Nach einer endlosen Pannenserie ist die Verteidigungsministerin zurückgetreten. Aber wer kann das schwierige Amt übernehmen?
Prominente NamenWer folgt nach dem Rücktritt von Christine Lambrecht?
Ein Satz, den der Kanzler Anfang Dezember 2021 über Christine Lambrecht sagte, wird jetzt öfter hervorgekramt – mal mit Erstaunen, mal mit Spott. „Sie wird eine ganz, ganz bedeutende Verteidigungsministerin sein“, sagte Olaf Scholz, als er Anfang Dezember 2021 die SPD-Mitglieder für das Ampelkabinett vorstellte. Noch ein Jahr später, da stand die 57-Jährige längst erheblich unter Druck, sagte Scholz, sie sei eine „erstklassige Verteidigungsministerin“ – eine Feststellung, die Vizeregierungssprecher Wolfgang Büchner nach dem hochgradig umstrittenen Silvestervideo bestätigte. „Ja, selbstverständlich“ sei sie das, sagte er in der Bundespressekonferenz.
Am Montagmorgen ist Christine Lambrecht zurückgetreten - nach einer schier endlosen Pannenserie.
Auf Anhieb ist kein vergleichbarer Fall erinnerlich. Lambrecht, die bis zur Bundestagswahl 2021 als Justizministerin amtierte, wollte eigentlich aus der Politik aussteigen, bevor sie dann Verteidigungsministerin wurde.
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Es gebe auch noch ein Leben jenseits der Politik, sagte sie. Rückblickend wirkt es so, als sei diese Absicht allein der Tatsache geschuldet gewesen, dass die Frau aus Hessen sowohl der SPD als auch sich selbst keine Karrierechancen mehr einräumte. Denn als Scholz die Sozialdemokraten zum Wahlsieg führte, ließ sie sich bereitwillig wieder ins Gespräch bringen. Zwar lag der russische Angriff gegen die Ukraine zum Zeitpunkt der Regierungsbildung schon in der Luft. Dennoch hat der Kanzler womöglich gedacht, dass es auf das Verteidigungsministerium wie in den drei Jahrzehnten zuvor seit dem Fall der Mauer nicht mehr so richtig ankomme. Russlands Präsident Wladimir Putin hat die Agenda dann bekanntlich radikal umgeschrieben. Plötzlich wurde aus der Nebendarstellerin Lambrecht eine Hauptdarstellerin. Alle schauten auf sie.
5000 Helme – „ein Witz“
Als Verteidigungsministerin aber war sie politisch von Anfang an nicht auf Ballhöhe. Obwohl international längst über die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine debattiert wurde, stellte sie dem existenziell bedrohten Land stolz 5000 Schutzhelme in Aussicht. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki nannte dies einen „Witz“. Geraume Zeit später verkündete Scholz im Bundestag höchstpersönlich die Entscheidung über das 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen für die Bundeswehr.
Er trat auch selbst mit Generalinspekteur Eberhard Zorn in einen Austausch darüber, wie das Geld zu verwenden sei. Als im Herbst ruchbar wurde, wie groß der Mangel an Munition ist, unter dem die Bundeswehr leidet, fand das Spitzengespräch zur Lösung des Problems in der Regierungszentrale statt und nicht im Verteidigungsministerium.
Ministerin ohne Autorität
Dessen Chefin hatte nichts zu sagen. Es war erst gar keine Autorität entstanden, die Lambrecht hätte verlieren können. Hinzu kamen mehrfache Seltsamkeiten. So nahm Lambrecht ihren Sohn bei einem Hubschrauberflug mit der Flugbereitschaft der Bundesregierung mit und fotografierte ihn dabei. Der Sohn postete das Foto bei Instagram, wo es nicht bloß die „Bild“-Zeitung leicht finden konnte. Bald darauf sagte Lambrecht, dass ihre ebenfalls aus Hessen kommende Kabinettskollegin Nancy Faeser nächste Ministerpräsidentin des Landes werden würde; Faeser allerdings hat ihre Spitzenkandidatur für die SPD bis heute nicht erklärt.
Nachdem sich die Kritiker zwischenzeitlich wieder beruhigt hatten, brachte das Silvestervideo das Fass zum Überlaufen. Lambrecht hatte sich in Berlin auf einen menschenleeren Platz gestellt und von Böllerlärm mehrfach übertönt gesagt: „Mitten in Europa tobt ein Krieg. Und damit verbunden waren für mich ganz viele besondere Eindrücke, die ich gewinnen konnte – viele, viele Begegnungen mit interessanten und tollen Menschen.“
Es entstand ein letztes Mal der Eindruck, dass ihr jedes Gefühl dafür abgeht, was angemessen ist und was nicht. Auf Reisen – egal, ob nach Mali, in die Slowakei oder zuletzt ins sächsische Marienberg – versteckte sich Lambrecht regelrecht vor mitgereisten Journalisten. Die bekamen die Ministerin bei streng choreographierten Besuchsprogrammen nur noch aus größerer Entfernung und bei vereinzelten Statements zu Gesicht. Sonst übliche Hintergrundgespräche entfielen.
Lange bevor die Rücktrittsmeldungen am Freitagabend die Runde machten, war deshalb klar: So kann man das Bundesministerium der Verteidigung eigentlich nicht mehr führen. Die Frage ist, wer es führen kann – nachdem Lambrecht am Montag tatsächlich abgetreten ist. Die naheliegendste Wahl wäre die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl. Die Sozialdemokratin hat das Amt seit 2020 inne, kennt die Truppe inzwischen und mag sie.
Umgekehrt gilt das wohl nicht minder: Als Högl im vorigen Sommer den Standort Schortens in Niedersachsen besuchte, bekam sie von der Feldküche eine Torte kredenzt mit den Flaggen ihrer Lieblingsfußballvereine Werder Bremen und VfB Oldenburg. Offen ist, ob Högl das Amt will – und ob Scholz sie will. Vielfach genannt wird die selbstbewusste Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann.
Sie hat jedoch bestenfalls Außenseiterchancen. Denn die Düsseldorferin mit dem Spitznamen „Strackzi“ ist in der FDP; es müsste also einen Ressorttausch geben. Überdies hat sie den Kanzler in der Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine mehrfach herausgefordert. Der würde sich gewissermaßen eine Opponentin ins Kabinett holen. Dritte Frau im Bunde ist Siemtje Möller, Parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium. Sie gehört zwar der SPD an und ist vom Fach. Allerdings hat Möller bisher nicht erkennen lassen, dass sie den Ehrgeiz für den Aufstieg besitzt.
Daneben tauchen zwei Männer in der Kandidatenliste auf. Einer ist SPD-Chef Lars Klingbeil. Er ist Sohn eines Soldaten und hat sich durch eine deutliche Abkehr von der bisherigen Russland-Politik seiner Partei profiliert. Es heißt aber, der 44-Jährige möchte bleiben, was er ist. Der andere ist Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Er hat Zivildienst geleistet und keine verteidigungspolitische Expertise.
Dafür hat der Mann, den sie in der SPD liebevoll „Hubi“ nennen, viel Erfahrung, unter anderem als SPD-Generalsekretär und Minister. Und: Heil hat Akzeptanz und kann gut mit Menschen. Würde der Kanzler ihn fragen und Heil Ja sagen, müsste an seiner Stelle eine Frau das Bundesarbeitsministerium übernehmen. Dann wäre die angestrebte Geschlechterparität in der Regierung wieder gewahrt. Scholz ist bekannt dafür, dass er derlei Entscheidungen nur im allerengsten Kreis bespricht. Dass weit vorher etwas durchsickert, ist denkbar, aber unwahrscheinlich.
Es geht auch um Empathie
Dafür melden sich Experten mit Kriterien zu Wort, was eine Ministerin oder ein Minister mitbringen müsste, um Erfolg zu haben. „Die Verteidigungspolitik ist für Deutschland inzwischen existenziell geworden; das ist kein politisches Nebenthema mehr“, sagt der frühere Wehrbeauftragte und SPD-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Bartels. „Daran sollte sich die Entscheidung über die Nachfolge ausrichten. Der Kanzler braucht jemanden mit großem politischen Kampfgewicht.“ So müsse die Zeitenwende ja erst noch durchgesetzt werden, in der Koalition, in der SPD, im Bundestag. Ferner solle der Amtsinhaber unbedingt Organisationserfahrung haben, so Bartels.
„Die Streitkräfte sind ein Riesenapparat, der geführt werden muss und sich nicht von selbst führt. Ein bisschen Liebe zur Bundeswehr gehört ebenfalls dazu.“ Und schließlich sei das Amt ein internationales Amt. „Sich da schon ein bisschen auszukennen kann nicht schaden.“ Der einstige Generalinspekteur Hans-Peter von Kirchbach nennt als Voraussetzungen ebenfalls: eine Befähigung zur Führung großer Organisationen, internationale Erfahrung, politischer Rückhalt in Fraktion und Koalition, Neigung zur Aufgabe, Durchsetzungskraft sowie Empathie für die Soldatinnen und Soldaten. „Es müsste ein politisches Schwergewicht sein“, sagt er.
„Worauf es nicht ankommt, ist das Geschlecht.“ Abgesehen davon, wer es würde, sollte Lambrecht weichen, wäre noch offen, wie sie sich verabschiedet – nach der Vorgeschichte. Jede Prognose, das darf man wohl sagen, wäre gewagt.