Zahlen zeigen, dass sich viele Kinder und Jugendliche einsam fühlen. Wo die Risiken liegen und was gegen das negative Gefühl helfen kann.
Neue StudieVor allem Jugendliche aus armen Familien in NRW fühlen sich einsam
Wer über Einsamkeit nachdenkt, der hat häufig das Bild von verwitweten Seniorinnen vor Augen. Tatsächlich sind aber auch Jugendliche stark von diesem Gefühl betroffen. Das zeigt nun eine Studie der Einsamkeitsforscherin Maike Luhmann von der Ruhr-Uni-Bochum im Auftrag der Landesregierung. Jeder fünfte Jugendliche in Nordrhein-Westfalen ist dieser zufolge stark einsam. Jeder Zweite kennt zumindest das Gefühl der moderaten Einsamkeit aus seinem Alltag. Befragt wurden rund 950 Jugendliche zwischen 16 und 20 Jahren sowie knapp 1250 Achtklässler. Die Ergebnisse hat Luhmann gemeinsam mit Ministerpräsident Hendrik Wüst am Freitag in Berlin vorgestellt.
Wüst bezeichnete bei dieser Gelegenheit Einsamkeit als „die neue soziale Frage unserer Zeit“. Sie wirke sich nicht nur auf das Leben der Betroffenen negativ aus. „Einsamkeit fordert auch unser Gesundheits- und Sozialsystem heraus und schadet dem gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ Für das kommende Jahr plant Wüst eine Einsamkeitskonferenz, eine Online-Plattform, die sich derzeit im Aufbau befindet, soll zudem bei der Einsamkeitsbekämpfung künftig helfen.
Mädchen fühlen sich eher einsam als Jungen
Das Gefühl der Einsamkeit breitet sich gerade seit der Pandemie stärker auch unter jungen Leuten aus. Allerdings nicht gleichmäßig verteilt. Mädchen fühlen sich demnach häufiger einsam als Jungen, Stadtkinder einsamer als Landkinder, ältere einsamer als jüngere. Auch Armut ist ein Risikofaktor. Je ärmer die Familie, umso einsamer die Kinder. Umgekehrt: Je mehr Geld vorhanden ist, desto weniger klagen Jugendliche über Einsamkeit. Dabei sinkt das Einsamkeitsgefühl kontinuierlich mit dem Anstieg des Kontostands. Ähnlich verhält es sich beim Bildungsniveau der Eltern in Bezug auf die Einsamkeit der Kinder, wenn hier der Effekt auch nicht ganz so stark ist wie beim Geld. Je gebildeter die Eltern, desto weniger einsam sind die Kinder.
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Ausbildung und Studium helfen gegen Einsamkeit
Interessant ist die Auswertung hinsichtlich der Beschäftigungsverhältnisse der Jugendlichen. So fühlen sich erwartungsgemäß arbeitslose Jugendliche am einsamsten, an zweiter Stelle stehen hier aber schon die Schülerinnen und Schüler. Dabei spielt es eher keine Rolle, ob die Jugendlichen ein Gymnasium oder eine Hauptschule besuchen. Am wenigsten mit Einsamkeit zu kämpfen haben Jugendliche, die gerade eine Berufsausbildung absolvieren oder ein Studium.
Generell scheint sich Einsamkeit in der Stadt häufiger einzunisten als auf dem Land. Wobei sich die jugendlichen Studienteilnehmer in Städten zwischen 100.000 und 500.000 Einwohnern noch einsamer als in Großstädten fühlten.
Ein Blick auf das Freizeitverhalten der Jugendlichen, das die Studie mitabgefragt hat, lässt Schlüsse darüber zu, welche Aktivitäten mit Einsamkeit korrelieren und welche dem Entstehen dieses negativen Gefühls eher entgegenstehen. Auffallend ist, dass die befragten Jugendlichen zwischen 16 und 20 Jahren ihre Freizeit am häufigsten alleine vor Medien verbringen. Diese Aktivität schlägt sogar noch die Kategorie „mit anderen Personen kommunizieren“ und liegt knapp vor „einfach nichts tun, abhängen, träumen“. Ganz unten in der Skala der Freizeitbeschäftigungen rangiert das Jugendzentrum, religiöses oder soziales Engagement. Die Hälfte bis zwei Drittel der Jugendlichen ist hier überhaupt nicht zu begeistern. Vereinssport beschäftigt immerhin gut zwei Drittel der Jugendlichen wenigstens einmal in der Woche.
Sport ist ein Schutzfaktor vor Einsamkeit
Nicht immer sind die Korrelationen zur Einsamkeit überraschend. So können Aktivitäten mit Freunden sowie Sport oder institutionelle Aktivitäten als Schutzfaktor vor Einsamkeit bewertet werden. Dabei nimmt die Einsamkeit ab, je mehr Sport – auch alleine - getrieben wird. Jugendliche, die gute Freundschaften pflegen, fühlen sich tendenziell weniger einsam. Familie und Liebesbeziehungen spielen hier eine geringere Rolle. Mediennutzung dagegen geht mit erhöhter Einsamkeit einher. Jugendliche, die mehr als sechs Stunden täglich Medien nutzen, sind besonders betroffen. Psychologin Franca Cerutti sieht in dieser Gruppe ein Verlernen sozialer Kompetenzen als Risiko. „Wer nur noch online unterwegs ist, der entwickelt Kompetenzdefizite im realen Leben und weiß vielleicht gar nicht mehr, wie er hier mit anderen Kontakt aufnehmen kann und Freundschaften pflegt.“
Auch Lebensereignisse können der Studie zu Folge einen Einfluss auf das Einsamkeitsempfinden haben. Der Beginn einer Psychotherapie, das Ende einer Freundschaft sowie die deutlichere Verschlechterung der finanziellen Lage gingen demnach häufig mit einem Anstieg der Einsamkeitserfahrung einher. Wer dagegen eine neue Liebesbeziehung einging oder ins Berufsleben startete, fühlte sich im Vergleich weniger einsam.
Die Studienmacher haben sich bei den Jugendlichen auch erkundigt, mit welchen Strategien sie gemeinhin versuchten, das Gefühl der Einsamkeit zu vertreiben. An erster Stelle steht hier wenig überraschend die Idee, „Kontakt mit Bekannten“ aufzunehmen. Immerhin knapp 12 Prozent der Jungen und fast 17 Prozent der Mädchen hielten diese Strategie für zielführend. Schon an zweiter Stelle rangieren aber „Videospiele“ (Jungen) bzw „Social Media konsumieren“ (bei den Mädchen) mit gut sieben Prozent. Mit Sport versuchen sich nur fünf Prozent der Jungen und nur zwei Prozent der Mädchen aus dem Tief zu holen. In der Einschätzung, welche Strategie am besten gegen Einsamkeit hilft, lag Sport dann allerdings mit knappem Abstand zu „mit Online-Community verbunden fühlen“ und „Reparieren sozialer Beziehungen“ ganz vorne.
Maike Luhmann, Einsamkeitsexpertin und Studienleiterin, sieht in diesem Ergebnis einen klaren Handlungsauftrag. „Wir müssen Kindern und Jugendlichen beibringen, wie sie effektiv gegen Einsamkeit vorgehen können.“ Eine Wissenskampagne in Schulen und im Internet könnte hier die Lage verbessern. Gefragt seien aber auch die Städtebauer. „In allen Städten gibt es Spielplätze für Kleinkinder. Aber: An Orten, an denen Jugendliche umsonst abhängen dürfen, fehlt es. Wenn sie sich doch mal an Tischtennisplatten versammeln, dann werden da bald Verbotsschilder aufgehängt oder Bänke abgebaut“, sagt Luhmann. Auch auf bürokratischer Ebene seien die Hürden für Zusammenkünfte oft hoch. Psychologin und Podcasterin Franca Cerutti beklagt: „Versuchen Sie mal spontan in der Nachbarschaft Kuchen oder selbst gemachte Limo zu verkaufen. Da fragt dann erstmal das Ordnungsamt: Wo ist der Fluchtweg? Und was ist mit der Hygiene?“