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Untersuchung nach SolingenExperten warnen vor „Online-Turbo-Radikalisierung“ bei jungen Menschen

Lesezeit 3 Minuten
Hunderte Kerzen, Blumen und Trauerschreiben befinden sich am Gedenkort unweit des Tatorts. Bei einer Attacke auf der 650-Jahr-Feier der Stadt Solingen hatte es am Abend des 23.08.2024 Tote und Verletzte gegeben.

Nach der Terrortat in Solingen im August zeugten Hunderte Kerzen, Blumen und Schreiben von der öffentlichen Trauer. Der mutmaßliche Täter sitzt in Untersuchungshaft. 

Im Untersuchungsausschuss zum islamistischen Anschlag in Solingen haben Sachverständige erläutert, was Terrortaten begünstigt. 

Steigt die Gefahr eines Terroranschlags in NRW durch einen Verteilschlüssel des Bundes? Davor hat der Terrorexperte Peter Neumann im Untersuchungsausschuss zum Terroranschlag von Solingen gewarnt. Besagter Schlüssel sieht vor, dass NRW für die Aufnahme von Flüchtlingen aus Tadschikistan zuständig ist. In der ehemaligen Sowjetrepublik agiert der IS-Ableger „Islamischer Staat - Provinz Khorasan“ (ISPK) – Mitglieder dieser Terrororganisation hatten vor rund einem Jahr einen Anschlag auf den Kölner Dom geplant. Die Islamisten aus Zentralasien, die meist auf Russisch kommunizieren, gelten in Sicherheitskreisen als besonders gefährlich.

Bereits im Sommer 2023 war eine Terrorzelle der ISPK in NRW aufgeflogen. Ziel der Gruppe sei es laut Bundesanwaltschaft gewesen, „in Deutschland öffentlichkeitswirksame Anschläge im Sinne des IS zu verüben“, hieß es damals.

Peter Neumann, Terrorismus-Experte, spricht bei einer Veranstaltung.

Der in London lehrende Politikwissenschaftler Peter Neumann warnte vor einer neuen Terrorwelle in Deutschland. (Archivbild)

Der in London lehrende Politikwissenschaftler Peter Neumann warnte davor, dass Deutschland nach der Eskalation des Konflikts zwischen der Hamas und Israel eine neue Terrorwelle bevorstehe. „Seit dem 7. Oktober 2023 hatten wir 9 durchgeführte und 25 versuchte Anschläge. Das ist eine Erhöhung um 400 Prozent“, sagte Neumann.

Der Konflikt habe zu einer enormen Mobilisierung der islamistischen Szene geführt. „Es gibt wieder ein Projekt, einen Konflikt, der der Bewegung eine Richtung gibt. Die Wut muss nicht erst geschürt werden, die Islamisten müssen die Leute nur abholen und ihnen sagen, was sie zu tun haben.“

Bei dem Terroranschlag in Solingen am 23. August 2024 hatte der abgelehnte Asylbewerber Issa Al H. drei Menschen mit einem Messer getötet. Junge Flüchtlinge seien für islamistische Propaganda aus Social-Media-Kanälen besonders anfällig, erklärte Neumann. Durch die Algorithmen gerieten jüngere Menschen schnell in einen Strudel und bekämen bei Interesse etwa für den Gaza-Konflikt rasch nur noch Leichen gezeigt.

Hinzu komme, dass in den Flüchtlingsunterkünften des Landes Kinder und Jugendliche untergebracht seien, die bis zu drei Jahre keine Schule besuchen könnten, sagte der Soziologe Aladin El-Mafaalani von der TU Dortmund. Viele von ihnen seien permanent online. Eine „Online-Turbo-Radikalisierung“ könne sich innerhalb von wenigen Wochen abspielen.

Lisa Kapteinat: Durchschnittsalter von Attentätern bei 19 Jahren

Lisa Kapteinat, Obfrau der SPD im Untersuchungsausschuss, erklärte, das Durchschnittsalter von Attentätern liege bei 19 Jahren. „Umso wichtiger ist es, dass wir endlich alle Anstrengungen unternehmen, soziale Netzwerke stärker zu regulieren, als es bis jetzt der Fall ist“, sagte die Vize-Fraktionsvorsitzende.

Die Landesregierung müsse sich zudem fragen lassen, wie weit ihr Vorhaben, „virtuelle Ermittler“ die sozialen Medien „durchstreifen“ zu lassen, bisher fortgeschritten sei. „Den Ausführungen von Peter Neumann zufolge, können diese nicht annähernd ausreichend sein. Das wäre einmal mehr ein Hinweis darauf, dass das sogenannte Sicherheitspaket der Landesregierung in erster Linie ein Papiertiger ist und kein zielführender und entschiedener Maßnahmenplan.“

Der Asylbewerber Issa Al H. sitzt unter Mordverdacht in Untersuchungshaft. Die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) hatte den Anschlag für sich reklamiert. Ein Bekenner-Video des Syrers war über einen IS-Kanal veröffentlicht worden. Der Präsident der Bundespolizei, Dieter Romann, kritisierte, die EU-Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen seien „dysfunktional“. Im Jahr 2024 sei die Rückführung nur in 7,8 Prozent der Versuche geglückt, weil die Aufnahmeländer den Prozess durch zu hohe Auflagen aushebeln würden.

Issa Al H. hätte bereits im Sommer 2023 nach Bulgarien abgeschoben werden sollen. Er war allerdings in der Nacht der geplanten Abschiebung nicht in seiner Flüchtlingsunterkunft angetroffen worden. Ein zweiter Rückführversuch war nicht unternommen worden, weil sich das Zeitfenster dafür geschlossen hatte. Daraufhin wurde ihm subsidiärer Schutz gewährt – der Syrer konnte in Deutschland bleiben.