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Türkei-WahlManipulationen bei NRW-Stimmen sind nicht auszuschließen

Lesezeit 4 Minuten
Berivan Aymaz, Vizepräsidentin des Landtags NRW

Landtagsvizepräsidentin Berivan Aymaz (Grüne)

Das Votum der 500.000 in NRW lebenden Stimmberechtigten könnte bei der Wahl in der Türkei entscheidend sein, sagt Berivan Aymaz, Vize-Landtagspräsidentin der Grünen. Manipulationen hält Aymaz für nicht ausgeschlossen.

Frau Aymaz, die Stimmabgabe für die Präsidentschaftswahlen in der Türkei in NRW ist abgeschlossen. Bilden die Wähler aus NRW das Zünglein an der Waage?

Berivan Aymaz: In den Umfragen liegt Kılıçdaroğlu, der Herausforderer von Erdoğan, konstant vorne. Der Vorsprung ist jedoch knapp. Daher kommt es für beide Seiten auf jede Stimme an. Die 1,5 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland, davon knapp 500.000 in NRW, können bei dieser Wahl entscheidend sein.

Wie schätzen Sie das Risiko ein, dass es bei der Auszählung Manipulationen gibt?

Die Opposition bereitet sich seit Wochen intensiv darauf vor, die Stimmabgabe, die Stimmenauszählung und den Transport der Stimmzettel in die Sammelstellen mit ihren Vertretern ganz eng im Blick zu behalten. Außerdem werden internationale Wahlbeobachterinnen und -beobachter vor Ort sein, um den Wahlablauf und die Auszählung zu dokumentieren. Dennoch ist das Risiko einer Manipulation nicht gänzlich ausgeschlossen. Erdoğan und seinem Regime geht es schließlich um Machterhalt.

Wir haben in NRW einen eher leisen Wahlkampf erlebt….

Die AKP hat bei dieser Wahl eine geschickte Strategie eingesetzt: Im Gegensatz zu den vergangenen Wahlen hat sie dieses Mal weitestgehend auf öffentlichkeitswirksame Großveranstaltungen, wie wir sie im Jahre 2014 in der Lanxess Arena erlebt haben, verzichtet. Schon sehr früh, bereits im letzten September, hat sie damit begonnen, kleinere, aber landesweite Veranstaltungen auszurichten. Es sollen 120 AKP-Abgeordnete und mehr als 40 Bürgermeister eigens aus der Türkei für den Wahlkampf in Europa angereist sein. Das gesamte Portfolio eines Wahlkampfes, vom Haustürwahlkampf über Flyer-Aktionen bis hin zum Transport mit Bussen zu den Wahllokalen, wurde fern von öffentlicher Aufmerksamkeit bedient.

War der Wahlkampf fair?

Von Fairness kann hier nicht die Rede sein. Die AKP bedient sich eines Netzwerkes, das sie hier in den letzten Jahrzehnten aufgebaut hat. So sind zum Beispiel die fast 300 Moscheegemeinden der Ditib in NRW zentrale Orte für Erdoğans Wahlkampf. Hinzu kommt, dass die türkischsprachigen Medien, die auch in vielen Haushalten in NRW verbreitet sind, inzwischen weitestgehend als Propagandamaschinerie der AKP fungieren. Die demokratische Opposition dagegen verfügt hier in Deutschland kaum über Strukturen, ihr bleibt vor allem das Werben über Social-Media-Kanäle.

Muss das Land neue Spielregeln für künftige Wahlkämpfe festsetzen?

Da, wo Wahlen stattfinden, muss auch ein freier, fairer Wahlkampf möglich sein. Der verstörende Auftritt eines AKP-Abgeordneten im Januar dieses Jahres in der Moscheegemeinde in Neuss hat gezeigt, dass die 2017 eingeführten Regeln für Wahlkampfauftritte ausländischer Amts- und Mandatsträger leicht zu umgehen sind. Wir brauchen eine klare Antwort darauf, wie wir dem Einfluss und der Wirkungsmacht von autokratischen Systemen entgegenwirken können.

Falls Erdogan scheitert – wird er seine Abwahl akzeptieren?

Das ist schwer einzuschätzen. Seine jüngsten Äußerungen erwecken den Eindruck, dass das AKP-Regime und seine Unterstützer eine Niederlage nicht ohne Weiteres akzeptieren werden. Dies schürt Unsicherheit und Angst innerhalb der Bevölkerung. Bereits jetzt verbreitet die Erdoğan-Riege das Narrativ, der Wahltag sei ein Putschversuch des Westens und diffamiert Präsidentschaftskandidat Kılıçdaroğlu als einen Kandidaten der „Terroristen“, dem das Volk auch bei seiner Wahl das Land nicht überlassen werde. Umso wichtiger ist es, dass auch von europäischer Seite unmissverständlich deutlich gemacht wird, dass das Wahlergebnis, wie es auch immer ausfällt, anzuerkennen ist.

„Kurdische Einrichtungen müssen vor Übergriffen geschützt werden"

Kann der Wahlausgang auch zu neuen Spannungen zwischen Türken und Kurden in NRW führen?

Der Wahlkampf in der Türkei gestaltet sich insbesondere durch die Rhetorik von Erdoğan und seinen Unterstützern immer rauer. Ich möchte an alle appellieren, sich auch am Wahlabend nicht provozieren zu lassen. Kurdische Einrichtungen müssen ganz besonders vor Übergriffen ultranationaler Gruppen geschützt werden, weil sie als Königsmacher für den Oppositionskandidaten Kılıçdaroğlu gelten.

Es heißt, dass die in NRW lebenden Türken tendenziell konservativer sind als die Landsleute in ihrer Heimat. Stimmt das? Oder haben sich die Strukturen verändert?

Die türkeistämmige Community ist vielfältig und nicht homogen. Allerdings hat das AKP-Regime in den letzten 20 Jahren mit seiner unverfrorenen Diaspora-Politik einen massiven Einfluss auf die hier lebenden Menschen ausgeübt. Deren Diskriminierungserfahrungen wurden populistisch instrumentalisiert mit dem Ziel, als Antwort darauf den türkischen Nationalismus zu schüren. Hier wurde vonseiten der Politik viel zu lange weggeschaut.