Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer hat vorgeschlagen, die Witwenrente abzuschaffen. Falsch! Wer die Witwenrente abschafft, entwertet Familienarbeit.
Gegen die Abschaffung der WitwenrenteWer sich um Kinder kümmert, wird bestraft


„Die Witwenrente ist mehr als ein Almosen für an den Herd gefesselte Frauen“, schreibt unser Autor Florian Holler.
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Ist die Witwenrente eine zeitgemäße Hilfe für Hinterbliebene? Unsere Autorin Claudia Lehnen findet: Nein. Sie hält sie gar für mitschuldig an Frauenarmut. Unser Autor Florian Holler sagt: Ja – und argumentiert damit, dass Familienarbeit durch die Witwenrente auch finanziell gewürdigt wird:
Es stimmt ja: Die Witwenrente ist ein Produkt des Patriarchats. Das zeigt schon ihr Name. Als sie 1911 eingeführt wurde, galt es als selbstverständlich, dass die Frau während der Ehe nicht arbeiten geht. Starb der Mann, stand sie ohne Einkommen da. Wer deswegen allerdings die Abschaffung der Witwenrente fordert, schadet nicht nur Frauen, sondern auch Kindern.
Witwenrente: Ein soziales Auffangnetz
Denn die Witwenrente ist mehr als ein Almosen für an den Herd gefesselte Frauen. Sie ist ein soziales Auffangnetz für Menschen, die ihr Leben nicht primär der Karriere, sondern den eigenen Kindern gewidmet haben. Wer sie abschafft, verschärft nicht nur die Altersarmut, sondern entwertet die von Frauen und Männern geleistete Sorge-Arbeit in der Familie gleichermaßen.
Seit 1986 sind Frauen und Männer bei der Witwen- und Witwerrente gleichgestellt. Theoretisch könnten Männer also genauso gut zurückstecken und sich um die Kinder kümmern, während ihre Frauen Karriere machen und Geld verdienen. Dass immer noch mehr Frauen als Männer von Altersarmut betroffen sind, dass Frauen häufiger in Teilzeit arbeiten und weniger verdienen, mag viele Gründe haben. Mit der Aussicht auf eine Witwenrente haben diese Ungerechtigkeiten nichts zu tun.
Trotzdem wird die Abschaffung der Witwenrente als progressive Maßnahme verkauft, um Frauen zu mehr finanzieller Unabhängigkeit zu ermutigen. „Die jetzige Regelung reduziert die Anreize, eine eigene Beschäftigung aufzunehmen“, behauptet die Chefin der Wirtschaftsweisen Monika Schnitzer.
Anreize, um arbeiten zu gehen, gibt es jetzt schon genug
Dabei betrug die durchschnittliche Witwenrente im Jahr 2021 696 Euro, rund 40 Prozent erhalten weniger als 600 Euro. Vor allem junge Witwen und Witwer, die noch keine eigene Rente beziehen, kommen damit kaum über die Runden und sind gezwungen, dazuzuverdienen. Ohnehin wächst die Zahl der älteren Erwerbstätigen zwischen 60 und 65 Jahren so stark wie in keiner anderen Altersgruppe. Laut Statistischem Bundesamt stieg sie in den vergangenen zehn Jahren um 16 Prozent. Die aktuelle Wirtschaftslage tut ihr Übriges. Genug Anreize, arbeiten zu gehen, gibt es also schon jetzt.
Stattdessen geht es um etwas anderes. Wer sich auch nur oberflächlich mit dem Rentensystem beschäftigt, weiß: Die fetten Jahre sind vorbei. Immer mehr Senioren stehen immer weniger Beitragszahlern gegenüber. Das Umlagesystem steht vor dem Kollaps. Monika Schnitzer hat mit der Abschaffung der Witwenrente jetzt neues Einsparpotenzial entdeckt. Doch statt zu sagen, worum es wirklich geht, argumentiert Schnitzer mit vermeintlicher Fairness und Progressivität. Das ist unehrlich.
Das Ende der Witwenrente würde Frauen wie Männern signalisieren: Wer seine Arbeitskraft nicht zu Markte trägt und sich stattdessen um die Kinder kümmert, wird bestraft. Stattdessen sollte der Staat jene Familien unterstützen, die versuchen, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen.
Wie wäre es etwa mit einer Ganztagsbetreuung in Schulen, die ihren Namen wirklich verdient? Mit Kitaplätzen, um die man sich nicht noch während der Schwangerschaft bewerben muss, um überhaupt eine Chance zu haben? Und die man sich dann sogar noch leisten kann? Fromme Wünsche, ich weiß. Doch wenn sich der Staat wirklich um mehr Gleichberechtigung und finanzielle Unabhängigkeit von Frauen sorgt, muss er mehr Geld ausgeben, statt Renten zu kürzen.