Fiebersäfte, Antibiotika für Kinder, teilweise Blutdruckpräparate oder Tumormedikamente sind derzeit Mangelware in NRWs Apotheken. Wie ein Ausweg aus der Krise aussehen könnte.
MedikamentenmangelWarum es in NRW bald Antibiotikum aus Portugal geben könnte
Das Mittelohr des Kleinkindes ist entzündet und Antibiotikum ist in keiner nahegelegenen Apotheke mehr verfügbar - solche Szenarien will das Land NRW künftig vermeiden. In einem ersten Schritt hat das Land durch eine Änderung des Arzneimittelgesetzes den Vorratsimport von Medikamenten aus dem Ausland gestattet. Wir erklären, wie es jetzt weitergehen könnte.
Wie läuft ein Import von Antibiotika aus dem Ausland genau ab?
Apotheken und Großhändlern ist es durch die Änderung im Arzneimittelgesetz nun erlaubt, größere Mengen antibiotikahaltiger Säfte für Kinder ohne konkrete ärztliche Verschreibung auf Vorrat zu importieren. Dazu müssen sie einen möglichen Import zunächst beim zuständigen Gesundheitsamt anmelden und dabei angeben, woher die Ware kommt. Dann können einzelne Apotheken oder Großhändler bei spezialisierten Zwischenhändlern eine größere Menge Antibiotika bestellen. Das Gesundheitsministerium hat nach eigenen Angaben die Behörden dazu angehalten, schnell Gestattungen auszusprechen. Lediglich bei Großimporteuren überprüfen die Bezirksregierungen laut Gesundheitsministerium, auch anhand von Proben, ob die bestellten Medikamente in Ordnung seien und wie sie hergestellt wurden. Die Bezirksregierung Köln gibt auf Anfrage an, man habe bislang bei „einzelnen Großhändlern einzelne Befreiungen für die Einfuhr von Arzneimitteln erteilt“, die beispielsweise eine anderssprachige Packungsbeschriftung aufwiesen.
Was die Kosten betrifft, müssen die Apotheken oder Großhändler in Vorkasse gehen. Die Krankenkasse zahlt nämlich erst, wenn der Patient kommt und ein Rezept einlöst. Genau hier setzt die Kritik von Thomas Preis vom Apothekenverband Nordrhein an. „Was passiert denn, wenn wir irgendwann wieder deutsche Ware haben und der Patient die ausländischen Flaschen nicht mehr haben will? Dann bleiben wir Apotheker auf den Kosten sitzen.“
Wo gibt es noch Antibiotikum und wie lange dauert eine Lieferung?
Derzeit seien in Portugal und Großbritannien noch größere Mengen an Antibiotikumsaft für Kinder erhältlich, sagt Thomas Preis. Wer jetzt bestelle, müsse mit einer Lieferzeit von etwa 14 Tagen rechnen.
Gibt es Kritik am Prozedere?
Durchaus. Thomas Preis vom Apothekerverband Nordrhein befürchtet eine hohe Belastung der Apotheken und Ämter. „Sollen jetzt 4.000 Apotheken in NRW bei ihren Gesundheitsämtern anrufen und Importe anmelden und dann einzeln bei den Zwischenhändlern ihre 20 Flaschen bestellen? Das gibt doch nur Chaos.“
Was kann noch getan werden?
Mehrdad Mostofizadeh von den Grünen im Düsseldorfer Landtag fordert, die präventive Nutzung von Antibiotika in der Massentierhaltung rasch zurückzufahren. „Hier werden in der Schweinezucht massenhaft Medikamente präventiv eingesetzt, die wir eigentlich zur Bekämpfung heftiger Infektionen benötigen.“
Die Bedingungen in den Apotheken könnten zudem durch Bürokratieabbau zumindest etwas verbessert werden. Das Gesundheitsministerium sagte auf Anfrage dieser Zeitung, man wolle sich dafür einsetzen, dass Krankenkassen wegen Formfehlern in der Verschreibung die Abrechnung bereits abgegebener Arzneimittel nicht mehr verweigern dürfen. In Vergütungsregeln sollen sich verändernde Rahmenbedingungen wie „Inflation oder Lohnkosten“ automatisch angepasst werden.
Wie kann eine bessere Vorratshaltung aussehen, um zumindest für den kommenden Winter sicher zu sein?
Hier scheiden sich die Geister. Thomas Preis vom Apothekerverband Nordrhein schlägt eine staatliche Vorratshaltung vor. „Der Staat muss genügend Mittel plus Reserve aufkaufen“, so habe man das beispielsweise 2020 mit dem Pneumokokkenimpfstoff gehandhabt. Als dieser in Deutschland knapp wurde, kaufte der Staat japanischen Impfstoff, ließ in für Deutschland zu und stellte ihn über den pharmazeutischen Großhandel den Apotheken zur Verfügung.
Das Gesundheitsministerium NRW plädiert dagegen für eine „Vorratshaltung im Regelsystem“. In Vorleistung treten müssten hier pharmazeutische Unternehmer, Großhändler und Apotheken. Und zwar mit dem Risiko, im schlimmsten Fall auf der Ware sitzen zu bleiben. Entscheidender Haken hierbei: Bislang sieht das von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach eingebrachte Gesetz eine solche Zwangsmaßnahme für Apotheker und Großhändler nicht vor, worauf Mehrdad Mostofizadeh von den Grünen in der Aktuellen Stunde des Landtags hinwies.
Welche Folgen würde eine verstärkte Produktion in Europa haben?
Wenn die Arzneimittelproduktion aus Ländern wie China und Indien zurück nach Europa geholt werden solle, müsse dafür mehr Geld in die Hand genommen werden, sagte Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann bei der Aktuellen Stunde im Düsseldorfer Landtag. Das werde höhere Krankenkassenbeiträge nach sich ziehen. „Zur Wahrheit gehört zudem, dass entscheidende Standortfaktoren - wie etwa lockerere Auflagen in der Pharmaforschung oder beim Abwasserschutz in den Herstellerländern – in den Jahren, in denen die Arzneimittelversorgung preisgünstig und sicher gewesen ist, ignoriert wurden.“
Schreiben Sie uns!
Schreiben Sie über Ihre Erfahrung mit dem Medikamenten-Mangel Haben Sie das auch schon erlebt: Ihr Kind ist krank und Sie bekommen einfach nicht das gewünschte oder verschriebene Mittel in der Apotheke? Erzählen Sie uns Ihre Geschichte und schreiben Sie uns mit dem Betreff „Keine Medikamente für mein Kind“ an ksta-nrw@kstamedien.de