Der ehemalige Innenminister bezieht Stellung zur Verhaftung der mutmaßlichen RAF-Terroristin Daniela Klette – und ordnet ihre Bedeutung ein.
FDP-Politiker über RAFGerhart Baum: „Terroristenfahndung hat zehn Jahre lang meinen Alltag bestimmt“
Herr Baum, wie bewerten Sie die Verhaftung der mutmaßlichen RAF-Terroristin Daniela Klette?
Das ist zweifellos ein wichtiger Fahndungserfolg, aber keineswegs eine Sensation.
Warum nicht?
Was doch seit Jahrzehnten alle beschwert, die an der Strafverfolgung der RAF-Terroristen beteiligt waren, sind die schrecklichen, nicht geahndeten Morde der dritten RAF-Generation vor allem an Wirtschaftsführern wie dem Siemens-Vorstand Karl Heinz Beckurts (1986), Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen (1989) oder dem Treuhand-Vorsitzenden Detlev Karsten Rohwedder (1991). Wer die Täter und Mitwisser waren, ist bis heute nicht geklärt. Und angesichts des dröhnenden Schweigens aller Mitglieder und Sympathisanten der dritten Generation war auch nicht zu erwarten, dass Licht ins Dunkel kommen würde. Es gibt eine Omertà der Täter. Sie kennen die Wahrheit, behalten sie aber eisern für sich.
Könnte sich das mit Klettes Verhaftung nicht ändern?
Die Tür hat sich jetzt einen Spalt weit geöffnet, durch den Licht ins Dunkel dieser Untaten von Mitte der 80er bis Anfang der 90er Jahre fallen könnte, die – wie zum Beispiel der Sprengstoffanschlag auf Herrhausen – mit absoluter Präzision begangen wurden. Als Verbrechen waren das Meisterleistungen, einschließlich der Verwischung so gut wie sämtlicher Spuren. Würde das jetzt aufgeklärt, wäre das die Sensation. Allerdings gibt es dafür bislang keine Anzeichen.
Wie wäre es mit einer Kronzeugen-Regelung für Frau Klette?
Daran könnte man denken, wenn sie bereit wäre, auszusagen. Und wenn sie etwas weiß. Sicher ist das nicht. Die Vorwürfe terroristischer Straftaten gegen Frau Klette sind höchstwahrscheinlich allesamt verjährt. Anders sieht das aus bei ihrer mutmaßlichen Beteiligung an der Serie von Banküberfällen, mit der sie und ihre Komplizen in den 90er Jahren ihren Lebensunterhalt finanziert haben.
Das wäre also ein Ansatz.
Angebote an Straftäter haben nur dann Sinn, wenn der Staat ihrer habhaft ist. Solange sie frei herumlaufen, besteht kein Druck, das eigene Fell zu retten, und somit auch kein Anlass, das Gesetz der Omertà zu brechen, „Verrat“ zu begehen an den Mittätern von einst.
Sie waren selbst am Kampf gegen den RAF-Terror beteiligt. Was sind da Ihre Gefühle, wenn jetzt eines der letzten flüchtigen Mitglieder ausfindig gemacht worden ist?
Nach dem entscheidenden Schlag gegen die zweite Generation der RAF, mit der ich es in meiner Zeit als parlamentarischer Staatssekretär und Innenminister zu tun hatte, und nach der Auflösung der RAF kommt es mir vor das Blättern im letzten, ungeklärten Kapitel in der Geschichte der RAF. Und das bewegt mich schon. Sie müssen sich vorstellen: Die Terroristenfahndung hat zehn Jahre lang meinen Alltag bestimmt. Jeden Morgen im Innenministerium haben wir mit einer Besprechung zum Stand der Fahndung begonnen. Die RAF hatte in jener Zeit Mitte/Ende der 70er Jahre eine unglaubliche Publizität. Die Bevölkerung war aufgewühlt wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Es entstand eine Panikstimmung, die mit der Realität nichts mehr zu tun hatte: Die Demokratie in Deutschland war durch die RAF zu keinem Zeitpunkt gefährdet.
Trotzdem standen wir in der sozial-liberalen Koalition unter Druck, nicht zuletzt weil die Opposition uns einer ideologischen Nähe bezichtigte und uns als Gesinnungsfreunde zu stigmatisieren versuchte, die dem Terror den Weg bereitet hätten. Unter diesem Druck haben wir – das muss ich zugeben – im Anti-Terror-Kampf auch Grenzen überschritten. Der Rechtsstaat wurde nicht in jeder Situation respektiert. Mit der Aufhebung bestimmter Fahndungsmethoden habe ich dann als Innenminister versucht, gegenzusteuern und zu reparieren, was möglich war.