Bundeskanzler Olaf Scholz ist nicht für ein pompöses Auftreten bekannt. Stattdessen wirkt sein Verhalten oftmals zurückhaltend, vorsichtig und mitunter sogar unsicher. Hat der Kanzler Angst? Oder ist alles Teil einer ausgetüftelten Strategie? Ein Experte für Körpersprache klärt auf.
Körpersprache-Experte analysiert BundeskanzlerOlaf Scholz habe „große Angst, Fehler zu machen“
Eine Hand nestelt an den Knöpfen des Sakkos, die andere hängt samt Arm träge am Körper herab: Das Auftreten von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wirkt häufig alles andere als selbstbewusst. Kriegt der Kanzler ein Mikrofon in die Hand gedrückt, klammert er sich mit beiden Händen daran fest und dreht unentwegt nach links und rechts, als handele es sich um eine Konfettikanone. Hinzu kommen ein verhaltener Gang und besonders leises Sprechen. Ist er schlicht vorsichtig? Hat Olaf Scholz bei öffentlichen Auftritten mit Nervosität zu kämpfen? Oder ist das alles Teil einer durchdachten Strategie? Ein Körperspracheexperte enträtselt das Auftreten des Bundeskanzlers.
„Scholz ist ein Kontrollfreak. Er hat große Angst, Fehler zu machen und Anzeichen von Unsicherheit zu zeigen“, analysiert Tilman Billing, Experte für Körpersprache, Medientrainer und Führungskräftecoach für Reden und Präsentationen. Während der Corona-Pandemie gründete er mit Stagerockers eine Rhetorik- und Körperspracheplattform für Fach- und Führungskräfte. Das Verhalten des Bundeskanzlers bei öffentlichen Auftritten beobachtet er genau. So soll der Griff an den Sakkoknopf ihm zum Beispiel Sicherheit geben und das persönliche Gefühl, „alles im Griff zu haben“, meint Billing. Der Grund dafür sei also ein psychologischer.
Wichtigstes Ziel ist Fehlervermeidung
„Eine sehr typische Geste, die Scholz häufig benutzt und zu seinem individuellen Standardrepertoire der Körpersprache gehört“, sagt Tilman Billing. Das wichtigste Ziel des Bundeskanzlers sei die Fehlervermeidung.
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Hinzu komme ein weiterer ganz praktischer Aspekt: die Überprüfung des Outfits. Wenn der Kanzler aus einem Flugzeug oder einer Limousine steige, kontrolliere er damit, ob das Sakko auch wirklich zugeknöpft sei. Dabei sei entscheidend, dass lediglich ein einzelner Knopf geschlossen ist. „Ein offenes Sakko würde zu leger wirken, ein vollständig zugeknöpftes Jackett zu unmodisch und steif“, erklärt der Präsentationsexperte.
Bekommt Bundeskanzler Olaf Scholz ein Mikrofon gereicht oder wird es ihm an einem Ständer befestigt hingestellt, ist eine weitere Auffälligkeit zu beobachten: das Klammern. So auch bei einer SPD-Veranstaltung Anfang Juni im brandenburgischen Falkensee.
„Aus Angst, körpersprachlich und emotional die Kontrolle zu verlieren, umklammert er die meiste Zeit über das Mikrofon und sucht am Mikrofonständer Halt“, erklärt Billing. Das wirke „unnatürlich und überflüssig“. Es sei zu sehen, wie die rechte Hand des Bundeskanzlers immer wieder den natürlichen Impuls habe, sich zu bewegen.
Zwar wirke Scholz inzwischen engagierter, ehrlicher und authentischer als früher, sein Hang zur Selbstkontrolle verhindere aber, dass sich seine Hände frei und lebendig bewegen, sagt der Körperspracheexperte.
Entwicklung im Bundestagswahlkampf durchgemacht
Immerhin habe der Bundeskanzler in den vergangenen beiden Jahren eine positive Entwicklung in Bezug auf sein öffentliches Auftreten durchgemacht. Knapp zwei Jahrzehnte lang sei eine starre Mimik und Gestik verantwortlich dafür gewesen, dass Olaf Scholz wie ein Roboter gewirkt habe. „Spätestens im Bundestagswahlkampf 2021 wurde auch Scholz und seinen Beratern bewusst, dass er nur Kanzler werden kann, wenn er für bestimmte Wählergruppen sympathisch wirkt, Empathie und ehrliches Engagement zeigt“, erläutert Medientrainer Tilman Billing.
Seitdem sei die Körpersprache des Kanzlers etwas lebendiger geworden. Vor allem der Gesichtsausdruck sei hervorzuheben. Wirkte die Mimik in der Vergangenheit oftmals vollständig erstarrt, zeige Scholz nun regelmäßig ein authentisches Lächeln. „Dass es sich um kein einstudiertes, sondern ein echtes Lächeln handelt, erkennt man daran, dass die Augen mitlachen und Lachfältchen, um die Augen herum, sichtbar werden“, erklärt der Präsentationsexperte.
Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit erreiche niemand ohne eine lebendige Körpersprache, und so habe sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz von einem „Sprechroboter“ und „Scholzomat“ zu einer Person, die für ihr „schlumpfiges Grinsen“ bekannt ist, entwickelt. „Spannend zu beobachten wird sein, ob es dem Kanzler in Zukunft gelingen wird, im wichtigsten Bereich der Körpersprache, der Gestik, seine Hände beim Sprechen auf lebendige, natürliche und authentische Weise zu bewegen“, sagt Billing. (RND)