NRW-Staatssekretärin über türkische Hochzeiten„Covid ist kein Migrantenproblem“
- Bei türkischen Hochzeiten in Hamm und Berlin hat es zuletzt größere Corona-Ausbrüche gegeben.
- NRW-Staatssekretärin Serap Güler wehrt sich gegen Unterstellungen, es handele sich bei den steigenden Fallzahlen um ein „Migrantenproblem“ – und erklärt im Interview, wieso.
Frau Güler, in Hamm und Berlin haben große türkische Hochzeiten zu Corona-Ausbrüchen geführt. Inwiefern sind solche Events mitverantwortlich für die derzeit stark ansteigenden Infektionszahlen?
In den betroffenen Städten haben diese Hochzeitsfeiern schon dazu beigetragen, dass die Infektionszahlen vor Ort stark gestiegen sind. Allerdings waren in Berlin nicht alleine türkische Hochzeiten Ursache für das hohe Infektionsgeschehen, sondern auch die Club-Szene, die sich nicht an Regeln gehalten hat. Auch in Berchtesgaden war keine türkische Hochzeit, sondern offenbar eine Garagenparty Auslöser neuer Infektionsherde.
Geht man in der türkischen Community in NRW leichtfertiger mit dem Virus um als in anderen Bevölkerungsgruppen?
Nein. Aber es gibt auch in der türkischen Community in NRW Menschen, die das Virus nicht mehr ganz so ernst nehmen, genauso wie in anderen Teilen der Bevölkerung ja auch. Ich fürchte, das hat viel damit zu tun, dass die Pandemie bei uns bisher relativ mild verlaufen ist. Deshalb hoffe ich sehr, dass die aktuell hohen Zahlen wieder zu einem Umdenken führen und die Menschen verstehen, dass noch nichts überstanden und die Lage nach wie vor ernst ist.
Begünstigt die Tradition der großen Hochzeiten die Ausbreitung der Pandemie?
Natürlich. Jede größere Feier oder Zusammenkunft tut das.
Spielen kulturelle Unterschiede eine Rolle, wenn in der türkischen Community Corona-Regeln leichtfertig nicht eingehalten werden?
Ich wüsste nicht, welche das sein sollten, wenn beispielsweise in der Türkei die Regeln zum Teil viel strenger sind und die Menschen sich dort weitgehend daran halten. Der kulturelle Unterschied ist eher die Größe der Hochzeit, aber nicht das Einhalten von Regeln.
Werden die Vorgänge instrumentalisiert, um fremdenfeindliche Ressentiments zu bedienen?
Darüber zu sprechen hat erstmal nichts mit Fremdenfeindlichkeit zu tun. Regelverstöße, egal von wem sie verübt werden, müssen angesprochen und kritisiert werden. Aber ich nehme natürlich auch wahr, dass solche Ereignisse bei einigen dazu führen, die hohen Infektionszahlen zu einem „Migrantenproblem“ zu machen. Dann heißt es, es seien mal wieder die Muslime, die sich nicht anpassen könnten. Ich habe in den vergangenen Tagen schon solche Schreiben bekommen. Ich glaube, das Beispiel Polen, das gerade extreme Infektionszahlen verzeichnet und kaum Migranten oder Muslime im Land hat, zeigt ziemlich deutlich, dass dies nicht der Fall ist.
Das könnte Sie auch interessieren:
Welche Rückmeldungen bekommen Sie aus der türkischen Community zu der medialen Berichterstattung?
Vor allem kriege ich die Reaktion derjenigen mit, die sich über diese großen Hochzeitsfeiern genauso aufregen, wie viele andere auch. Wenn man sich über die Berichterstattung aufregt, dann über diejenigen, die den Anschein erwecken wollen, dass türkische Hochzeitsfeiern die einzige Ursache für die aktuelle Lage sind.
Gibt es Besonderheiten bei türkischen Hochzeiten, die eine Verschiebung besonders erschweren?
Nein. Zumindest keine, die mir bekannt wären. In der Türkei oder in den arabischen Ländern kann man aktuell auch keine große Hochzeitsfeier durchführen. Warum sollte es hier bei uns irgendwelche Besonderheiten geben?
Finden türkische Hochzeiten jetzt in kleinerem Rahmen statt oder werden diese nun abgesagt?
Das kommt ganz darauf an, wie man gerne feiern möchte. Wenn man unbedingt darauf besteht, im großen Rahmen zu feiern, was legitim und wohl eher eine Geschmacksfrage ist, bleibt einem derzeit nichts Anderes übrig, als die Feier zu verschieben. Alles andere verstößt gegen die aktuelle Corona-Schutzverordnung des Landes. So einfach ist das.
Werden die Corona-Regeln möglicherweise nicht gut genug von den Behörden für die Migranten übersetzt?
Das Virus ist nicht Deutsch, es existiert auch nicht nur in Deutschland. Die Grundregeln, wie Hygiene, Abstand oder Maske sind überall auf der Welt dieselben. Ich denke, das ist weniger ein Problem von sprachlichen Defiziten, sondern eher von mangelnder Solidarität oder gar Begriffsstutzigkeit. Für uns ist es sehr wichtig, dass wir alle Menschen – und Generationen – erreichen. Deswegen haben wir als Landesregierung die wichtigsten Botschaften von Anfang an in viele Sprachen übersetzt, die wir über Social-Media genauso laufen lassen wie über unsere integrationspolitische Infrastruktur, zum Beispiel die Migrantenvereine, mit denen wir auch diesbezüglich sehr gut zusammenarbeiten.
Wie groß ist Ihre Sorge vor einem zweiten Lockdown?
Ich will keine Panik verbreiten, aber wenn wir uns jetzt nicht alle gemeinsam anstrengen, dann sind wir einem zweiten Lockdown näher als wir glauben. Das wäre die eigentliche Katastrophe. Deshalb tragen wir alle Verantwortung genau das zu vermeiden, indem wir uns an die Regeln halten.