Der 39-Jährige, der dringend tatverdächtig ist, ein verheerendes Feuer mit vier Toten in Solingen gelegt zu haben, sitzt in Untersuchungshaft.
Brandanschlag in SolingenZwei Kinder und ihre Eltern starben – Der mutmaßliche Täter ist gefasst
Es scheint, als habe er einen unbändigen Hass gehegt. Auf seine ehemalige Vermieterin, die ihm die Wohnung im Hinterhof eines Mehrfamilienhauses in Solingen zum Jahresbeginn 2022 wegen Mietschulden gekündigt hatte. Auf die Welt generell, vor allem aber auf die Menschen, die ihn vermeintlich vertrieben hatten. Der 39-jährige Daniel S. hat kein Leben auf der Sonnenseite geführt. Kleinere Delikte waren bereits aktenkundig: Unterschlagung und Diebstahl – aber nichts derart Monströses, wie es sich bei dem Verbrechen in der Nacht auf den 25. März gegen 2.50 Uhr ereignete.
In dieser Nacht soll S. mithilfe von Brandbeschleunigern in dem Altbau in der Grünewalderstraße ein Feuer gelegt haben. Die Flammen schlugen durch das hölzerne Treppenhaus hoch. Für eine vierköpfige bulgarische Familie im Dachgeschoss kam jede Hilfe zu spät. Der 29-jährige Vater, die ein Jahr jüngere Mutter sowie die dreijährige Tochter und ein fünf Monate alter Säugling starben. 20 Menschen wurden teils schwer verletzt. Seit Dienstag sitzt Daniel S. in Untersuchungshaft. Er steht unter dem Verdacht des vierfachen Mordes.
Ermittlungserfolg, aber auch schlimme Erinnerungen
Am Mittwoch haben Staatsanwaltschaft und Polizei den Ermittlungserfolg bekannt gemacht. Der Wuppertaler Polizeipräsident Markus Röhrl wies Spekulationen zurück, wonach erneut ein fremdenfeindliches Tatmotiv eine Rolle gespielt habe. „Schlimme Erinnerungen“ seien wach geworden, so an jenen Brandanschlag 1993, bekannte der Polizeichef. Seinerzeit hatten Neo-Nazis ein von meist türkischen Mietern bewohntes Haus in Solingen angezündet. Fünf Menschen starben.
Im aktuellen Fall schloss Röhrl einen fremdenfeindlichen Hintergrund aus. Eine erhebliche Verunsicherung habe es in der Bevölkerung gegeben. Er sei nun erleichtert, dass der Fall im Wesentlichen aufgeklärt sei. Dabei half auch ein anderes Verbrechen. Der mutmaßliche Vierfach-Mörder Daniel S. soll einen Bekannten Tage nach dem Brandanschlag wegen eines gescheiterten Drogendeals mit einer Machete schwer verletzt haben. Weitere Ermittlungen führten auf die Spur des Deutschen.
Überwachungskameras gaben wichtige Hinweise
Die Chronologie der Nachforschungen zeigt, wie wichtig Videoüberwachung an neuralgischen Punkten sein kann: Bereits kurz nach dem tödlichen Feuer stellte der Gutachter Überreste von Brandbeschleunigern in dem ausgebrannten Treppenhaus fest. Aus Überwachungskameras benachbarter Tankstellen und anderer Betriebe sicherten die Ermittler eine männliche Person, die sich kurz vor der Tatzeit in auffälliger Weise in einem Park vor dem Wohnhaus in der Grünewalderstraße bewegte. „Er ging mehrfach hin und her, und hat Sachen hin und hergetragen“, berichtete Staatsanwalt Heribert Kaune-Gebhardt. Allerdings seien die nächtlichen Aufnahmen so unscharf gewesen, dass der Mann nicht erkennbar gewesen sei. Folglich versuchte man die unbekannte Person mit anderen Mittel zu identifizieren.
Obwohl die Belege fehlten, spekulierten in der Zwischenzeit Tayfun Keltek, Vorsitzender des Landesintegrationsrates, sowie die Erdogan-Regime nahe türkisch-islamische Religionsgemeinschaft Ditib auf einen fremdenfeindlichen Anschlag. Man müsse „rassistische Hintergründe“ hinter der Tat vermuten, meinte Keltek. Nach seinen Angaben seien bis auf eine Person alle Hausbewohner „türkischstämmige Muslime aus Bulgarien oder der Türkei“. Bei der getöteten Familie handelt es sich dem Islamverband zufolge um eine „muslimische Familie mit bulgarischer Staatsbürgerschaft“. Die Ditib-Gemeinde vor Ort habe bereits erste Gespräche mit den Hinterbliebenen aufgenommen.
Ermittlungen deuten auf Rache als Motiv hin
Tatsächlich aber führten die Ermittlungen zu einem ganz anderen Motiv: Offenbar ging es um Rache wegen des Rauswurfs aus der Wohnung. Daniel S. zog in ein anderes Viertel. Sein neues Heim verfügte über einen eigenen Werkraum. Zudem soll er laut Staatsanwaltschaft Cannabis-Pflanzen gezogen haben. Akribisch verfolgten die Todesermittler sämtliche Spuren. Insbesondere die Videoaufnahmen nahe dem Tatort. Die Aufzeichnungen liefen durch Scanner, bis die Mordkommission (MK) Grün nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ am 8. April endlich über Filter ein Lichtbild von Daniel S. aus dem Jahr 2022 gewinnen konnte. Auf den Durchbruch folgte die Überwachung der Zielperson. Zumal die Ex-Vermieterin den Strafverfolgern von dem Mietstreit berichtete.
Noch am selben 8. April erwirkte die Staatsanwaltschaft auch einen Durchsuchungsbeschluss. Während die Ermittler den taktischen Zugriff vorbereiteten, rastete Daniel S. offenbar aus. Mit einer Machete soll er auf einen Bekannten eingeschlagen haben. Gleich mehrfach, so Staatsanwalt Kaune-Gebhardt, sauste die Klinge von bis zu 45 Zentimetern auf das Opfer nieder. Der 44-jährige Wohnungsinhaber konnte dennoch in das Treppenhaus fliehen. Dort soll ihm S. die Waffe erneut auf den Kopf gehämmert haben. Nur durch eine Notoperation konnte das Opfer gerettet werden. Vor dem Eingriff hat der 44-Jährige den Informationen zufolge noch den Namen des Angreifers genannt. Einer der zwei Zeugen der Macheten-Attacke gab an, der Täter habe „Sieg Heil“ gerufen. Doch für einen rechtsextremen Hintergrund fanden sich bisher keine weiteren Hinweise. Weder das Opfer noch der zweite Zeuge wollen diesen Ausruf gehört haben.
Derweil zog sich die Schlinge zu. Als die Ermittler die Räume des Tatverdächtigen Daniel S. durchsuchten, entdeckten sie im Keller Kleidung und Benzinkanister, die zu dem Brandanschlag zwei Wochen zuvor passten. Nach der Festnahme fanden sich bei der Spurensicherung, so die Recherchen dieser Zeitung, an einer Hand ein pinkfarbener Lackabrieb. Genau mit diesem Lack wurde der Bewegungsmelder im Brandhaus eingesprüht, um einen vorzeitigen Feueralarm zu verhindern.
Derzeit schweigt Daniel D. zu den Vorwürfen. Der Verteidiger des Beschuldigten wollte sich auf Anfrage nicht zu dem Fall äußern.