In Forensiken sollen psychisch kranke Straftäter abseits der Zivilisation gesund werden. Doch immer wieder werden sie in allgemeinen Kliniken behandelt.
Überlastung der forensischen KlinikenWarum es schwer ist, für psychisch kranke Straftäter in Köln einen Platz zu finden
Das Gras vor der Betonmauer leuchtet grün, selbst im Licht der schwachen Sonne. Sträucher säumen den menschenleeren Weg zwischen Wohn- und Therapieräumen, das Wetter hält viele Patienten davon ab, sich auf die Bänke vor den Beeten zu setzen. Einige Meter weiter links, dort, wo die Patienten früher zum Sport zusammenkamen, sperrt ein Metallzaun die Baustelle ab. Der halbe Sportplatz fällt neuen Wohngebäuden zum Opfer. Die sind dringend nötig: Denn die forensische Psychiatrie in Köln-Porz ist überbelegt – wie fast alle Forensiken in Nordrhein-Westfalen.
In 17 nordrhein-westfälischen Städten betreibt das Land forensische Psychiatrien, laut den Zahlen vom 1. Juni sind 13 von ihnen überbelegt: Es leben mehr Patienten in den Einrichtungen, als eigentlich Betten vorgesehen sind. Die Überbelegung hat auch Folgen für andere Kliniken. Einige Menschen, die eigentlich in einer Forensik therapiert werden sollten, wurden in der Allgemeinpsychiatrie untergebracht.
LVR-Klinik in Porz ist eine Hochsicherheitseinrichtung
In einer forensischen Psychiatrie sollen psychisch kranke Straftäter abseits der Außenwelt wieder gesund werden. Die Insassen wurden alle von Gutachtern als schuldunfähig oder vermindert schuldfähig eingestuft. Es sind Menschen, die ihre Taten nicht aus einer böswilligen Absicht heraus begingen, sondern im eindeutigen Zusammenhang mit beispielsweise einer Psychose oder einer Schizophrenie. Sie sind Patienten, keine Insassen.
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In Köln leben diese Patienten in zwei forensischen Psychiatrien: In Köln-Merheim, wo derzeit 87 wohnen, und in Porz. Dort sind 150 Plätze eingerichtet. Sie waren im Juni voll belegt, im Januar noch um sieben Plätze überbelegt. Die LVR-Klinik in Köln-Porz ist eine Hochsicherheitseinrichtung, von außen aufgebaut wie ein Gefängnis, umrahmt von einer 5,50 Meter hohen Betonmauer. Besucher werden durchsucht, sie passieren mehrere Schleusen, bevor sie in den Innenhof treten.
Etwa 90 Prozenten der Patienten in der Forensik leiden an einer Schizophrenie
„Wir bieten hier das gesamte psychotherapeutische Spektrum an“, sagt Christian Prüter-Schwarte. Der Chefarzt sitzt neben einigen Kollegen in einem Besprechungszimmer der Porzer Forensik im Obergeschoss. Durch eine Fensterfront kann man das Klinikgelände überblicken. Mit dem therapeutischen Spektrum meint er: Einzelgespräche, Gruppentherapie, Sporttherapie, Bewegungstherapie, künstlerische Therapie, Arbeitstherapie. „Wie in fast allen psychiatrischen Einrichtung.“ Mit einem Unterschied: Die Ärzte müssen beim Patienten ein Verständnis dafür aufbauen, wie er eine solche Straftat begehen konnte, ein Verständnis für den Zusammenhang zwischen der Krankheit und dem Verbrechen.
In regelmäßigen Abständen schreiben die Ärzte eine Gefährlichkeitseinschätzung. Die meisten Patienten in Köln-Porz, etwa 90 Prozent, leiden an einer Schizophrenie, dazu kommen Menschen mit einer forensischen Intelligenzminderung oder einer Persönlichkeitsstörung.
„Unsere Aufgabe ist es, ihnen wieder ein Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen“, sagt Jörg Schürrmanns, Vorstandsvorsitzender der Klinik. Neben Therapie stellt die Forensik deshalb auch schulische Angebote. Über 90 Prozent der Patienten können wieder entlassen werden, sagt Prüter-Schwarte. „Unsere Rückfallquote ist sehr niedrig im Vergleich zum Strafvollzug – auch, weil unsere entlassenen Patienten anschließend meist fünf Jahre unter Führungsaufsicht stehen.“
Zahl der Einweisungen in Forensiken nahm in den letzten Jahren zu
Fast alle Forensiken in Nordrhein-Westfalen sind jedoch überlastet. In der LVR-Klinik Bedburg-Hau leben 16 Patienten mehr, als eigentlich Kapazitäten da sind, in Düren und Marsberg sind es 25 Patienten zu viel, in Viersen 22. Das NRW-Gesundheitsministerium teilt mit: 222 Forensik-Patienten seien derzeit in allgemeinpsychiatrischen Einrichtungen untergebracht.
Klaus Lüder ist Leiter der Abteilung Maßregelvollzug des LVR. In den letzten Jahren, sagt er, gab es „einen deutlichen Anstieg der Verurteilungen zu einer Unterbringung im Maßregelvollzug“. Dies betraf sowohl Menschen, die nach Paragraf 63 verurteilt wurden – also wegen einer psychischen Krankheit in ein Krankenhaus untergebracht werden – als auch nach Paragraf 64: Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wegen einer Suchterkrankung. „Seit einiger Zeit sind die Zahlen rückläufig“, sagt Lüder. Bei den Patienten nach Paragraf 64 sei dies auf eine Verschärfung der gesetzlichen Anforderungen zurückzuführen, für den „Bereich des Paragraf 63“ könne er die Gründe für die Veränderung auch nicht erklären. „Es bleibt abzuwarten, wie nachhaltig sich der Rückgang in diesem Bereich entwickelt.“
Was kann man also tun, um die Überbelegung auch langfristig zu verringern? Klaus Lüder sieht dafür drei Ansätze: Bauen, betreuen und Prävention. „Wir haben sehr viele Patienten in forensischen Psychiatrien, die diese Struktur eigentlich nicht mehr brauchen“, sagt Lüder. „Die entlassen werden könnten, für die wir aber in den Gemeinden keine betreuenden Angebote finden.“ Patienten, die die Forensik verlassen dürfen, ziehen häufig in eine betreute Wohneinheit. Doch auch hier sind die Plätze knapp. „Hätten wir die, würde sich auch die Verweildauer verkürzen.“
Einen Grund für den hohen Anstieg der Patientenzahlen in der Forensik sehen manche Experten auch in der Allgemeinpsychiatrie. Denn auch diese ist überlastet, auch hier kommen zu viele Patienten auf zu wenige Betten. Teilweise werden demnach Patienten zu früh entlassen, um Platz für die nächsten Kranken zu machen.
In einer Allgemeinpsychiatrie, sagt Lüder, könnte man Personen mit Risikopotenzial identifizieren, Patienten, bei denen sich andeutet: Wenn dieser Mensch nicht gut betreut wird, könnte er schwere Gewalttaten begehen. In dem Fall müsse ein Versorgungsangebot bereitstehen, eine Präventionsstelle, an der diese Person gebunden wird. Solche Präventionsstellen gebe es bereits, am meisten verbreitet in Bayern. „Wenn es uns gelingt im Jahr 15 oder 20 Personen zu betreuen und in drei Fällen wird der Vollzug verhindert, dann sparen Sie schon 125.000 Euro pro Jahr pro Patient und verhindern womöglich eine Straftat“, sagt Lüder.
In NRW sollen 681 zusätzliche Plätze entstehen
Bleibt noch das Bauen: Im Jahr 2021 hatte die damalige Landesregierung ein neues Unterbringungsgesetz erlassen und 240 neue Stellen für ein verbessertes Behandlungsangebot bereitgestellt. Ab Herbst 2024 entstünden landesweit sukzessive 681 zusätzliche Plätze. „Das alles dient selbstverständlich nicht nur der Behandlung, sondern gerade auch der Sicherheit“, sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) dieser Zeitung.
Bis zum geplanten Endausbau bleibt die Lage in den meisten Einrichtungen angespannt. Dass zahlreiche Forensik-Patienten wegen der Überbelegung nicht in gesicherten forensischen Kliniken, sondern in Psychiatrien von allgemeinen Krankenhäusern behandelt werden, löst bei den betroffenen Ärzten und Pflegern oft ein Störgefühl aus.
Das NRW-Gesundheitsministerium bestätigt, dass die „Einstreuung“ von Patienten aus der Forensik in allgemeinen Kliniken durchaus üblich ist. „Nicht in jedem Fall ist die Unterbringung in einer hoch gesicherten spezialisierten forensischen Klinik oder Abteilung notwendig“, sagte eine Ministeriumssprecherin unserer Zeitung. Sowohl die untergebrachten Personen als auch deren Delikthintergrund seien „sehr heterogen“. In jedem Fall werde „individuell geprüft, ob die untergebrachte Person sich für die Unterbringung in der Allgemeinpsychiatrie eigne“.
Anreize für Kommunen, um dort eine Forensik zu bauen
In der Landespolitik ist diese Vorgehensweise umstritten. „Bei der Krankenhausplanung im Bereich Psychiatrie müssen auch die Belastungen der jeweiligen Kliniken durch die Unterbringungen im Maßregelvollzug berücksichtigt werden“, fordert Susanne Schneider, gesundheitspolitische Sprecherin der FDP im Landtag. Thorsten Klute, Gesundheitsexperte der SPD, unterstreicht: „Im Maßregelvollzug steht neben der Therapie der erkrankten Straftäterinnen und Straftäter ganz besonders auch die Sicherheit für die Bevölkerung und für die Beschäftigten im Mittelpunkt.“ Beide Punkte habe die Landesregierung zu gewährleisten.
Die Kritik würde normalerweise wohl deutlicher ausfallen. Aber beim Thema Forensik haben sich die Parteien schon vor vielen Jahren auf einen Nichtangriffspakt verständigt. „Ein möglichst weitreichender Konsens und Transparenz sind wichtig, damit das Thema sachlich behandelt, politisch nicht instrumentalisiert wird und keine Ängste in der Bevölkerung geschürt werden“, heißt es dazu im Gesundheitsministerium. Forensische Kliniken müssten „auch dann gebaut werden, wenn sie politisch unbequem“ seien.
Kommunen, die dem Ärger um den Bau forensischer Kliniken ins Auge sehen, können oft auf eine wohlwollende Unterstützung durch die Landesregierung an anderer Stelle als Wiedergutmachung zählen. Hinter vorgehaltener Hand ist zu erfahren, dass beispielsweise Lünen eine besondere Förderung bei der Teilnahme an der Internationalen Gartenausstellung 2027 erhält. Auch Wuppertal hofft auf üppige Landeszuschüsse, falls die Schwebebahnstadt den Zuschlag für die Bundesgartenschau 2031 bekommt.
Akzeptanz für Forensik in Köln-Porz bei Anwohnern gestiegen
Fest steht: Die forensischen Psychiatrien haben ein Imageproblem. Wie es hinter den Mauern einer Forensik aussieht, kennen die meisten Menschen nur aus Filmen, in denen man Leonardo DiCaprio dabei zuguckt, wie er in „Shutter Island“ auf einer Art Alcatraz für psychisch kranke Patienten durch düstere Flure hetzt, nur durch schwarze Metallgitter von dem wahnsinnigen Lachen vernarbter Insassen getrennt.
Auch bevor die Klinik in Porz 2009 eröffnet wurde, protestierten einige Anwohner vehement, aus Sorge vor Ausbrüchen von Patienten. Vor einer Informationsveranstaltung wurden kleine, weiße Kreuze für die Verbrechensopfer aufgestellt. Heute, sagt Lüder, sei die Akzeptanz für die Forensik wesentlich höher. Durch die Klinik seien Parkplätze entstanden, Laternen an den Wegen, in der Werkstätten des Krankenhauses bauen die Patienten Schränke und Regale für die Kita in der Nachbarschaft.
Vandalismussichere Mülleimer aus der Forensik-Werkstatt
Die Arbeitstherapie soll den Patienten den Berufsalltag erleichtern. Zudem lernen sie hier, ihre Konzentration zu verbessern und mit Misserfolgen umzugehen. In der Werkstatt der Forensik in Porz hängen einige Ergebnisse dieses Schaffens an der Wand oder liegen in den Regalen: Eine Skulptur eines rot angepinselten Maserati, die Kölner Skyline, mal aus Metall, mal aus Holz, auch die vandalismussicheren Mülleimer in Merheim wurden hier hergestellt.
Wenn die Patienten nicht gerade in Schulräumen, bei der Arbeitstherapie, Sporttherapie oder regulären Therapie sind, verbringen sie den Tag auf ihren Zimmern, den Gemeinschaftsräumen oder draußen im Innenhof. Auf dem Gelände patrouillieren keine Sicherheitsmitarbeiter, einzig an der Schleuse wacht ein Sicherheitsdienst. Stattdessen bestimmt das Pflegepersonal jeden Tag eine Person pro Station als Teil der Alarmgruppe: Wenn ein Patient in eine psychische Ausnahmesituation gerät, entweder selbst- oder fremdgefährdent wird, können die Pflegekräfte und Ärzte über einen Knopf an ihrem Gürtel einen Alarm auslösen. Die Mitglieder der Alarmgruppe werfen sich dann ihre Weste über und eilen zu Hilfe, versuchen zu deeskalieren und können den Patienten im Notfall überwältigen. Diese Alarmsituationen seien jedoch eher selten, sagt Schürrmanns.
19 Pflegekräfte für 22 Patienten
Im Erdgeschoss, mit Blick auf den Garten und gesichert durch eine doppelte Tür, liegt die Station fünf der Klinik. 19 Pflegekräfte arbeiten in der Wohneinheit, 22 Menschen leben hier, entweder mit einer diagnostizierten Psychose oder mit einer forensisch relevanten Intelligenzminderung. Auf Station fünf gestalten die Patienten ihre Freizeit: Sie kochen, mal alleine, mal zusammen, spielen Darts, grillen im Sommer auf der Terrasse. Die Station sieht aus wie eine Mischung aus Empfangszimmer beim Arzt, Krankenhausflur und Gefängnis, mit dem gläsernen Arbeitsraum für die Pflegekräfte, dem Aufenthaltsraum mit Billardtisch und mit den schweren Metalltüren zu den Patientenzimmern.
Nahe der Eingangstür befindet sich das Krisenzimmer: Es ist ein Raum, in dem Patienten in Ausnahmesituationen zur Ruhe kommen, wo sie weder sich noch ihren Mitmenschen etwas antun können. In Zeiten der Überbelegung muss die Klinik manche dieser Krisenräume in Patientenzimmer umwandeln. Denn Patienten ablehnen, das kann sie nicht.
Ab Herbst soll diese Überbelegung zumindest in Porz ein Ende haben: Der LVR geht davon aus, dass auf dem ehemaligen Sportplatz dann die ersten Patienten einziehen.