Neun Einsatzkräfte wurden bei einem Angriff mit Feuer im Mai teilweise lebensgefährlich verletzt. In Düsseldorf hat der Prozess begonnen.
Anklage wegen versuchten MordsBodycam-Video zeigt Brandangriff von Ratingen – Mutmaßlicher Attentäter schweigt
Der Prozess um den Brandanschlag auf Polizisten und Rettungskräfte in Ratingen hat am Freitag mit drastischen Zeugenaussagen und erschütternden Aufnahmen von Bodycams der Beamten begonnen. Die vom Landeskriminalamt zusammengeschnittene Videosequenz zeigte, wie die Polizisten ahnungslos in die Wohnung kommen und eine Beamtin mit Benzin übergossen wird. Die Frau war durch die folgende Explosion lebensgefährlich verletzt worden.
Der Angeklagte reagierte nicht auf Fragen
Dem Angeklagten Frank P. wird unter anderem versuchter Mord in neun Fällen vorgeworfen. Er kam zum Prozessauftakt am Landgericht Düsseldorf mit wirrem Bart, Schlabberhose und lila Pulli in den Saal. Der 57-Jährige blieb sitzen, als der Richter in den Saal trat und reagierte auch nicht auf die Frage nach seinen Personalien. Sein Mandant wolle sich nicht äußern, bestätigte der Verteidiger.
Der 30-jährige Polizist, der am Freitag als Zeuge aussagte, war mit einer Kollegin am 11. Mai als erster vor Ort. Die Polizei war wegen eines überquellenden Briefkastens gerufen worden. Man habe zuerst einige Nachbarn befragt, so der Polizeibeamte. Die Anwohner hätten aus der Wohnung sowohl von dem Mann als auch seiner Mutter schon lange nichts mehr gehört, weshalb er und seine Kollegin von hilflosen Personen ausgingen und erstmal Feuerwehr und Rettungsdienst dazu riefen. Gemeinsam brach man die Tür der Wohnung im zehnten Stock auf – Verwesungsgeruch schlug den Einsatzkräften entgegen.
Polizist dachte an Suizid des Bewohners
„Ich dachte an erweiterten Suizid“, so der Polizist – also dass der Mieter seine Mutter und sich umgebracht haben könnte. Dennoch sei er wachsam geblieben. Gemeinsam räumten die Einsatzkräfte Wasserkästen zur Seite, mit denen die Wohnung verbarrikadiert war. Seine Kollegin sei dann voraus gegangen, so der Polizist. Jetzt erstmals habe er den Mann gesehen. Mit einem brennenden Textil in den Händen. Er habe seine Waffe im Anschlag gehabt, so der Polizeibeamte und überlegt: „Schießen, nicht schießen?“ Dann habe er gedacht, der Mann wolle sich anzünden und gerufen: „Raus, alle raus!“ Als nächstes habe er die Explosion gespürt, so der Polizist.
Auf den Bodycam-Aufnahmen war am Freitag zu sehen, wie der Polizist Wasserkästen zur Seite schiebt. Seine Kollegin ist zu sehen. Plötzlich schreit sie: „Da ist einer drin!“ Der Polizist zieht die Waffe, zielt auf die Person, die schemenhaft im Hintergrund zu sehen ist. „Leg dich hin, leg dich hin“, brüllt der Polizist. Dann: „Der zündet sich an!“ Die Aufnahmen zeigen, wie die Polizistin mit Flüssigkeit vollgespritzt wird. Laut Anklage war es ein Plastikeimer mit vier bis sechs Litern Benzin. Sekunden später folgte die Explosion.
Frank P. verfolgt die Aussage des Opfers ungerührt
Seine Waffe habe er vor Ort verloren, so der junge Beamte im Zeugenstand. Seine Kollegin habe er „im Vollbrand“ gesehen und sei hinter ihr aus der Wohnung gerannt. Erst als die Frau unten vor der Tür gelöscht war, habe er an sich selbst heruntergesehen: Die Haut hing ihm von den Händen. Er habe sich nicht getraut, das Handy als Spiegel zu nehmen, irgendwann übermannte ihn der Schmerz: „Dann war es lange dunkel.“
Als Zeuge sprach der junge Mann klar und detailliert – aber man sah ihm an, dass der Fall von Ratingen nachwirkt: Brandnarben auf Stirn und im Gesicht. Neben den körperlichen Folgen seien die seelischen hart, so der 30-Jährige: „Weil man wieder bei null anfängt.“
Frank P. verfolgte die Aussage und auch das Abspielen der Bodycam-Aufnahmen äußerlich ungerührt. Im Gegensatz zu den Opfern des Anschlags, die teilweise als Nebenkläger im Saal saßen. Der Richter hatte sie vorher gewarnt. Aber alle blieben im Saal.
Ratinger Feuerwehrchef sagt aus
In den neun geplanten Verhandlungstagen sind zahlreiche Zeugen und Sachverständige geladen. Am Freitag sagte als zweiter Zeuge der Ratinger Feuerwehrchef aus, der als Einsatzleiter vor Ort war. Er schilderte, welche dramatischen Szenen es nach der Explosion gab. In einem Rettungswagen habe die gelöschte Polizistin gelegen, „aber die stirbt gerade“, habe ihm ein Retter vor Ort gesagt.
Schon wegen der verlorenen Polizeiwaffe rückte das Spezialeinsatzkommando (SEK) an, der ganze Einsatz dauerte bis nach 21 Uhr. Als man Frank P. aus der Wohnung holte, entdeckte man in einem Rollstuhl seine tote Mutter. Sie war schon vor Wochen gestorben. Frank P. lebte einfach neben ihr weiter. Da er die Wohnung mit zahlreichen Lebensmitteln vollgestopft hatte, musste er auch nicht vor die Tür.
In der Anklage heißt es: „Die Geschädigten flüchteten teilweise brennend durch das Treppenhaus nach draußen. Mehrere von ihnen kämpften wochenlang um ihr Leben.“ Bei acht Opfern sei „von einer Narbenbildung und dauerhaften Schädigung der betroffenen Hautareale auszugehen“, so die Staatsanwaltschaft. „Bei mehreren Geschädigten mussten intensivmedizinische Maßnahmen und Operationen, insbesondere Hauttransplantationen, vorgenommen werden.“
„Darf ich dem Angeklagten noch etwas sagen“, fragte der Polizist am Freitag am Ende seiner Aussage. Der Richter vertröstete den Beamten, der auch Nebenkläger ist, auf das Ende der Verhandlung. Man ahnte auch so, was in dem Polizisten vorgeht.