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Kommentar

Für die Abschaffung der Witwenrente
Weg mit dem Almosen aus patriarchaler Zeit!

Ein Kommentar von
Lesezeit 3 Minuten
ProContra Witwenrente

„Die Witwenrente ist ein Lockmittel, das nett verpackt ist, aber direkt in die Armut führt“, schreibt unsere Autorin Claudia Lehnen.

Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer hat vorgeschlagen, die Witwenrente abzuschaffen. Richtig! Die Witwenrente trägt Mitschuld an Frauenarmut.

Ist die Witwenrente eine zeitgemäße Hilfe für Hinterbliebene? Unser Autor Florian Holler sagt: Ja – und argumentiert damit, dass Familienarbeit durch die Witwenrente auch finanziell gewürdigt wird. Unsere Autorin Claudia Lehnen findet: Nein. Sie hält sie gar für mitschuldig an Frauenarmut:

Es wird Leute geben, die mir unterstellen, ich hätte Spaß am Leid von älteren Frauen. Aber ich bin keine Sadistin und ich habe auch nichts gegen ältere Frauen. Im Gegenteil. Sie liegen mir sogar in besonderer Weise am Herzen. Und genau deshalb sage ich: Schafft um Himmels willen die Witwenrente ab!

Laut Deutscher Rentenversicherung erhalten Männer im Schnitt 349 Euro Hinterbliebenenrente, Frauen fast 700 Euro im Monat. Das hört sich so an, als würden Frauen bevorzugt. Als müssten sie am Ende gar Danke sagen angesichts solcher Großzügigkeit.

Die Witwenrente ist ein Lockmittel, das direkt in die Armut führt

Aber Pustekuchen. Die Witwenrente ist nicht mehr als ein Almosen. Ein Lockmittel, das nett verpackt ist, aber direkt in die Armut führt. Denn die Witwenrente zementiert die ungleichen finanziellen Verhältnisse zwischen Mann und Frau. Auch mit Witwenrente liegen die Alterseinkünfte von Frauen nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes knapp ein Drittel unter denen von Männern. Auch mit Witwenrente ist jede fünfte Frau in Deutschland ab 65 Jahren armutsgefährdet. Die Witwenrente hat sich damit als brüchige Krücke auf dem Weg ins Alter entpuppt. Sie hat das Risiko von Altersarmut nicht abgeschafft.

Claudia Lehnen

Claudia Lehnen

Claudia Lehnen, geboren 1978, ist Chefreporterin Story/NRW. Nach der Geburt ihres ersten Kindes begann sie 2005 als Feste Freie beim Kölner Stadt-Anzeiger. Später war sie Online-Redakteurin und leitet...

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Die Witwenrente ist aber nicht nur eine schlechte Trösterin. Sie trägt auch Mitschuld daran, dass Frauen überhaupt in prekäre Lagen geraten. Denn die Witwenrente ist zusammen mit anderen steuerpolitischen Regulierungsmechanismen aus der patriarchalen Urzeit dafür verantwortlich, dass es für Ehefrauen – und vor allem Mütter – attraktiv ist, weniger Geld zu verdienen als ihre Männer. Die Hälfte der Frauen in Deutschland arbeitet deshalb Teilzeit, Mütter mit Kindern unter zwölf sogar zu zwei Dritteln. Dafür bekommen sie auch nur einen Teil ihres Gehalts. Wenig zu tun haben diese schlecht bezahlten Frauen übrigens meist nicht. Sie übernehmen unbezahlt einen Großteil der Sorge-Arbeit zu Hause, damit der Mann bezahlt erfolgreich sein kann.

Am Horizont winkt der gütig lächelnde Notnagel Witwenrente

Die Witwenrente ist in diesem traurigen Kammerspiel ebenso wie das Ehegattensplitting nicht in erster Linie eine Hilfe für Frauen, sondern ein Argument für Männer, ihre Frauen finanziell kleinzuhalten. Sie lässt Ehemänner jene Sätze sagen, die jede Jobmotivation ihrerseits zerbröseln lassen: „Wenn du Karriere machst, lohnt sich das steuerlich doch gar nicht. Bleib lieber in Teilzeit.“ Und falls die Ehefrau noch nicht überzeugt ist, winkt am Horizont der gütig lächelnde Notnagel Witwenrente.

Diesen Mechanismus gilt es zu durchbrechen. Frauen und auch Müttern muss klar sein, dass nur ein gerechtes Aufteilen der unbezahlten Familienarbeit zwischen beiden Partnern auch zu mehr finanzieller Gerechtigkeit führen kann. Dass als Vorsorgeregel für den Todesfall ein Rentensplitting die richtige Wahl ist, das diejenigen bevorzugt, die in der Ehe ähnlich hohe Ansprüche erwirtschaftet haben. Weil nur eigene Erwerbsarbeit Frauen vor Altersarmut schützen kann.

Denn selbst wenn die Witwenrente derzeit soziale Härten abfedert: Was passiert bitte, wenn der werte Gatte nicht verfrüht das Zeitliche segnet, sondern sich mit 60 neu verliebt? Dann kann die geschiedene Seniorin folgendermaßen Bilanz ziehen: 35 Jahre Teilzeitjob: schlecht bezahlt; all die Arbeit mit den nun Gott sei Dank erwachsenen Kindern sowie Kochen, Putzen, Bügeln: unbezahlt; Unterhaltsansprüche an ihren Ex: keine. Was bleibt, ist der Weg zum Sozialamt.