Über Jahre sollen die gut vernetzten Köpfe der Gruppe reiche Ausländer nach Deutschland geschleust haben. Das ist über ihre Masche bekannt.
Netzwerk von Anwälten und PolitikernWas wir über den Schleuser-Skandal im Kölner Raum wissen
Die Festnahme am Düsseldorfer Flughafen lief geräuschlos ab. Nach knapp einmonatigem Aufenthalt im Ausland ließ sich der Kölner Anwalt Martin D. (Name geändert) am Dienstag kurz nach Verlassen des Fliegers aus Manila anstandslos festnehmen. Danach wanderte einer der mutmaßlichen Drahtzieher einer 38-köpfigen Schleuserbande nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ umgehend in eine Gefängniszelle. „Mein Mandant war nicht auf der Flucht, sondern befand sich auf einer Geschäftsreise“, sagte sein Verteidiger Martin Bücher dieser Zeitung. „Die Staatsanwaltschaft war darüber informiert, dass er heute wiederkommen und sich den Behörden stellen würde, um sich dem Verfahren zu stellen.“
Derweil hatte sein Anwaltspartner und mutmaßlicher Komplize mehr Glück: Wie die Staatsanwaltschaft Düsseldorf dieser Zeitung auf Anfrage mitteilte, wurde der Anwalt Claus B. am Dienstag gegen Auflagen von der Untersuchungshaft verschont. Für das Millionengeschäft mit Schleusungen meist reicher Chinesen soll der Jurist auch seine politischen Kontakte genutzt haben. Er spendete in den Jahren von 2020 bis 2023 knapp 53.000 Euro unter anderem an die CDU im Rhein-Erft-Kreis und im Rheinisch-Bergischen Kreis. Die Landespartei hat das Geld jetzt auf ein Treuhand-Konto überwiesen. Dort soll es so lange bleiben, bis die Angelegenheit geklärt ist.
Zu den hinterlegten Spenden gehören auch die 27.970 Euro, die die CDU im Rheinisch-Bergischen Kreis im Jahr 2022 für den Landtagswahlkampf des nordrhein-westfälischen Innenministers Herbert Reul (CDU) genutzt hat. Reul hat die Spende und den Kontakt zu dem Mann auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ bestätigt.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Düsseldorf gegen die Schleuserbande sind kompliziert, weshalb der „Kölner Stadt-Anzeiger“ die bisher bekannten Fakten noch einmal sortiert hat.
Der Vorwurf
Eine Bande, deren mutmaßliche Strippenzieher im Großraum Köln leben, soll seit 2015 in großem Stil vor allem wohlhabende Chinesen gegen viel Geld mit ergaunerten Aufenthaltstiteln nach Deutschland geschleust haben. Mitte April waren bei Razzien in acht Bundesländern mehr als 1000 Beamte der Polizei und der Staatsanwaltschaften im Einsatz. Elf Beschuldigte wurden verhaftet, zehn davon in der Kölner Region. Acht Verdächtige sind mit Auflagen mittlerweile wieder auf freiem Fuß.
Die insgesamt 38 mutmaßlichen Bandenmitglieder sollen 147 Personen nach Deutschland geschleust haben. Mit den später nachgeholten Familienangehörigen geht es um etwa 350 zumeist chinesische Staatsangehörige. Neben dem Vorwurf der Schleusung ermittelt die Staatsanwaltschaft Düsseldorf auch wegen des Verdachts der Bestechung und Geldwäsche.
Die Hauptverdächtigen
Die Drahtzieher der Bande sollen zwei Rechtsanwälte aus Köln und Frechen gewesen sein. Der 46-jährige Martin D. sitzt in Untersuchungshaft, sein mutmaßlicher Komplize Claus B. wurde mittlerweile freigelassen. Genauso wie der Geschäftsführer eines Unternehmens aus Frechen, der laut Aktenlage spätestens seit 2018 maßgeblich an den Schleusungen beteiligt gewesen sein soll. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat die Rechtsbeistände der Hauptbeschuldigten um eine Stellungnahme gebeten. Die wollten sich jedoch nicht zu den Vorwürfen äußern. Die Kanzlei von Martin D. (Name geändert) teilte mit, dieser habe „seine Funktionen und Tätigkeiten niedergelegt“. Der Sachverhalt werde intern untersucht. Ermittelt werde nur gegen den Ex-Kollegen, nicht gegen das Unternehmen.
Die Masche
Die Menschen, die nach Deutschland wollten, seien auf Internet-Plattformen und in Video-Präsentation angeworben worden, sagen die Ermittler. Beim Live-Chat zum „Residenzprogramm Deutschland“ wurde demnach beispielsweise der „Zugang zu erstklassigen Gesundheitseinrichtungen auf Weltklasse-Niveau“, ein „kostenloser Unterricht in Schulen und Universitäten mit Lehrveranstaltungen in Englisch“ oder „der Anspruch auf (die deutsche) Staatsbürgerschaft“ nach acht Jahren versprochen.
Bei der Beschaffung der Visa seien anfangs Investitionen der Einreisewilligen in Deutschland vorgetäuscht worden. Damit dies zur Einreise berechtige, müsse es für das Investment „ein wirtschaftliches Interesse oder ein regionales Bedürfnis“ geben, heißt es auf der Homepage der Bundesregierung. Es müsse sicher sein, dass die Tätigkeit „positive Auswirkungen“ auf die hiesige Wirtschaft „erwarten“ lasse. Die Finanzierung des Vorhabens müsse zudem durch „Eigenkapital oder durch eine Kreditzusage“ gesichert sein. Um dies vorzugaukeln, erteilten die Antragsteller der Kölner Anwalts-Sozietät zunächst eine Generalvollmacht. Von dort aus sollen den Behörden dann frei erfundene Business-Pläne, fingierte Wohnsitze sowie die Anteile der Chinesen an deutschen Scheinfirmen vorgelegt worden sein.
Oder das Eigentum an einer Immobile als Vermögensnachweis, die dann halt gekauft, aber nie bezogen wurde. In der Regel konnten die Chinesen noch nicht einmal über die Grundstücke verfügen, die sie erworben hatten, heißt es. Im Handelsregister Wuppertal jedenfalls wurden sie als Gesellschafter einer Offenen Handelsgesellschaft registriert, in Düren als selbstständige Kaufleute. Und meist kurze Zeit nach der Einreise beantragten sie eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre, die wegen der angeblichen Geschäftstätigkeit meist auch genehmigt wurde.
Im Jahr 2017 aber kamen bei den Mitarbeitenden der deutschen Auslandsvertretungen in China Zweifel auf, dass die Antragsteller tatsächlich in Deutschland selbständig tätig sein würden. Daraufhin änderten die Schleuser ihre Taktik. Ab jetzt sei keine Selbständigkeit mehr vorgetäuscht worden, sondern es seien gefälschte Arbeitsverträge etwa als „Geschäftsführer“ in deutschen Unternehmen vorgelegt worden. In ihren Anträgen bezogen sich die Schleuser jetzt auf den damaligen Paragraph 19a des Aufenthaltgesetzes, der den Zuzug zur „qualifizierten Beschäftigung“ erlaubt.
Das ergaunerte Geld
Das All-Inclusive-Paket für den Deutschland-Aufenthalt von zunächst drei Jahren kostete laut einer Präsentation der mutmaßlichen Schleuser 360.000 Euro. Den dicksten Posten mit 250.000 Euro machte demnach ein „Investitionsbetrag“ in einen angeblichen „Entwicklungsfonds“ aus. Für die vorgetäuschte Wohnanschrift der Scheinmigranten in Deutschland wurden 25.000 Euro kassiert. Dazu, unter dem Stichwort „ständiger Wohnsitz“, kamen noch 20.000 Euro Anwaltskosten. Weitere 27.000 Euro wurden für die mutmaßlich vorgetäuschte Geschäftstätigkeit kassiert und 38.000 Euro für nicht näher spezifizierte „Beratungskosten“.
Im „Angebot“ enthalten waren auch die Verhandlungen und Anträge bei den deutschen Behörden, etwa für ein Visum, einen Arbeitsvertrag oder die gewünschte Aufenthaltsgenehmigung. Das komplizierte Konstrukt soll 29 Unternehmen und 205 sogenannte Anderkonten beinhaltet haben, auf die die Kunden der mutmaßlichen Schleuser den Ermittlungen zufolge insgesamt 9,2 Millionen Euro eingezahlt haben. Mit dem Geld sollen beispielsweise die Scheinfirmen gegründet und vermeintliche Lohnzahlungen vorgetäuscht worden sein. Darüber hinaus hätten sich die Beschuldigten mit „nicht unerheblichen Beträgen“ an dem eingezahlten Geld „bereichert“.
Die Behörden
Die jahrelangen Aufenthaltserlaubnisse wurden von den Ausländerämtern in Solingen, im Rhein-Erft-Kreis, Kerpen und Düren erteilt, wo die Staatsanwaltschaft Mitte April teilweise auch durchsucht und Unterlagen beschlagnahmt hat. In dem Zusammenhang wird unter anderem gegen zwei Mitarbeiter aus Solingen ermittelt. Einer der beiden sitzt bei der Stadtverwaltung, der andere arbeitet bei der kommunalen Wirtschaftsförderung. Beide sollen gewusst haben, dass die Anträge der Schleuser auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf falschen Angaben beruhten.
In U-Haft genommen wurde Jens Bröker, ein einst führenden SPD-Politiker und Leiter der Stabsstelle für Innovation im Landkreis Düren. Der soll mit 300.000 Euro geschmiert worden sein. Seit 2018 habe er für die Schleuser Probleme bei der Ausländerbehörde in Düren gelöst. Neben seiner Stabsstellenfunktion leitete Bröker auch die Indeland GmbH. Die interkommunale Entwicklungsgesellschaft fördert den Strukturwandel nach dem geplanten Ende des Braunkohletagebaus im Jahr 2030. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ergaben, dass der mittlerweile geschasste Indeland-Chef Bröker seine mutmaßlichen Schmiergeldgeber ins Boot geholt haben soll. Die beschuldigten Schleuser-Anwälte sollen Berater-Honorare von der GmbH kassiert haben. Brökers Rechtsanwalt wollte zu den Vorwürfen auf Anfrage nicht Stellung beziehen.
Die Spenden an die CDU
Insgesamt fast 53.000 Euro hat der Frechener Rechtsanwalt Claus B. von 2020 bis 2023 an Kreisverbände und Gliederungen der CDU gespendet. Seitens der Partei und ihrer Kreisverbände bestehe „größtes Interesse daran, dass die zugrundeliegenden Sachverhalte vollumfänglich aufgeklärt werden“, teilte ein Sprecher der Landespartei vor einigen Tagen mit. Die CDU reagierte mit der internen Untersuchung und Offenlegung auf einen Bericht des„ Kölner Stadt-Anzeiger“. Der 42-jährige Jurist, der seit Mitte April in Untersuchungshaft saß, hat nach den derzeitigen Erkenntnissen der Christdemokraten vor allem Kreisverbände aus dem Großraum Köln bedacht.
So habe der Kreisverband Rhein-Erft von dem Mann, der bis Ende 2023 CDU-Mitglied gewesen sei, in drei Tranchen insgesamt 12.500 Euro erhalten. Rhein-Berg bekam 29.970 Euro und die Junge Union im Bund sowie in NRW jeweils 5000 Euro. Die internen Recherchen in der Angelegenheit jedoch würden weiter laufen. Noch nicht überprüft worden sei, ob es auch Spenden von weiteren Firmen des Netzwerkes oder direkt vom zweiten Hauptbeschuldigten der mutmaßlichen Schleuser-Bande gegeben hat, vom Kölner Anwalt Martin D. (Name geändert).
Der Verdacht gegen CDU-Politiker aus dem Rhein-Erft-Kreis
Hinter der Recherche und Transparenz der CDU steht womöglich auch die Sorge, dass sich ein Parteifreund für die Schleuser eingesetzt haben könnte. Wie diese Zeitung aus Justizkreisen erfuhr, geht der zuständige Staatsanwalt Hendrik Timmer in Düsseldorf zumindest in einem Fall dem Anfangsverdacht nach, ob ein regional führender Politiker für die Spende Türen bei Ausländerämtern geöffnet haben könnte. In dem Zusammenhang wurde bei dem Christdemokraten im Rhein-Erft-Kreis durchsucht.
„Unser Mandant war nicht in strafbarer Weise an Aktivitäten beteiligt, die es Menschen aus dem Ausland ermöglicht hätten, auf nicht legalem Weg in Deutschland Fuß zu fassen. Von kriminellen Schleuser-Aktivitäten hatte unser Mandant niemals Kenntnis oder auch nur eine Ahnung“, erklärte der Anwalt des Verdächtigen auf Anfrage. Auch habe der Politiker „im Zusammenhang mit dem beschuldigten Rechtsanwalt niemals eine Aktivität in Erwartung einer Spende unternommen“.
Gelder aus dem Schleusertopf sollen den Ermittlungen zufolge auch dazu gedient haben, das Hotel „Villa Sophienhöhe“ des Ex-Landrats Werner Stump über eine Gesellschaft finanziell über Wasser zu halten. Auch bei dem CDU-Politiker wurde durchsucht, sein Anwalt hat jegliche Vorwürfe gegen seinen Mandanten zurückgewiesen. Stump veranlasse „alles Erforderliche, um in Kooperation mit den Ermittlungsbehörden eine Aufklärung des Sachverhaltes zu ermöglichen“, sagte der Jurist.