Der Deutsch-Ukrainer Hugo kämpft für die Ukraine, im August brach er erneut auf an die Front. Sein letzter Einsatz war bisher der schlimmste.
Bericht von der Front„50 Prozent sind entweder tot oder verletzt“ – Ein Kölner kämpft für die Ukraine
Hugo sitzt in einem gut besuchten Kölner Café, während auf seinem Handybildschirm seine Heimatstadt brennt. Ein Freund von ihm hat das Video aufgenommen, im September, als die Einheit durch Hugos frühere Straße am Rande von Wowtschansk fuhr. Vorbei an den Einfamilienhäusern, aus denen Flammen lodern, vorbei an schwarzgebranntem Gras, vorbei an rauchenden Trümmern, in denen einmal Menschen lebten. „Das hier war das Haus meiner Oma“, sagt Hugo, der eigentlich anders heißt.
Er wischt durch weitere Videos. Ein Soldat aus seiner Einheit steht im früheren Wowtschansk, von dem nur ein Trümmerfeld blieb. Pedro, ein kugelrunder Kater, der auf Hugos Feldbett schläft. Hugos Einheit in der Einsatzzentrale, die Wände sind mit Bildschirmen bedeckt, auf einem hat eine Drohne ein Fahrzeug der Russen entdeckt. Die Drohne lässt eine Granate fallen.
Bereits im Februar hat Hugo, gebürtiger Ukrainer und Kölner, mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ über seine Entscheidung gesprochen, nach dem russischen Überfall in die Ukraine zurückzukehren und sich der Armee anzuschließen. Im August brach er wieder Richtung Front auf. Es war seine siebte Rotation.
„Drohnen haben den Krieg auf den Kopf gestellt“
„Die letzte Rotation war mit Abstand die schlimmste. Wir hatten über 50 Prozent Verluste, 50 Prozent sind entweder tot oder verletzt. Der Einsatz von Drohnen hat den Krieg komplett auf den Kopf gestellt. Zu Beginn des Krieges haben nur wir sie genutzt, jetzt hat Russland massenweise Drohnen. Sie schweben immer über der Front, Tag und Nacht, wir können alles über Bildschirme beobachten.
Russland schmeißt gerade alles an Soldaten nach vorne, was sie haben. Andauernd versuchen die Russen, unsere Positionen zu stürmen, egal, wie hoch ihre Verluste sind. Ich bin am Stützpunkt der Front als Ausbilder für Maschinengewehre und für Logistik eingesetzt, seit 2022 war ich selber nicht mehr für aktive Kampfeinsätze in der Zone. Ansonsten wäre ich vermutlich schon tot oder schwer verletzt.
Mit jeder Rotation bist du bereit für das, was du bei der letzten erlebt hast. Ich habe jetzt alles schon gesehen. Ich habe die krasse Angst erlebt, ich habe Tote und Schwerstverletzte gesehen. Das Gefühl dabei ist schwer zu beschreiben. Ich fühle es meist in meinen Füßen, den Schock und die Angst, wenn ich merke: Das ist kein Video, das ist kein Foto, das ist real.
Alles ist gefährlicher geworden. Selbst auf Positionen, die weit weg von der Frontlinie sind, ist man nicht sicher. Als wir einmal draußen unterwegs waren, schlug in der Nähe von uns schwere Artillerie ein. Wir waren weit genug entfernt, dass uns kein Splitter traf, doch seit der Explosion höre ich auf einem Ohr schlecht.
Der Weg bis zur Zone ist der schlimmste Teil. Hier ist die Chance am höchsten, getötet oder verletzt zu werden. Unsere Fahrer kommen meist mit zitternden Händen zurück. Einer sagte mal: Alles okay, gebt mir ein paar Minuten, ich rauche zwei, drei Zigaretten, dann fahren wir wieder los. Die zwei Fahrer verließen unseren Stützpunkt, kurz darauf war das Walkie-Talkie still. Ein dritter Fahrer fuhr los, um sie zu suchen. Eine Drohne hatte das Auto getroffen, beide waren sofort tot.
Die Stimmung in meiner Einheit hat sich kaum verändert. Die Motivation ist sehr hoch, der Mut ebenfalls. Trotzdem sind wir alle müde. Ich kenne meine Kameraden schon seit fast drei Jahren und sehe, wie sie sich verändert haben, ihre Augen, ihre Gesichter. Man sagt: Ein Monat im Krieg lässt einen mehr altern als ein ganzes Jahr. Ich habe Kameraden, die sind 26 Jahre alt und sehen aus wie 45.
„In Köln fragte mich jemand: Ist in der Ukraine immer noch Krieg?“
Nach meiner Rotation habe ich meine Eltern in Kyjiw besucht. Dort heulen dauernd die Sirenen und auch in Kyjiw schlagen Raketen ein, aber das Leben geht normal weiter. Dadurch ist die Umstellung nicht ganz so krass, wenn ich nach Köln zurückkehre. Für mich ist es merkwürdig, worüber sich Bekannte hier beschweren. ‚Ich habe kein Termin beim Amt gekriegt.‘ ‚Ich hätte so gerne ein neues iPhone‘ – das ist alles unwichtig, wenn du verstehst, dass mit einem Fingerschnipsen alles weg sein kann.
Der Krieg verschwindet immer mehr aus dem Bewusstsein. Vor ein paar Tagen habe ich in Köln mein Auto in die Werkstatt gebracht. Da fragte mich jemand: Ist in der Ukraine immer noch Krieg?
Momentan reden alle über Verhandlungen, außer die beiden Seiten, die kämpfen. Es stört mich, dass andere für uns entscheiden möchten, was wir aufgeben sollten für eine Waffenruhe. Außerdem: Wieso sollte Russland verhandeln wollen? Die Russen haben viel, viel mehr Waffen als wir, sie kommen jeden Tag voran, sie gewinnen den Krieg gerade. Uns fehlt es an Munition. Russland kann das zwanzigfache an Schüssen abgeben.
„Wenn wir kapitulieren, war alles umsonst“
Für die Ukraine bedeuten Verhandlungen die Kapitulation. Russland will die ganze Ukraine, ansonsten würden sie all die Städte im Donbass und um Saporischja nicht zerstören. Wir kämpfen ja nicht, weil wir es möchten – wir kämpfen, weil wir nicht unter russischer Besatzung leben wollen. Wenn wir jetzt verhandeln und kapitulieren, dann waren die letzten knapp drei Jahre umsonst. Wofür haben wir dann gekämpft? Wofür sind so viele unserer Leute, meiner Freunde gestorben?
Am meisten stört mich, wenn in Gesprächen von irgendwelchen Sicherheitsgarantien die Rede ist. Wirklich? Anfang der 90er haben wir unsere Atomwaffen abgegeben im Austausch für eine richtig starke Garantie von den USA und Russland, dass niemand uns angreift. Wir glauben an gar keine Garantie mehr.
Im Januar fahre ich für meine achte Rotation zurück an die Front. Dann wird Donald Trump wieder Präsident der USA sein. Vielleicht wird es gut, vielleicht wird es richtig, richtig schlimm für uns. Aber ich habe es im Kopf schon oft durchgespielt: Nach fast drei Jahren Krieg schaffe ich es einfach nicht, in Köln herumzusitzen und nur zuzusehen.“