Tödliche Schüsse bei PolizeieinsatzPsychiatrische Klinik gerät in Erklärungsnot
Düsseldorf – Könnte Mouhamed D. noch leben, wenn die Jugendpsychiatrie des LWL-Krankenhauses in Dortmund den Senegalesen nach seiner Suizidandrohung stationär aufgenommen hätte?
Diese Frage steht am heutigen Mittwoch im Gesundheitsausschuss des Landtags auf der Tagesordnung. Aus einem vertraulichen Bericht der Landesregierung gehen brisante Informationen hervor. Darin heißt es, der 16-Jährige habe sich am Tag vor seiner Erschießung gegen 0.30 Uhr offenbar selbst zu einer Polizeiwache begeben - und dort seine Selbstmordabsicht mitgeteilt. Daraufhin soll die Polizei einen Rettungswagen bestellt haben, der Mouhamed D. in die Fachklinik brachte. Die Fahrt wurde von der Polizei begleitet.
Keine Suizidgefahr festgestellt
Die Dortmunder Polizei ging offenbar von einer akuten Suizidgefahr bei dem jungen Flüchtling aus. In der LWL-Elisabethklinik wurde der Fall an diesem Wochenende aber offenbar anders eingeschätzt. Dort sah man davon ab, den 16-Jährigen stationär aufzunehmen. Stattdessen schickte man Mouhamed D. wieder zurück in die Jugendhilfeeinrichtung, in der er lebte. Dort kam es am nächsten Tag zu der tödlichen Eskalation. Mouhamed D. drohte damit, sich mit einem Messer umzubringen, und näherte sich den Polizeibeamten. Daraufhin wurde er mit einer Maschinenpistole erschossen.
Vertraulicher Bericht
In dem vertraulichen Bericht von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) an den Gesundheitsausschuss heißt es, die Entlassung aus der Klinik sei mit dem Jugendlichen abgestimmt gewesen. Eine Untersuchung habe keine Anzeichen für eine akute Selbstmordgefahr ergeben. Auch ein Dolmetscher für Französisch sei bei den Gesprächen mit dabei gewesen. Angeblich soll sich Mouhamed D. von seinen Suizid-Ankündigungen distanziert haben. Damit habe es keine Rechtsgrundlage für eine stationäre Aufnahme gegeben. Wie zu erfahren war, wurden die Akten zu dem Vorgang den Ermittlungsbehörden übergeben.
Ein Sprecher der LWL-Klinik sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ auf Anfrage, die psychiatrische Anamnese, Diagnostik, Befundung und Empfehlung sei im Fall von Mouhamed D. „regelkonform“ durchgeführt worden. Dies werde „auch durch den weiteren tragischen Verlauf nicht widerlegt“. Im Fall des 16-Jährigen sei „nach ausgiebiger fachlicher Exploration“ keine akute Behandlungsnotwendigkeit festgestellt worden. „Somit lag keine Indikation für einen weiteren Verbleib vor“, sagte der Sprecher unserer Zeitung.
In der Landespolitik wurden die neuen Informationen mit Überraschung zur Kenntnis genommen. Der Fall in Dortmund müsse lückenlos aufgeklärt werden, sagte SPD-Sozialexpertin Lisa Kapteinat unserer Zeitung. „Dazu gehört auch die Frage, wie der Gesundheitszustand und die medizinische Versorgung des jungen Mannes zu bewerten war“, so die Landtagsabgeordnete.
Auch Yvonne Gebauer, gesundheitspolitische Sprecherin der FDP, hat Fragen. „Ich erwarte von Minister Laumann, dass er im Ausschuss darüber informiert, ob unsere ambulanten und stationären Einrichtungen für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Nordrhein-Westfalen generell personell so ausgestattet sind, dass sie Notfälle umgehend aufnehmen und fachgerecht betreuen können. Dabei sollte auch die personelle Situation der Klinik in Dortmund betrachtet werden“, so die Liberale aus Köln.
Arndt Klocke, Sprecher für mentale Gesundheit von den Grünen, erklärte, es sei die Frage, „inwieweit in psychiatrischen Notfall-Ambulanzen bei der Entscheidung über die stationäre Aufnahme ausreichend Erfahrungen im Umgang mit Flüchtlingen vorhanden“ sei. „Im Zweifel zählt der Schutz des Patienten, auch vor sich selbst“, sagte der Politiker aus Köln unserer Zeitung.
Im Fall Mouhamed D. wird gegen den Todesschützen ein Verfahren wegen Totschlags geprüft. Der ermittelnde Oberstaatsanwalt Carsten Dombert sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, er habe „Zweifel daran“, dass bei dem Einsatz „verhältnismäßig gehandelt“ worden sei. Nach seiner Einschätzung hätten „mildere Mittel“ als der Einsatz der MP gewählt werden können. Laut Dombert sollen die Ermittlungen in rund vier Wochen abgeschlossen werden. Dann entscheidet sich, ob das Verfahren eingestellt wird oder ob es zur Anklage kommt.
Die Polizei hatte am Einsatztag um 16.42 Uhr Kontakt mit dem Jugendlichen, der laut Obduktion 1,61 Meter groß war, aufgenommen. Schon drei Minuten später fielen die tödlichen Schüsse. Am Donnerstag ist der Vorgang erneut Thema im Innenausschuss des Landtags. Innenminister Herbert Reul (CDU) will einen Bericht vorstellen, der nach Informationen unserer Zeitung allerdings wenig Neuigkeiten enthält.
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Christina Kampmann, Innenexpertin der SPD, kritisiert, es bleibe zum Beispiel weiter unklar, wie Mouhamed D. das Messer zum Zeitpunkt der Schussabgabe gehalten habe. „Hierzu bitten wir Sie unverzüglich um Stellungnahme“, schreibt Kampmann in einer Mail an den NRW-Innenminister.