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Sorge um EskalationSteht die Welt vor einem dritten Weltkrieg, Herr Liminski?

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NRW-Europaminister Nathanael Liminski im Gespräch mit Serhiy Lysak,  Gouverneur der Partnerregion  Dnipropetrowsk in der Kölner Flora.

NRW-Europaminister Nathanael Liminski im Gespräch mit Serhiy Lysak, Gouverneur der Partnerregion Dnipropetrowsk, in der Kölner Flora.

NRW zählt zu den Stützpfeilern der Ukraine-Hilfe. Der Krieg steht vor einem Wendepunkt. Bringt der Winter eine neue Flüchtlingswelle? Im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ skizzieren NRW-Europaminister Nathanael Liminski und der Gouverneur der Partnerregion Dnipropetrowsk, Serhiy Lysak, ihren Blick auf die aktuelle Lage.

Herr Gouverneur Lysak, die USA haben den Einsatz von Langstreckenwaffen erlaubt – kann das den Krieg zugunsten der Ukraine wenden?

Ja, ich gehe davon aus, dass uns der Einsatz von Langstreckenraketen dem Sieg ein Stück näherbringt. Deswegen ist die Entscheidung der US-Administration ein wichtiger Schritt, für den wir sehr dankbar sind.

Herr Liminski, wie groß ist die Gefahr, dass Putin Raketenangriffe zum Anlass nimmt, den dritten Weltkrieg zu beginnen?

Wenn er das vorhätte, hätte Putin das schon längst getan. Wir sollten uns nicht einreden lassen, dass wir mit der Verteidigung der Ukraine den Grund für Russlands Aggression liefern. Allein Entschlossenheit auf dem Schlachtfeld wird ihn dazu bewegen, in Gespräche über einen Waffenstillstand einzusteigen.

Ist das Risiko nicht enorm groß, dass es zu einer atomaren Eskalation kommt? Immerhin hat Moskaus gerade angekündigt, die Schwelle für einen möglichen Atomschlag zu senken.

Es war vor allem das Zögern und Zaudern des Westens, das Putin Glauben machte, er werde diesen Krieg gewinnen. Wenn wir nicht die absolute Bereitschaft zeigen, die Ukraine zu verteidigen, werden wir Putin nicht dazu bringen, den Krieg zu beenden. Er alleine hat ihn angefangen – und er alleine kann ihn umgehend beenden.

Kann die Taurus-Frage auch zu einer Frischzellenkur für Olaf Scholz und die SPD im Bundestagswahlkampf werden?

Scholz versucht, Parallelen zwischen sich, seinem großen Vorbild Helmut Schmidt und seinem Vorgänger Gerhard Schröder herzustellen. Im Gegensatz zu Scholz hatte Schmidt einen klaren Kompass in der Ostpolitik. Schröder machte 2002 sein Nein zum Irak-Krieg zum Wahlkampfschlager – und dient heute dem Kriegstreiber Putin. Doch die Ausgangslage heute ist eine völlig andere. Jetzt ist Deutschland bedroht. Wenn es um Verteidigung und Völkerrecht geht, darf Wahlkampftaktik keine Rolle spielen.

Ein zerstörter ukrainischer Krankenwagen- der Fahrer und ein Sanitäter wurden von der russischen Armee erschossen, die Ärztin Viktoria verschleppt.

Ein zerschossener ukrainischer Krankenwagen wurde anlässlich der Ukraine-Konferenz in Köln zu Beginn der Woche als Mahnmal ausgestellt. Der Fahrer und ein Sanitäter wurden von der russischen Armee erschossen, die Ärztin Viktoria verschleppt.

Herr Gouverneur, ist es denkbar, dass die Ukraine annektierte Gebiete im Rahmen von Friedensgesprächen an Russland abtritt?

Präsident Selenskyj hat kürzlich einen Friedensplan vorgestellt. Darin hat er klargestellt, dass ein Frieden erst möglich ist, wenn sich die russischen Truppen aus allen annektierten Gebieten zurückgezogen haben. An dieser Position hat sich nichts geändert.

Der dritte Kriegswinter steht bevor. Rechnen Sie damit, dass viele Menschen das Land verlassen, um in Deutschland Schutz zu suchen?

Die Wintermonate können durch Strom- und Heizungsausfälle hart werden. Die meisten Menschen, die das Land verlassen haben, sind Frauen und Kinder. Wer Schutz suchen wollte, hat das schon bald nach Kriegsbeginn getan. Von daher gehe ich nicht von einer neuen Welle aus. Die Situation ist schwierig. Aber die Bevölkerung hat den festen Willen, sich der russischen Aggression entgegenzustellen.

NRW hilft beim Wiederaufbau der zerstörten Städte. Macht denn der Wiederaufbau angesichts der fortgesetzten Zerstörungen Sinn?

Aber sicher. Die Wiederherstellung der Energie- und Wasserversorgung ist ja alternativlos. Da müssen wir schnell reagieren, wenn wir verteidigungsfähig bleiben wollen. Beim Wiederaufbau zu zögern, wäre unterlassene Hilfeleistung.

Zwei Blockheizkraftwerke für die Ukraine aus NRW – ein Tropfen auf den heißen Stein?

Herr Liminski, NRW liefert zwei Blockheizkraftwerke. Ist das nicht ein Tropfen auf den heißen Stein?

NRW hat seit Beginn des Krieges insgesamt zehn Millionen Euro an Hilfsleistungen auf den Weg gebracht. Die beiden Blockheizkraftwerke sind die nächsten Projekte auf unserer Agenda. Wir bemühen uns darum, die Unterstützung auch unter haushälterisch schwierigen Bedingungen fortzusetzen. Dabei bauen wir nicht nur Infrastruktur wieder auf, sondern haben auch die Menschen im Blick, die dieser Krieg verwundet hat. Mit 750.000 Euro unterstützen wir den Aufbau einer Prothesenwerkstatt, die Kriegsopfern buchstäblich wieder auf die Beine helfen wird. Mit alldem mobilisieren wir zusätzliches zivilgesellschaftliches Engagement in ganz NRW.

An den NRW-Schulen werden derzeit 29.000 Kinder unterrichtet. Gibt es noch Kapazitätsreserven.

Erziehungs- und Lehrkräfte in NRW leisten für die Betreuung und Beschulung der ukrainischen Kinder wirklich Großartiges. Das ist ein enormer Kraftakt, den die Ukrainer hier und in der Ukraine auch sehen. Die Beschäftigten in Kitas und Schulen leisten damit einen konkreten persönlichen Beitrag, Freiheit und Demokratie zu verteidigen. Die Ukraine kann sich auf uns verlassen. Wir tun alles, was möglich ist – und zwar so lange, wie es nötig ist.

Viele Bürger wollen der Ukraine helfen – machen Sachspenden eigentlich auch Sinn?

Die Hilfsorganisationen brauchen Geldspenden, um gezielt und bedarfsorientiert zu helfen. Jeder Euro hilft. Sachspenden machen nur in wenigen Einzelfällen Sinn, etwa, wenn es um die Überlassung von gebrauchten Einsatz- und Rettungsfahrzeugen geht.

Was Trump in der Ukraine-Frage vorhat, ist ungewiss

Herr Gouverneur, wenn Trump seine Unterstützung reduziert, kann sich die Ukraine dann mit der Unterstützung der Europäer behaupten?

Wir wissen nicht, ob dieser Fall eintrifft. Es bringt uns nichts, jetzt schon weit in die Zukunft zu schauen.

Ein Schlussfrage an beide - ebenfalls in die Zukunft gerichtet. Wie stellen Sie sich die Zusammenarbeit zwischen den Regionen nach Kriegsende vor?

Lysak: Die Partnerregionen sind eng zusammengerückt. Wir hatten vor dem Krieg vier Städtepartnerschaften, jetzt sind es mehr als 40. Wir haben einen engen Austausch, auch im Bereich der Wissenschaft und der Kultur. Den werden wir ausbauen, wenn wir wieder Gäste sicher bei uns empfangen können.

Liminski: Wir haben – auch mit der Auswahl dieser großen Partnerregion mit starker Industrie – das Fundament für eine Partnerschaft auf Augenhöhe gelegt. Ich bin immer wieder tief beeindruckt, zu sehen, mit welcher Zähigkeit die Ukrainer auch unter schwierigsten Bedingungen ihre Verwaltung aufrechterhalten und die Grundversorgung sicherstellen. Trotz des Krieges ist es gelungen, die Unterrichtsversorgung sicherzustellen. Was Realitätssinn und Resilienz angeht, können wir von den Ukrainern viel lernen.