Verdopplung in neun JahrenZahl der Drogentoten in Köln steigt drastisch

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An der U-Bahnhaltestelle Friesenplatz gibt sich ein Abhängiger einen Schuss in seinen Fuß.

Immer mehr Menschen in Köln sterben an Drogen. (Symbolbild)

Neue Drogen, neue Konsumenten und altbekannte Probleme: Warum in Köln so viele Menschen an Drogen sterben.

Auch in Köln steigt die Zahl der Drogentoten deutlich: Im vergangenen Jahr sind laut Kriminalstatistik 97 Menschen wegen des Konsums illegaler Drogen gestorben, das sind 21 mehr als 2022. Innerhalb von neun Jahren hat sich die Zahl der Drogentoten damit mehr als verdoppelt. 2014 starben noch 41 Menschen in Köln an Drogen.

Damit ist der Anstieg in Köln noch drastischer als im Bundesdurchschnitt. Vergangene Woche hatte der Bundesdrogenbeauftragte Burkhard Blienert die Zahl der Drogentoten in Deutschland vorgestellt. 2227 Menschen starben, ein Anstieg um 12 Prozent. In Köln gab es im vergangenen Jahr 28 Prozent mehr Drogentote.

„Der Drogenmarkt wurde mit Kokain und Crack überschwemmt“

Von einem „enormen Anstieg“ spricht Ulrich Fischknecht, Professor für Sucht- und Persönlichkeitspsychologie an der Katholischen Hochschule NRW. „Und es ist anzunehmen, dass es eine relevante Dunkelziffer gibt.“ So würden Todesfälle durch verschreibungspflichtige Medikamente nicht in die Statistik einfließen. „Und wenn man die Todesfälle durch Alkohol- und Tabakkonsum dazuzählen würde, würde die Zahl explodieren.“ Andreas Sevenich, Leiter der psychosozialen Betreuung in der Substitutionsambulanz am Neumarkt, stimmt dem zu. „Drogenabhängigkeit geht mit zahlreichen Begleiterkrankungen einher, an denen die Konsumenten sterben können. Diese Todesfälle sind in der Statistik nicht enthalten.“

Doch warum steigen die Zahlen so stark an? Über die Gründe für den Anstieg der Drogentoten könne man kaum verlässliche Angaben machen, sagt Fischknecht: „Vieles bleibt Spekulation, weil es teuer und aufwendig ist, in den Drogenszenen zu forschen. Wir wissen leider zu wenig darüber, wie sie sich entwickeln.“

Dennoch glaubt er, dass der Anstieg der Drogentoten auch auf die Folgen der Corona-Pandemie zurückzuführen ist. „Während der Pandemie war die Drogenhilfe, wie viele andere Hilfsangebote auch, stark eingeschränkt.“ Viele Menschen seien während der Pandemie mit ihren Sorgen und auch mit ihrer Sucht allein geblieben. Auch der vermehrte Konsum von Crack könnte zu der erhöhten Todesrate beigetragen haben, so Fischknecht.

„Der Drogenmarkt wurde mit Kokain und Crack überschwemmt“, sagt auch Sevenich von der Drogenhilfe. „Gleichzeitig greifen nach wie vor auch junge Menschen zu Opiaten wie Heroin.“ In einer ersten Studie dieser Art in Köln über die Drogenszene am Neumarkt hatten Wissenschaftler der Katholischen Hochschule Aachen vergangenes Jahr genau das festgestellt: So wie in anderen deutschen Großstädten steigt auch auf den Straßen Kölns die Zahl der Kokain- und Crackkonsumenten, wenn auch nicht so rasant wie in Frankfurt oder Hamburg.

Mehr Menschen mit Migrationshintergrund in Kölner Drogenhilfe

„Auffällig ist außerdem, dass wir in den letzten Jahren immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund behandeln“, stellt Sevenich fest. „Das liegt zum einen daran, dass Opiat-Konsum in einigen Herkunftsländern wie Afghanistan und dem Iran kulturell stärker verankert ist“, erklärt er. „Zum anderen geht Flucht oft mit traumatisierenden Erlebnissen und sozialen Brüchen einher. Das ist wie Schloss und Schlüssel, die zueinander passen. Opiate wie Heroin machen gleichgültig und erzeugen ein wie in Watte gepacktes Gefühl, dass die traumatischen Erlebnisse und die Belastungen des Alltags kurzfristig in den Hintergrund rücken lässt.“

Um den bedrohlichen Trend zu stoppen, brauche es mehr Hilfsangebote für Drogenkonsumenten, so Sevenich. Das fordert auch Fischknecht: „Wir müssen dringend die Hilfsangebote ausbauen und die Hürden senken, um Hilfe zu bekommen.“

Um das Problem wirksam zu bekämpfen, müssen wir auch das große Thema Obdachlosigkeit in den Griff bekommen
Ulrich Fischknecht, Professor für Sucht- und Persönlichkeitspsychologie an der Katholischen Hochschule NRW

Eine Stadtsprecherin verweist auf Anfrage auf das „hoch entwickelte, breit aufgestellte und äußerst differenziert ausgebaute Drogenhilfesystem“ in Köln, das es der Stadt ermögliche, „auf bestehende Bedarfe zu reagieren und Maßnahmen entsprechend anzupassen“ und nennt als Beispiel die Drogenkonsumräume. Zusätzlich zu den Konsumräumen am Hauptbahnhof und am Neumarkt soll noch in diesem Jahr ein dritter Raum in Kalk eröffnet werden. „Neben den bestehenden Maßnahmen der Überlebenshilfe werden Maßnahmen wie das Angebot von hochkalorischen, trinkfähigen Mahlzeiten, Ruhemöglichkeiten am Tag, sowie Maßnahmen der Zahnhygiene überlegt.“ Auch Fortbildungsmaßnahmen für Mitarbeiter der Suchthilfeangebote seien geplant.

Köln stehe im Vergleich zu anderen Großstädten noch gut da, findet auch Fischknecht. „Aber auch in Köln sind wir noch weit von einer zufriedenstellenden Versorgung entfernt.“ Außerdem brauche es Möglichkeiten für Konsumenten, ihre Drogen auf potenziell gefährliche Streckmittel zu testen, das sogenannte Drug-Checking.

Seit vergangenem Jahr können die Bundesländer Modellprojekte zum Drug-Checking genehmigen. In Nordrhein-Westfalen wird ein entsprechendes Projekt geprüft, berichtete das Ärzteblatt im März. Auch im Gesundheitsamt erwägt man die Einführung von Drogenqualitätskontrollen, zumindest „sobald ein entsprechender Rechtsrahmen auf Landesebene erlassen wird“, sagt die Stadtsprecherin.

Drogenkonsum sei immer auch Begleiterscheinung und Folge sozialer Probleme. „Um das Problem wirksam zu bekämpfen, müssen wir auch das große Thema Obdachlosigkeit in den Griff bekommen“, sagt Fischknecht. Darauf weist auch Sevenich hin: „Umso fataler ist es, wenn Notschlafstellen geschlossen werden, wie zuletzt in der Cranachstraße.“ Sevenich war Leiter der Einrichtung in Nippes. Ein Drittel der Schlafplätze für Menschen mit Suchtproblemen fiel damit weg, der Eigentümer hatte der Drogenhilfe gekündigt. „Wir sind derzeit auf der Suche nach alternativen Standorten, aber das ist nichts, was sich kurzfristig realisieren lässt“, sagt Sevenich. Vor 2025 sei es jedenfalls unrealistisch, eine neue Unterkunft zu finden.

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