Der Philologenverband appelliert an Eltern, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Schulen allein könnten die Handynutzung nicht regulieren.
Handys an Schulen„Es ist noch längst nicht allen klar, was da gerade auf dem Spiel steht“

Schülerinnen und Schüler einer Grundschule sitzen mit Abstand in ihrem Klassenraum.
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Sabine Mistler ist Vorsitzende des Philologenverbandes NRW, der Lehrkräfte an Gymnasien und Gesamtschulen vertritt. Im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ erklärt sie, welche Herausforderungen die digitale Entwicklung für Schulen und Eltern bringt und wie sie besser zusammenarbeiten können.
Frau Mistler, Ende April starten die Abi-Klausuren in NRW. Wenn Sie sich nochmal zurückversetzen in die Corona-Zeit vor fünf Jahren, wo die Prüfungen ebenfalls kurz bevor standen - welche Erinnerungen steigen dann in Ihnen auf?
Sabine Mistler: Dieses Gefühl des Schockzustandes ist mir immer noch sehr nah. Da waren einerseits die Ängste und Unsicherheiten und andererseits diese riesigen Herausforderungen für Schule und Lehrkräfte – und ja, das Abitur stand vor der Tür. Egal, wie sehr wir uns um Balance bemüht haben, wir hatten immer das Gefühl, nichts richtig machen zu können: Die einen sahen den Gesundheitsschutz vernachlässigt, die anderen die Bildung. Dass wir es geschafft haben, das System Schule dennoch am Laufen zu halten, war vor allem dem unglaublichen Einsatz der Lehrkräfte zu verdanken.

Sabine Mistler ist Vorsitzende des Philologenverbandes Nordrhein-Westfalen.
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Es hieß damals, Corona habe wie in einem Brennglas die Probleme unseres Bildungssystems offengelegt. Haben wir denn aus dieser Zeit auch für die Schulen etwas gelernt?
Wir waren in Sachen Digitalisierung noch in den Kinderschuhen. Vieles haben wir im Hauruckverfahren nachgeholt. Darunter leiden wir immer noch: Es wurden mit dem Digitalpakt I Geräte angeschafft, aber nicht gezielt, weil es keine formalen Kriterien gab. Inzwischen wurden die Anforderungen an digitale Bildung hochgeschraubt, dabei gibt es immer noch nicht überall die entsprechende Infrastruktur und angemessene Bedingungen. Jetzt warten wir unter anderem auf die Umsetzung des dringend benötigten Digitalpaktes II.
Mistler: Mit KI ist die Medienerziehung genauso wichtig wie Didaktik geworden
Dabei ist das Beschaffen von digitalen Endgeräten mitnichten schon digitale Bildung …
Stimmt, der Weg ist nicht konsequent zu Ende gegangen. Inzwischen gibt es mit KI längst die nächste große Herausforderung. Deshalb ist neben Geräten und Didaktik die Medienerziehung mindestens genauso wichtig. Wir müssen dringend die Folgen der Digitalisierung als Ganzes bedenken, die Chancen und die Risiken müssen noch deutlicher betrachtet und darauf angemessen reagiert werden: Nicht alles, was technisch möglich ist, ist didaktisch und pädagogisch sinnvoll und notwendig.
Schulministerin Dorothee Feller hat nun ein Handyverbot an Grundschulen empfohlen. Weiterführende Schulen sollen verbindliche Regeln aufstellen. Reicht das oder hätte es nicht den Mut für eine klare Ansage in Form eines Erlasses gebraucht?
Aus den Reihen unserer Mitgliederschaft wird mehrheitlich Enttäuschung darüber artikuliert, dass das Ministerium für Schule und Bildung nicht deutlich restriktiver vorangeschritten ist, etwa durch ein deutliches Nein zur privaten Smartphone- und Smartwatchnutzung im Unterrichtskontext. Eine deutliche Haltung, die alle Schulen als Grundlage nutzen könnte und auf deren Basis zum Beispiel je nach Schulform noch gewisse Spielräume möglich wären, hätte mehr Zustimmung erhalten.
Was bräuchten die Schulen denn jetzt am dringendsten?
Angesichts der vielen gesellschaftlichen Herausforderungen braucht es zwingend fühlbare Entlastung für Lehrkräfte: zum Beispiel kleinere Klassen und mehr Unterstützungspersonal. Das fängt an mit Verwaltungskräften und geht über Sozialarbeiter und Sozialpädagogen bis hin zu beratenden Psychologinnen und Psychologen – damit wir uns auf die Kinder und die Bildung konzentrieren können. Nur wenn Lehrkräfte mehr Zeit haben für Unterricht und die pädagogische Arbeit, können wir wirklich die Kinder und Jugendlichen mit ihren individuellen Herausforderungen angemessen unterstützen.
Klar ist auch, dass wir in Schule nicht alle gesellschaftlichen Probleme lösen können. Aber wir können junge Menschen auf einen Weg bringen, damit sie gestärkt mit Wissen und Fähigkeiten ins Leben starten können und in der Lage sind, die Zukunft unseres Landes mitzugestalten. Wenn wir diese Verantwortung ernst nehmen würden, dürfte es beim Thema Bildung kein finanzielles Limit geben.
Schule kann nicht alle gesellschaftlichen Probleme lösen, aber junge Menschen stärken
Sorgen macht auch die mentale Gesundheit von Schülerinnen und Schülern: Die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit psychischen Problemen steigt stetig.
Auch hier brauchen wir mehr Zeit und mehr professionelle Unterstützung von außen durch zusätzliche Fachkräfte oder Experten. Es gibt derzeit so viele Themen, die Ängste und Sorgen bereiten, die wir auffangen müssten – vom Ukraine-Krieg über Gaza bis zur Klimakrise. Wir müssen die mentalen Herausforderungen sehr erst nehmen, dürften dabei aber dennoch Bildung nicht außer Acht lassen. Wenn wir in Zeiten von Fake News und Beeinflussungen durch soziale Medien nicht mehr die Zeit für die Vermittlung substanzieller Bildung haben, werden unsere Kinder und Jugendlichen dieser komplexen Zukunft nicht gewachsen sein. Dann droht unsere Demokratie zu scheitern. Digitalisierung ist gut und schön, ebenso wie der Unterricht mit digitalen Medien. Aber durch eine zu starke Fokussierung aufs Digitale droht etwas Wichtiges verloren zu gehen: der Austausch untereinander, das Miteinandersprechen, das Zuhören und einander verstehen.
Das klingt so, als hätte man das Digitale massiv gefördert, um jetzt zu begreifen, wie wichtig das Analoge in der Schule ist. Am Anfang dachte man, Tablets für alle sind die Zukunft. Jetzt scheint die Bildungsforschung zu merken, dass es um etwas ganz anderes geht.
Es wird gerade sehr deutlich, wie wichtig die Pädagogik ist und wo die Grenzen der Digitalisierung liegen. Das Analoge ist uns in dieser Zeit der extremen Entwicklung der Digitalisierung zum Teil verloren gegangen. Wir müssen den Fokus wieder darauf lenken, wir müssen wieder viel mehr analog miteinander kommunizieren.
Das kann Schule aber nicht alleine leisten. Welche Rolle spielen die Eltern?
Den Medienkonsum zu reduzieren ist für Eltern anstrengend und kostet Kraft. Aber das ist im Wesentlichen ihr Auftrag. Wenn ich auf der Straße schon in Kinderwagen Kinder mit digitalen Geräten sehe, wird mir angst und bange. Was das für die Entwicklung und die Sprachbildung bedeutet, können wir uns noch gar nicht vorstellen. Aber in einigen Jahren werden wir mit den Folgen konfrontiert sein. Ich glaube, es ist noch längst nicht allen klar, was da gerade auf dem Spiel steht.
Eltern müssen wieder mehr Verantwortung übernehmen. Ihnen muss deutlich gemacht werden, was mit ihren Kindern beispielsweise durch die extreme Mediennutzung passiert. Sie müssen einbezogen werden, und sie müssen Verantwortung übernehmen. Eltern unterstützen so die Erziehungsarbeit in der Schule.