Welchen Einfluss hat die Wahl auf die Strategie von CDU und Grünen im Solingen-Ausschuss? Wird die Befragung von Fluchtministerin Paul verschleppt?
Paukenschlag im Terror-AusschussTaktik? CDU und Grüne verhindern Vernehmung von Ministerin Paul vor der Wahl
NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) wird erst nach der Bundestagswahl im Untersuchungsausschuss des Landtags zum Terroranschlag in Solingen aussagen. CDU und Grüne wiesen am Freitag in nichtöffentlicher Sitzung einen Antrag der Opposition ab, die Vernehmung auf den kommenden Montag vorzuziehen. Das Vorgehen der regierungstragenden Faktionen stieß bei SPD und Liberalen auf massive Kritik: „Man gewinnt den Eindruck, dass die Grünen aus Angst vor einer Offenlegung ihrer traumtänzerischen Migrationspolitik jetzt vor der Bundestagswahl alles unter den Teppich kehren wollen“, sagte FDP-Innenexperte Marc Lürbke. Ministerin Paul sei das „Gesicht des Scheiterns der Asylpolitik in NRW“.
Bei dem Anschlag in Solingen waren im Auguste vergangenen Jahres drei Menschen getötet und acht schwer verletzt worden. Der mutmaßliche Attentäter, der Syrer Issa Al H., hätte eigentlich schon 2023 nach Bulgarien abgeschoben werden sollen. Die Ausländerbehörden scheiterten jedoch mit dem Versuch, weil H. nachts zunächst in seiner Flüchtlingsunterkunft nicht angetroffen worden war. Obwohl der Syrer am nächsten Tag wieder auftauchte, wurde kein zweiter Abschiebeversuch unternommen.
Im Untersuchungsausschuss soll nun aufgearbeitet werden, welche behördlichen Lücken und Versäumnisse den Terrorakt begünstigt haben. „Die Chance für die Ministerin, endlich Rede und Antwort zu stehen und damit zu einer schnellen Aufklärung beizutragen, wurde heute bewusst ausgeschlagen“, sagte Lisa-Kristin Kapteinat, Obfrau der SPD in dem Aufklärungsgremium. Es entstehe „immer mehr der Eindruck, als wollte Schwarz-Grün das Thema möglichst weit hinter die Bundestagswahl schieben“, so die Landtagsabgeordnete.
Die Liberalen erklärten, schon jetzt würden sich „erhebliche Unstimmigkeiten und Behördenversäumnisse“ abzeichnen. „Es wäre ein Bärendienst für das Vertrauen der Menschen in den Rechtsstaat, wenn verantwortliche Köpfe in NRW sich mit fadenscheinigen Ausflüchten der Aufklärung verweigern“, sagte FDP-Experte Lürbke. Die Rolle der Ministerin müsse aufgeklärt werden: „Verzögerungstaktiken werden uns nicht davon abhalten.“
Im öffentlichen Teil der Sitzung hatten Sachverständige ein Schlaglicht auf das Behördenversagen im Zusammenhang mit dem Anschlag geworfen. Der Leipziger Bundesverwaltungsrichter und Düsseldorfer Rechtsprofessor Martin Fleuß sagte, Defizite im Migrationsrecht hätten „den Boden für den Anschlag von Solingen bereitet“. Diese könnten „jederzeit für die Verübung weiterer Anschläge vergleichbarer Art ausgenutzt werden“. Es sei kein Verstoß gegen die Verhältnismäßigkeit, abschiebepflichtigen Personen eine nächtliche Anwesenheitspflicht in Flüchtlingsunterkünften vorzuschreiben.
Drei Jahre bis zur Möglichkeit einer Abschiebung
Der Konstanzer Rechtsprofessor Daniel Thym nannte beim Eintritt des Ausschusses in die Beweisaufnahme zahlreiche Hinderungsgründe für Rückstellungen. So sei es etwa kontraproduktiv, Asylbewerber dezentral unterzubringen. „Warum sollten Asylbewerber eine Ausreisepflicht ernst nehmen, wenn der Staat sich bereits aktiv um ihr Bleiben kümmert?“, fragte Thym. In Deutschland dauere es im Durchschnitt mehr als drei Jahre, bis sich die theoretische Möglichkeit einer Abschiebung ergebe. „Das ist absurd“, sagte der Jurist.
Der früher in Münster lehrende Migrationsforscher Dietrich Thränhardt erläuterte, die Schweiz habe „Zentren für renitente Asylbewerber“ eingerichtet. Das Modell könne ein Vorbild sein. „In Deutschland kann jeder machen, was er will, es passiert nichts“, kritisierte der Professor Politikwissenschaft.
CDU und Grüne verteidigten die Entscheidung, die Vernehmung von Flüchtlingsministerin Paul zu verschieben. Der Opposition gehe es „nicht um sachliche Aufklärung, sondern allein um politischen Krawall“, hieß es. Der Ausschussvorsitzende Thomas Kutschaty (SPD) selbst habe vorgeschlagen, zunächst mit der Vernehmung von Sachverständigen zu beginnen, was durchaus üblich ist. „Es gibt keinen sachlichen Grund, von diesem Verfahren abzuweichen", sagte Laura Postma, Sprecherin der Grünen Fraktion im Untersuchungsausschuss. Die Vernehmung von Staatsekretären und Ministern wird normalerweise nie am Anfang, sondern gegen Ende der Aufklärungsarbeit von U-Ausschüssen anberaumt.
Josefine Paul war 2022 von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) zur Ministerin für Flucht und Migration berufen worden. In der Umfrage „NRW-Check“ der Tageszeitungen vom Dezember 2024 belegte sie bei der Frage nach der Kompetenz der Kabinettsmitglieder den letzten Platz.