Laut der Ermittler soll ein türkischer Geschäftsmann im Rhein-Sieg-Kreis hundert sogenannte Vorratsgesellschaften gehalten haben, über die Drogengeschäfte liefen.
Razzia auch in Köln und Rhein-Sieg-KreisErmittler finden 35 Tonnen Kokain im Wert von Milliarden – Tipp aus Kolumbien
Die Operation nach der Operation in fast gespenstischen Bildern: Eine schwer vermummte Menschenkette von Polizei und Zoll reicht über Stunden einen Karton nach dem anderen weiter zum Brennschacht in der Müllverbrennungsanlage. Der Vorgang ereignete sich jüngst im Stuttgarter Raum, riesige Mengen an Kokain gingen in Flammen auf. Insgesamt 35,5 Tonnen im Wert von 2,6 Milliarden Euro vernichteten die Strafverfolger im Zuge der Operation „Plexus“.
Zu Beginn der Pressekonferenz bei der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft am Montag sprach Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) vom größten Kokainfund in Deutschland. „Das ist ein Schlag gegen die internationale Organisierte Kriminalität. Ein präziser Kinnhaken, der Drogenbosse wehtut.“ In dem Kontext will der Minister den Kampf gegen die kriminelle Schattenwirtschaft verstärken. Insbesondere werde man sich auf den Bereich der Vermögensabschöpfung konzentrieren, um den Verbrechersyndikaten „die Lebensgrundlage zu entziehen“.
Im aktuellen Fall führte ein Hinweis kolumbianischer Rauschgiftermittler an einen Verbindungsbeamten des Zollkriminalamts (ZKA) in Bogota auf die Spur der Koks-Connection. Eine Mannheimer Briefkastenfirma hatte einen Container voller Kernseife aus Südamerika geordert, ein Vorgang, bei dem Ungereimtheiten aufkamen.
Bei den Nachforschungen stießen die Ermittler des Landeskriminalamts Baden-Württemberg, das Zollfahndungsamt Stuttgart sowie die landesweite OK-Schwerpunktabteilung der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft (ZeOS) auf einen türkischen Geschäftsmann im Rhein-Sieg-Kreis. Ühmet D. soll hundert sogenannter Vorratsgesellschaften in petto gehalten haben. Über diese Schiene soll die Bande containerweise normale Ware wie Ölsamen, Holz oder Ananas-Kisten in Lateinamerika bestellt haben, um die Kokain-Pakete unter diesen Lieferungen zu verstecken.
Justizminister Limbach: „Verbrechersyndikaten die Lebensgrundlage zu entziehen“
Umfangreiche Ermittlungen führten zu einem Netzwerk rund um acht Hauptakteure. Zwischen April und September 2023 fanden sich Hinweise auf 70 verdächtige Container, die sich letztlich auf zehn reduzierten. Im Hamburger Hafen stießen die Zollfahnder auf nahezu 25 Tonnen Schnee, in Ecuador auf knapp drei und im Seehafen Antwerpen auf weitere acht Tonnen.
Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erfuhr, haben die Strafverfolger eine Bande Drogenlogistiker ausgehoben, die hierzulande im Auftrag südamerikanischer Koks-Kartelle die Rauschgiftcontainer von Bord holten und wegschafften. Wohin? Das sei noch unklar, hieß es auf der Pressekonferenz. Bei der enttarnten Bande handelt es sich um zwei Tatverdächtige mit deutschem Pass, zwei Türken, ein Aserbaidschaner, ein Bulgare, ein Marokkaner sowie ein Ukrainer im Alter zwischen 30 und 54 Jahren. Sieben von ihnen wurden während einer Razzia Ende Mai und am 5. Juni verhaftet. Die 150 Einsatzkräfte stellten fünf Goldbarren im Wert von 23.300 Euro, einen Porsche Turbo sowie Luxusartikel sicher. Die Finanziers der Lieferungen wurden in der Türkei geortet. Nähere Angaben wollten die Strafverfolger am Montag nicht machen.
Tino Ingelmann: Kokainschwemme überflutet Deutschland und Europa
Vor dem Hintergrund des spektakulären Falls warnte Tino Ingelmann, Chef des Zollkriminalamts in Köln, vor einer „Kokainschwemme“, die derzeit Europa und gerade Deutschland überflute. Die Coca-Pflanze gedeiht besonders in Hochlagen ab 2000 Meter.
Laut Ingelmann wachsen die Anbauflächen in den Andenländern Kolumbien, Peru und Bolivien stetig. Allein 2021 erzeugten diese Länder gut 2000 Tonnen Kokain – Tendenz steigend. Über Häfen in Surinam und Ecuador etwa wandert der Stoff zu den Seehäfen Antwerpen. Rotterdam und Hamburg – und zwar auf Frachtschiffen. „Die modernsten nehmen bis zu 24.000 Container auf.“ Die Drogen dort zu finden, gleicht einer Sisyphos -Arbeit.
Insgesamt wurden bundesweit im vergangenen Jahr 43 Tonnen Kokain beschlagnahmt. Die Dunkelziffer, da sind sich Experten einig, fällt um ein Vielfaches höher aus. Mit Blick auf den Fall „Plexus“, sagt Oliver Huth, NRW Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter: „Das ist nur die Spitze des Eisbergs, die Kokain-Flut wird noch größer, weil die Anbau-Staaten in Südamerika nichts dagegen tun.“