durch den Landesbetrieb.

Krischer befürchtet eine „Bugwelle, die wir nur abfedern können, wenn wir der Sanierung, dem Erhalt und dem Ersatz von Brücken Vorrang einräumen. Knappes Geld und noch knappere Personalkapazitäten werden wir dort einsetzen müssen, wo sie am dringendsten gebraucht werden.“