Nach dem steilen Anstieg der Kriminalität nach den Corona-Jahren hat sich die Kurve wieder abgeflacht. NRW-Innenminister Reul zeigt sich alarmiert.
Statistik für NRWDeutlicher Anstieg – Jugendkriminalität besorgt Innenminister Reul

Fast 100.000 Tatverdächtige in NRW waren 2024 jünger als 21 Jahre. Bei gefährlicher und schwerer Körperverletzung war ein Anstieg bei den tatverdächtigen Kindern um 8,5 Prozent festzustellen.
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Die NRW-Polizei verzeichnet einen deutlichen Rückgang bei der Gewaltkriminalität im öffentlichen Raum. Die Zahl der Fälle auf Straßen, Wegen oder Plätzen sank im vergangenen Jahr um 5,8 Prozent. Bei den Opfern reduzierte sich die Zahl um 8,9 Prozent. „Im Jahr 2024 hat die Polizei geackert und wie immer eine gute Performance hingelegt“, sagte der Innenminister bei der Vorstellung der Kriminalstatistik in Düsseldorf. Die Kriminalitätsbelastung auf einhunderttausend Einwohner gerechnet sank auf 7689 Fälle. „Im Jahr 2016 lagen wir noch bei 8225“, sagte Reul. Die Entwicklungen seien positiv, aber „kein Grund, Konfetti zu schmeißen“.
Als besorgniserregend empfindet der CDU-Politiker vor allem den Anstieg der Gewaltkriminalität bei den Kinder- und Jugendlichen. 99.984 Tatverdächtige des vergangenen Jahres waren unter 21 Jahre alt. Bei gefährlicher und schwerer Körperverletzung war ein Anstieg bei den tatverdächtigen Kindern um 8,5 Prozent festzustellen.
Reul hat Altersgrenze für Strafmündigkeit im Blick
Die Zahl der jugendlichen Tatverdächtigen ging insgesamt um acht Prozent zurück. Allerdings treten immer häufiger auch unter 14-Jährige mit Gewaltdelikten in Erscheinung. Insgesamt gerieten 44.000 Jugendliche ins Visier der Ermittlungsbehörden.
Derzeit sind Jugendliche in Deutschland erst ab einem Alter von 14 Jahren strafmündig. Angesichts der steigenden Gewaltbereitschaft von Kindern sieht der CDU-Politiker Reformbedarf: „Wir müssen über Strafmündigkeit nachdenken und ob es sinnvoll ist, das Alter zu senken“, sagte der Innenminister dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Dabei geht es darum, zu zeigen, dass diese Taten nicht als Kinderstreiche durchgehen, sondern Straftaten sind, die bestraft werden“, so Reul. „Unser Rechtsstaat sollte schon in frühen Jahren sichtbar werden und auf Straftaten reagieren können.“
Weniger Straftaten, aber mehr Gewalt
Mit Blick auf die Fußball-Euromeisterschaft im vergangenen Jahr war in Sicherheitskreisen eigentlich ein Anstieg der Straftaten erwartet worden. Doch der Fan-Zulauf bescherte der Polizei weniger Arbeit als gedacht. Die Zahl der Ladendiebstähle ging um 5,1 Prozent zurück. Insgesamt wurden 10.604 Tatverdächtige (2,1 Prozent) weniger als 2023 registriert.
Dennoch: Die Zahl der Morde und Mordversuche stieg im vergangenen Jahr um fast 16 Prozent von 154 auf 180 Fälle. Messer-Straftaten nahmen um über 20 Prozent auf fast 7300 Delikte zu, Drohungen eingeschlossen. Dass ausgerechnet die schwersten Gewaltdelikte mehr werden, sei „ein erschreckendes Alarmsignal für die Sicherheit in unserem Land“, sagte FDP-Innenexperte Marc Lürbke. Christina Kampmann, innenpolitische Sprecherin der SPD, warnte vor einer „weiter ungebremsten Eskalation der Gewalt“. 2024 wurden insgesamt 493.389 Tatverdächtige ermittelt.
Reul: Hass und Gewalt gegenüber Polizisten und Helfern entgegentreten
Der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger lag bei 35,6 Prozent (168.578). Bei den Fällen von Cyberkriminalität gab es ein Plus von 7,8 Prozent. „Die kriminelle Energie im Netz steigt“, sagte Minister Reul. Während es weniger Banküberfälle gebe, griffen die Täter jetzt digital an: „Die Schadenssumme, die im digitalen Raum ergaunert wurde, lag bei über 63 Millionen Euro. Die Dunkelziffer wird deutlich höher sein.“
In 10.000 Fällen habe es Widerstand gegen die Staatsgewalt gegeben. „Jeder Aggression, jedem Hass und jeder Gewalt gegenüber unseren Polizistinnen und Polizisten, gegenüber der Feuerwehr und dem Rettungsdienst, müssen wir entschlossen entgegentreten“, sagte Reul.
Die Deliktbereiche im Einzelnen:
RauschgiftkriminalitätDie Rauschgiftkriminalität ist um 34 Prozent zurückgegangen. Dieser Rückgang ist ganz wesentlich ein Effekt der Cannabis-Legalisierung. „Auf dieses Erbe der Ampel hätte ich gerne verzichtet“, sagte Reul. Das Berliner Cannabis-Regelwerk sei für die Polizisten nur schwer anzuwenden. Im Bereich der Designer-Drogen gebe es einen sprunghaften Anstieg von 39 Prozent. Beim Kokain, dazu zählt auch Crack, wurde vier Prozent mehr Fälle registriert. „Wir wissen, dass Crack die Leute absolut aggressiv macht. Insbesondere rund um Bahnhöfe ist das ein Thema“, erklärte Reul.
GewaltkriminalitätDazu gehören Straftaten wie Mord und Totschlag, Körperverletzungen mit Todesfolge, gefährliche und schwere Körperverletzungen – also Straftaten, die das Sicherheitsempfinden der Menschen direkt berühren und traumatische Folgen für Opfer und Angehörige haben. „Wir verzeichnen insgesamt 55.600 Fälle in diesem Bereich. Das ist ein Rückgang um ein halbes Prozent im Vergleich zum Vorjahr. „Also nichts, wo ich mich entspannt zurücklehne, aber Stagnation können wir das allemal nennen“, sagte Reul. „Das, was an anderer Stelle nicht klappt – Erziehung, Schule, Integration – landet bei der Polizei.“ Der Innenminister merkte noch an: „Dem lauten Wort folgt die Tat, immer öfter die Gewalttat. Die Zündschnur ist kürzer, der Umgang ruppiger.“
Mord und TotschlagIn der Straftatengruppe Mord und Totschlag wurden 479 Fälle erfasst, davon blieben 346 Fälle unvollendet. Von den insgesamt 603 Opfern wurden 136 getötet (22,6 Prozent). 91 Opfer lebten mit der tatverdächtigen Person in einem gemeinsamen Haushalt.
Ausländerkriminalität Von den Tatverdächtigen im Bereich Gewaltkriminalität haben 35,6 Prozent der mutmaßlichen Täter keinen deutschen Pass. „Die meisten dieser nichtdeutschen Täter stammen aus Syrien, der Türkei, Rumänien, Polen oder aus dem Irak“, sagte Reul.
In rund 75 Prozent der Fälle waren die Täter schon einmal in Erscheinung getreten. Reul sagte, auch die Kriminalität von Flüchtlingen sei ein Problem. In den vergangenen Jahren seien viele junge Männer nach NRW gekommen. „Das ist ja sowieso aus Sicht der Kriminologen eine Gruppe, die öfter kriminell in Erscheinung tritt als ältere Damen zum Beispiel“, so der Innenminister. Integration brauche seine Zeit und laufe „auch nicht immer nach Drehbuch“. Der ein oder andere werde „auch ein verdammt überholtes Bild von Männlichkeit mitgebracht haben“.

„Ich hoffe, dass unsere Maßnahmen jetzt schnell wirken und wir hier im nächsten Jahr eine gegenläufige Entwicklung sehen“, erklärte NRW-Innenminister Reul beim Thema Messergewalt und den eingeleiteten Maßnahmen zur Bekämpfung.
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Messergewalt2024 wurden rund 7300 Taten erfasst, in denen das Messer als Tatmittel eingesetzt wurde. Das ist ein Plus von 21 Prozent. „Die Kurve geht also weiter nach oben“, sagte Reul. Die Polizei gehe mit Waffenverbotszonen, individuelle Waffentrageverboten und mobiler Videobeobachtung gegen die Täter vor. „Ich hoffe, dass unsere Maßnahmen jetzt schnell wirken und wir hier im nächsten Jahr eine gegenläufige Entwicklung sehen“, erklärte der Innenminister.
Häusliche Gewalt Die häusliche Gewalt ist mit rund 61.400 erfassten Fällen um 1,9 Prozent gestiegen. Dies sei nur das Hellfeld, räumte Reul ein. Gerade bei häuslicher Gewalt erfahre die Polizei von ganz Vielem nichts, weil die Taten aus Angst und Scham nicht angezeigt würden.
Reul zu Rückgang bei Sexualdelikten: „Nur, weil wir auf dem Papier einen Rückgang haben, geht es unseren Kindern nicht automatisch besser“
SexualdelikteIm Jahr 2024 erfuhr die Polizei von rund 30.600 Sexualdelikten, das ist ein Rückgang um 5,8 Prozent. Auch im Bereich „Sexueller Missbrauch von Kindern“ gab es einen Rückgang um 12,6 Prozent. „Nur, weil wir auf dem Papier einen Rückgang haben, geht es unseren Kindern nicht automatisch besser“, sagte Reul.
Im Bereich Kinderpornografie seien die Schreibtische voll und die Ermittler überlastet. Hier sei die Einführung der Vorratsdatenspeicherung dringend erforderlich, um ohne Umweg zu den Tätern nach Hause zu kommen. Reul nannte es ein „Desaster für die Politik“, dass in dem Bereich in den letzten zwanzig Jahren keine Einigung erzielt werden konnte.
Körperverletzung Die Polizei hat mit 151.176 Körperverletzungen 1,7 Prozent mehr erfasst als im Vorjahr. Über 86 Prozent aller bekannten Körperverletzungen konnten aufgeklärt werden.
Wohnungseinbruch Im vergangenen Jahr wurden 28.500 Wohnungseinbrüche gemeldet - 46,3 Prozent der Wohnungseinbrüche blieben unvollendet. Der Schaden insgesamt beläuft sich auf circa 126 Millionen Euro. „Das ist natürlich happig. Liegt auch daran, dass die Elektrogeräte, die wir zuhause rumstehen haben, immer teurer werden“, sagte Reul. Die bisher höchste Quote bei Wohnungseinbrüchen lag im Jahr 2015 bei rund 62.400 Fällen.