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Streit um Einsatz von  „Gemeindeschwestern“Wie kann man verhindern, dass Senioren ins Pflegeheim müssen?

Lesezeit 4 Minuten
Eine Bewohnerin eines Pflegeheims wird von einer Pflegerin einen Gang entlang geschoben.

Wer und welche Maßnahmen helfen Betagten? Darüber debattierte der Sozialausschuss im NRW-Landtag. Marco-Schmitz, Gesundheitsexperte der CDU, verwies auf erfolgreiche Projekte: „Community Health Nurses und andere neue Berufsbilder sind entscheidend, um die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft zu bewältigen.“

In Rheinland-Pfalz helfen sogenannte Gemeindeschwestern Senioren dabei, sich die Selbstständigkeit zu erhalten. Ein gutes Modell für NRW? Daran scheiden sich die Geister.

Seitdem ihr Mann gestorben ist, hat Heidemarie M. nur noch wenig Gesellschaft. Sie ist 83 Jahre alt, lebt allein in ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung an der Neusser Straße in Köln, aber niemand weiß, wie lange das noch gut geht. Die frühere Post-Mitarbeiterin leidet unter Arthrose und ist auf einen Rollator angewiesen. Sie hat große Angst davor, dass ein Sturz sie zum Pflegefall machen könnte. Auf die Idee, den alten Teppich im Flur zu entsorgen, der eine gefährliche Stolperfalle ist, kommt sie zunächst aber nicht.

Senioren brachen vertrauenswürdige Helfer bei der Bewältigung des Alltags
Julius Lang, Caritas-Mitarbeiter

Das ändert sich, als Heidemarie M. Besuch von einer Beraterin erhält. In der Apotheke hatte sie das Magazin KölnerLeben entdeckt, in dem Anlaufstellen für Menschen mit Unterstützungsbedarf aufgelistet sind. Unter der Rufnummer des Senioren-Netzwerks Nippes erreicht sie Julius Lang, Mitarbeiter des Caritasverbands für die Stadt Köln. „Wir unterstützen ältere Menschen dabei, so lange wie möglich selbstbestimmt in ihren eigenen vier Wänden leben zu können“, sagt der Sozialarbeiter im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Er stellte den Kontakt zur Beratungsstelle „Wohn mobil“ her, die kostenlose Hausbesuche anbietet und Vorschläge macht, wie die Lebenssituation von Senioren verbessert werden kann. Außerdem lädt er Frau M. zum offenen Frühstückstreff direkt in der Nachbarschaft ein, bei dem sie andere Senioren mit ähnlichen Herausforderungen kennenlernt. „Ein Blick von außen ist oft Gold wert, wenn es keine Angehörigen gibt, mit denen man sich austauschen kann“, sagt Lang.

Julius Lang vernetzt Senioren in Köln. Im Bild steht er vor der Fassade eines Backsteinbaus und lächelt in die Kamera.

Julius Lang ist Mitarbeiter des Caritasverbands für die Stadt Köln. Er vernetzt Senioren in der Stadt und sagt: "Sie brauchen vertrauenswürdige Helfer, die sie bei der Bewältigung des Alltags unterstützen."

Viele ältere Menschen benötigen Unterstützung, aber es fällt ihnen schwer, sich selbst Hilfe zu organisieren. „Der Alltag wird immer digitaler, bei manchen Ärzten kann man nur noch online Termine vereinbaren“, erklärt Lang. „Das überfordert viele Senioren. Sie brauchen vertrauenswürdige Helfer, die sie bei der Bewältigung des Alltags unterstützen. Auch der Kontakt zu Krankenkassen und Behörden stellt viele Hochbetagte vor Probleme.“ Durch den demografischen Wandel werde der Bedarf an Beratung immer größer. „Aber wegen des Kostendrucks bei Kommunen und freien Trägern sind die Angebote leider längst nicht ausreichend“, so Lang.

In Rheinland-Pfalz unterstützt das Land die Kommunen bei der Lösung des Problems. Dort werden sogenannte Gemeindeschwestern finanziert, die Hausbesuche machen und ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Senioren haben. Bei den Gesprächen steht die Prävention von stationärer Pflege im Vordergrund, es geht darum, wie die gesundheitliche und hauswirtschaftlichen Versorgung verbessert werden kann. In NRW leiden viele Senioren unter Einsamkeit. Die Gemeindeschwestern sollen ihnen helfen, soziale Kontakte zu vermitteln.

Einsamkeit macht Senioren krank

Die SPD im Düsseldorfer Landtag hat jetzt vorgeschlagen, das Modell von Rheinland-Pfalz auf NRW zu übertragen. „Das Projekt hat sich als sehr hilfreiches Instrument in der Gesundheitsvorsorge und zur Bekämpfung von Einsamkeit im Alter erwiesen“, sagte die Abgeordnete Lena Teschlade dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. In einer Evaluation des Projekts habe jeder fünfte Hochbetagte angegeben, den Kontakt zur Gemeindeschwester aufgrund von Einsamkeit gesucht zu haben. „Mehr als die Hälfte der Befragten meldeten zurück, durch das Projekt wieder mehr soziale Kontakte geknüpft zu haben“, so die SPD-Politikerin aus Köln. Einsamkeit habe häufig schwerwiegende gesundheitliche Folgen. So steige das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, und die Psyche leide.

Susanne Schneider, Sprecherin für Arbeit, Gesundheit und Soziales der FDP-Landtagsfraktion NRW, kritisierte, der Begriff Gemeindeschwester sei „ein Relikt aus vergangenen Zeiten“ und vermittele „ein falsches Bild“ der modernen Gesundheitsversorgung. „Einheitslösungen“ für ganz NRW seien „nicht zielführend“. Ländliche Gebiete hätten völlig andere Bedürfnisse und Herausforderungen als städtische Ballungsräume.

Mit der Rikscha ins Lieblingscafé

Marco-Schmitz, Gesundheitsexperte der CDU, sagte, es geben bereits viele erfolgreiche Projekte: „Community Health Nurses und andere neue Berufsbilder sind entscheidend, um die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft zu bewältigen.“ Arndt Klocke, Sprecher für mentale Gesundheit bei den Grünen, erklärte, viele Menschen, insbesondere aus der Babyboomer-Generation, wollten im Alter zusammen wohnen und leben: „In Zukunft braucht es hier einen noch stärkeren Fokus in der Förderung durch die NRW.Bank”.

In der Metropole Köln sind die Unterstützungsangebote für Senioren vergleichsweise vielfältig. So bietet der Verein „Radeln ohne Alter“ kostenlose Rikscha-Fahrten in den Park, zum Friedhof oder ins Lieblingscafé an.

Vom 17. Bis 23. Juni findet bundesweite die Aktionswoche „Gemeinsam aus der Einsamkeit“ statt, in der auch in Köln mit kreativen Aktionen auf Beratungsangebote aufmerksam gemacht wird. „Bei der Unterstützung von Senioren braucht es gut geschulte Fachkräfte, die besonders stark von Einsamkeit betroffene Gruppen wie Ältere, wie Menschen mit Migrationshintergrund und mit geringem Einkommen, besonders in den Blick nehmen“, sagt Senioren-Netzwerk-Koordinator Lang. Um die Teilhabeangebote auch für sie weiter zu öffnen, müssten die bestehenden hauptamtlichen Strukturen verstärkt werden.