Die Kölner Strafrechtlerin Frauke Rostalski plädiert für die Beibehaltung des „Abtreibungsparagrafen“ 218 im Strafgesetzbuch.
Kolumne Recht und Ordnung zu Paragraf 218Gefährliches Rütteln am Abtreibungskompromiss
Wieder einmal wird in Deutschland darüber debattiert, ob der Schwangerschaftsabbruch als Strafvorschrift aus dem Strafgesetzbuch (StGB) gestrichen werden soll. Die Bundesregierung hat zur Klärung dieser Frage eine Kommission eingesetzt, die inzwischen ihre Arbeit aufgenommen hat.
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hat sich im Vorfeld klar geäußert. Für sie ist das Strafrecht „nicht der richtige Ort“ zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs. Dass sie mit dieser Meinung nicht allein steht, zeigt nicht bloß ein Blick in zahlreiche Zeitungsartikel, sondern auch eine nähere Befassung mit Stimmen aus der Wissenschaft, die sich ähnlich positionieren.
Um es vorweg zu nehmen: Ich schließe mich dem nicht an. Den Staat trifft eine Schutzpflicht auch gegenüber dem ungeborenen Leben. Hierbei handelt es sich um einen Höchstwert des Verfassungsrechts. Deshalb ist, wie bereits das Bundesverfassungsgericht betont hat, effektiver Schutz geboten, und deshalb ist (auch) das Strafrecht der richtige Ort, um dies zu regeln.
Dass der Lebensschutz erst über die Dauer der Entwicklung im Mutterleib erstarke, weshalb in früheren Phasen der Schwangerschaft – gar bis zur 24. Woche, wie der Deutsche Juristinnenbund meint – die Rechtsposition der Schwangeren überwiege, überzeugt mich nicht. Jedes Leben ist gleich viel wert – unabhängig also etwa von Faktoren wie dem Alter, geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen oder dem Entwicklungsstand.
Die gegenwärtige Fassung der Paragrafen 218 ff. im Strafgesetzbuch ist sicherlich kein rechtsdogmatisches Meisterwerk. Gleichwohl handelt es sich dabei um einen Kompromiss, der über viele Jahre gesellschaftlichen Frieden mit ermöglicht hat. Hieran zu rütteln, erscheint mir nicht ungefährlich.
Der rechtliche Schutz des menschlichen Lebens berührt zentrale Wertvorstellungen unserer Gesellschaft. Über sie darf und soll man streiten. Aber radikale Polarisierung beeinträchtigt den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der Blick in die USA mag uns als mahnendes Beispiel dienen.
Dabei macht es sich zu einfach, wer meint, ein Festhalten an der Vorschrift des Paragrafen 218 laufe darauf hinaus, das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren (zu) gering zu schätzen. Meiner Ansicht nach sollten wir die Debatte um Schwangerschaftsabbrüche gerade nicht in einer Art Frontstellung zwischen dem Lebensrecht des Ungeborenen und den Interessen der Schwangeren führen. Richtiger wäre es, den Blick zu weiten: nicht „kein Strafrecht“, sondern „nicht nur Strafrecht“.
Zum Beispiel: Welche Bedingungen gelten dafür, ein – gegebenenfalls behindertes – Kind in unserer Gesellschaft (allein) großzuziehen? Wer hiernach fragt, erkennt schnell die Untragbarkeit bestehender Verhältnisse, in denen insbesondere alleinerziehende Mütter einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt sind, Carearbeit in der Rente keine Berücksichtigung findet oder gelingende externe Kinderbetreuung von finanzieller Stärke abhängt.
Und weiter: Welche Folgen für die Gesellschaft hat das Signal, dass Verantwortung selbst für ungeborenes Leben nur besteht, wenn die Schwangere größtmögliche Freiheiten haben soll, sich dafür oder dagegen zu entscheiden? Soll maximale Flexibilität noch in diesem Bereich tiefster zwischenmenschlicher Verbundenheit zum leitenden Prinzip werden? Und all dies, um letztlich einer Wirtschaftsordnung Rechnung zu tragen, die Menschen dazu veranlasst, die Geburt eines Kindes mangels sozialer Ausgleichsmechanismen als individuellen „Fehler“ einzustufen?
Die Autorin
Frauke Rostalski ist Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie an der Universität zu Köln. Sie ist auch Mitglied im Deutschen Ethikrat. Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ und auf ksta.de gibt sie in der Kolumne „Recht & Ordnung“ mit weiteren Expertinnen und Experten Auskunft zu oft kniffligen Fragen des Rechts. (jf)
Podiumsdiskussion
Zu einer Podiumsdiskussion über die strittigen Fragen rund um den Paragrafen 218 und über dessen mögliche Streichung versammelt Professorin Frauke Rostalski führende Expertinnen und Experten aus ganz Deutschland. Es diskutieren Susanne Beck vom Kriminalwissenschaftlichen Institut der Universität Hannover, die Vorsitzende des Deutschen Juristinnenbunds (djb), Valentina Chiofalo, und der katholische Moraltheologe Franz-Josef Bormann aus Tübingen, der zusammen mit Rostalski dem Deutschen Ethikrat angehört. Der Abend wird veranstaltet vom Verein zur Förderung der Kriminalwissenschaften an der Universität zu Köln. (jf)
§ 218 StGB. Quo vadis und cui bono?, Mittwoch, 22. November, 19.30 Uhr, Hörsaal II (Hauptgebäude der Universität zu Köln), Albertus-Magnus-Platz, 50923 Köln. Eintritt frei.