Ein altgedienter Christdemokrat aus dem Rhein-Erft-Kreis soll versucht haben, dem mutmaßlichen Schleuser-Chef Informationen zu einer bevorstehenden Razzia zu besorgen.
Schleuser-SkandalCDU-Politiker soll mutmaßlichen Bandenchef konspirativ unterstützt haben
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Ein Polizist trägt bei der Razzia gegen die mutmaßliche Schleuserbande im April 2024 einen Karton aus einem Gebäude.
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Der Anruf am späten Nachmittag des 8. April 2024 galt einem brisanten Thema. Der Kölner Anwalt Claus Brockhaus, mutmaßlicher Chef einer Bande, die gegen millionenschwere Honorare hunderte vermögende Migranten aus China und der arabischen Halbinsel nach NRW eingeschleust haben soll, schien nervös zu sein. Seinen Gesprächspartner, einen einflussreichen CDU-Politiker aus dem Rhein-Erft-Kreis, bat der Parteifreund um einen wichtigen Gefallen.
Brockhaus hatte über einen Komplizen erfahren, dass in den kommenden Tagen in einem chinesischen Unternehmen in Frechen eine Razzia durch die Strafverfolgungsbehörden anstehe. Ein vereidigter Dolmetscher sei dafür vom Bundeskriminalamt angefordert worden. Auch die mutmaßliche Schleusergruppe hatte damals ein Unternehmen in Frechen, das für das Netzwerk eine wichtige Rolle gespielt haben soll. Der CDU-Politiker möge doch mal seine Kontakte anzapfen, um Näheres zu erfahren, so Brockhaus.
Die Telefone der Verdächtigen wurden abgehört
Dies könne er möglicherweise am Rande des kommenden Bundesparteitages am 6. Mai in Erfahrung bringen, entgegnete der CDU-Mann. So steht es in belauschten Telefonüberwachungsprotokollen, die der „Kölner Stadt-Anzeiger“ einsehen konnte.
In den folgenden Tagen entspann sich ein reger, konspirativer Gesprächsaustausch der beiden Protagonisten. Telefone wurden gewechselt, um möglichen Abhörmaßnahmen der Ermittler zu entgehen. Und es war von einem geheimen Informanten aus dem Bundestag die Rede, der gute Kontakte zu den Ermittlungsbehörden wie etwa dem BKA habe.
Geheimnistuerei des einflussreichen Christdemokraten
Die Geheimnistuerei will so gar nicht zu den Aussagen des altgedienten CDU-Manns passen. Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ im Juni vergangenen Jahres berichtete, gibt es in diesem Zusammenhang noch zahlreiche weitere von der Bundespolizei abgehörte Telefonate. Und die legen nahe, dass der Christdemokrat sich bei der Verwaltungsspitze im Landkreis massiv für die Interessen des mutmaßlichen Schleuserchefs eingesetzt hat.
Über seinen Medienanwalt Marcel Leeser hatte der Politiker gegenüber dieser Zeitung mehrfach betont, in keiner strafbaren Weise an Aktivitäten beteiligt gewesen zu sein, die es Menschen aus dem Ausland ermöglicht hätten, auf nicht legalem Weg in Deutschland Fuß zu fassen. „Von kriminellen Schleuser-Aktivitäten hatte unser Mandant niemals Kenntnis oder auch nur eine Ahnung“, so der Anwalt.
Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Schleusung und Bestechlichkeit
Angesprochen auf die neuen Protokolle der Telefonüberwachung zur drohenden Razzia, die der „Kölner Stadt-Anzeiger“ einsehen konnte, betonte Leeser, dass sein Mandant „keine Kenntnis von möglichen strafbaren Handlungen“ gehabt habe. Frank Langen, der strafrechtliche Verteidiger des CDU-Mannes, teilte mit: „Der Verteidigung sind die angeführten Telefonprotokolle bekannt. Ich werde zu gegebener Zeit dazu gegenüber der Ermittlungsbehörde Stellung nehmen.“
Die Staatsanwaltschaft ermittelt weiterhin gegen den Christdemokraten wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Schleusung und der Bestechlichkeit. Der einflussreiche Politiker soll beim Schleuserchef Brockhaus für die CDU im Rhein-Erft-Kreis Dankeschön-Spenden für seine politische Einflussnahme eingeworben haben. Tatsächlich flossen in den Jahren 2021 und 2022 insgesamt 12.500 Euro an die Partei im Landkreis durch Anwalt Brockhaus. Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung.
Kontaktmann sollte sich beim Bundeskriminalamt erkundigen
Die „Razzia-Telefonate“ indes nähren weitere Zweifel an den Unschuldsbeteuerungen des Spitzenpolitikers. Nach dem ersten Anruf am Montag, dem 8. April, häuften sich die Gespräche mit dem mutmaßlichen Schleuserchef. Am Mittwoch wolle sein Kontaktmann beim Bundeskriminalamt nachfassen, um etwas herauszufinden, versicherte der CDU-Mann dem Anwalt Brockhaus. Letzterer schlug vor, parallel über das Büro des Landrats Frank Rock Razzia-Infos abzuschöpfen. Immerhin war Rock auch der Chef der örtlichen Kreispolizeibehörde.
Einen Tag später berichtete der CDU-Politiker, dass er mit dem Landrat zwar gesprochen habe, aber nichts in Erfahrung bringen konnte. Am darauffolgenden Tag meldete sich der Christdemokrat erneut bei dem mutmaßlichen Schleuserboss. Sein Kontaktmann habe beim BKA die nötigen Erkenntnisse erhalten. Weitere Infos wolle der Informant aber nur über eine abhörsichere Festnetzleitung weitergeben, jedenfalls nicht über die normalen Handy- oder Festnetzanschlüsse des CDU-Mannes.
Telefon gewechselt wie im Agentenkrimi
Um diese Bedingung zu erfüllen, würde er gleich zu einem Bekannten fahren, sagte der CDU-Politiker. Von dort aus könne er problemlos telefonieren. Ein Katz-und-Maus-Spiel beginnt: Auch seine Quelle aus dem Bundestag habe mehrfach die Telefonanschlüsse gewechselt, heißt es später am Abend.
Sein Kontakt jedenfalls habe ihm geraten, nichts mehr zu unternehmen, sagte der CDU-Politiker. Mehr würde der Mann ihm nur bei einem Treffen in Berlin verraten. Vielleicht sollte er tatsächlich in die Hauptstadt fahren, sagte der CDU-Politiker zu Brockhaus.
Mutmaßliche Schleuser wurden von Razzia überrascht
Denn so zurückhaltend habe er seine Quelle noch nie erlebt. Der Informant arbeite für die Bundeswehr und den militärischen Abschirmdienst unter anderem als Kontakt zum Bundeskriminalamt. Nichts mehr zu tun, wie der Bekannte ihm geraten habe, sei aber eigentlich nicht sein Ding, so der Christdemokrat. Am 12. April kündigte er deshalb seine Reise nach Berlin an. Um sich ein paar Tage später mit der Botschaft zu melden, nichts über eine eventuell bevorstehende Durchsuchung erfahren zu haben.
Und so erging man sich in Zuversicht. Wenn es problematisch werde, würde man ihn bestimmt benachrichtigen, betonte der CDUler. Der mutmaßliche Schleuserchef Brockhaus war zufrieden. Ja, es sei gut, den Kontakt mit dem geheimen Informanten nicht abbrechen zu lassen. Auch wenn das im Optimalfall überflüssig sei. Wenn eine Razzia beim Unternehmen des eigenen Netzwerkes also in Wahrheit gar nicht drohe.
Wie man sich doch irren kann! Denn nicht das BKA, sondern die Bundespolizei ermittelte – unter Führung des Düsseldorfer Staatsanwaltes Hendrik Timmer. Und an dem Tag nach dem Telefonat zwischen Christdemokat und mutmaßlichem Schleuserchef, am 17. April vergangenen Jahres, durchsuchten 1.000 Beamte bundesweit rund 100 Wohn- und Geschäftsräume des Netzwerkes. Darunter auch die Frechener Firma, die für die verdächtige Schleuser-Bande von großer Bedeutung gewesen sein soll.