Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum ist von der Universität zu Köln zum Ehrendoktor ernannt worden. Seine Dankesrede lässt aufhorchen.
Ehrenpromotion Gerhart Baum„Natürlich müssen wir besser regiert werden“
„Wir müssen uns leiten lassen von der rettenden Ehrfurcht des Menschen vor sich selbst.“ Als Gerhart Baum dieses Wort aus einer Rede von Thomas Mann zu Friedrich Schillers 150. Geburtstag zitiert, ist klar: Hier hat sich ein Großer unserer Zeit sein Lebensmotto von einem Großen der Vergangenheit geliehen.
Seit 70 Jahren macht Baum nun schon Politik – aus der Erfahrung des Kriegskinds, dass der Verlust eben jener Ehrfurcht im Nationalsozialismus geradewegs in die „Barbarei“ geführt hatte. Das „Nie wieder!“ übersetzt Baum in den bis heute unermüdlichen Einsatz für die Würde und die Freiheitsrechte des Menschen. „Dieser Kampf endet nie – das ist eine ganz wichtige Erkenntnis“, sagt der inzwischen 91-Jährige in seiner Dankesrede zur Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die juristische Fakultät der Universität zu Köln. Hier hatte Baum Mitte der 1950er Jahre studiert.
Gerhart Baum steht für einen sozialen Liberalismus
Mit wenig Mitteln, wie er sich im Festakt in der „Akademie für europäischen Menschenrechtsschutz“ der Universität erinnert. Für den „Schönfelder“ (seit 2021: Habersack), eine Juristenbibel mit der Sammlung wichtiger Gesetze, habe ihm schlicht das Geld gefehlt. „Ich bekam ihn vom Staat finanziert.“ Das war, könnte man sagen, der Anwendungsfall jenes sozialen Liberalismus, für den Baum mit seiner politischen Statur einsteht: den Gedanken nämlich, dass die freie Entfaltung des Menschen der Unterstützung und – wo nötig – auch des Schutzes durch die Gemeinschaft bedarf.
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Der neue Rektor der Universität, Joybrato Mukherjee, nennt Baum mit seiner „Berufung für die res publica“ ein leuchtendes Vorbild für alle Jurastudierenden, Forschenden und Lehrenden. Und der Dekan der juristischen Fakultät, Bernhard Kempen, spricht von einer „die Zeiten prägenden Persönlichkeit“. Baum, von 1978 bis 1982 Innenminister unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD), rangiere auf einer „Bundesminister-Erinnerungsskala“ ganz oben.
Großdemonstrationen gegen die AfD „auch ein Erfolg Baums als Mahner“
Aktuell macht Mukherjee die politische Strahlkraft Baums fest an dessen deutlichen Worten gegen den Rechtsextremismus. Es sei auch Baums Erfolg als Mahner, ergänzt der frühere Bundesverfassungsrichter Andreas Paulus mit Blick auf die bundesweiten Großdemonstrationen gegen die AfD, dass „die Bevölkerung aufgewacht“ sei. Glücklicherweise sei Deutschland heute – anders als in der Zeit der Weimarer Republik – eine „Demokratie mit Demokraten“. Doch darauf dürfe die Gesellschaft sich nicht ausruhen, betont Paulus in seiner Laudatio auf Baum. Eine verfassungsfeindliche Partei wie die AfD gefährde die Freiheit. Den „Verbotsimperativ“ des Grundgesetzes gelte es ernstzunehmen.
In seiner Erwiderung macht Baum deutlich, dass ihm die harte Linie des heutigen Göttinger Völkerrechtlers in dieser Frage grundsympathisch ist. Er stimme eigentlich in allem mit Paulus überein, sagt Baum, was bei einem so profilierten, streitbaren Kopf wie ihm auch als freundliche Verbeugung vor dem Laudator zu verstehen ist.
Lob für den „richtigen Riecher“
Zuvor hat Paulus an die vielen großen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht erinnert, die Baum zur Verteidigung der Bürgerrechte geführt – und gewonnen hat. „Sie haben der Republik damit einen großen Dienst erwiesen“, sagt Paulus. „Denn wo kein Beschwerdeführer, da kein Verfassungsrichter.“ Für Themen vom Kaliber des „Großen Lauschangriffs“ oder des Luftsicherheitsgesetzes, das in der von Baum angegriffenen Fassung den Abschuss von Passagierflugzeugen zur Terrorabwehr erlauben sollte, brauche es Profis. Baum habe in Karlsruhe „mit grundsätzlichen Ausführungen überzeugt“ und zudem oft „den richtigen Riecher gehabt“, lobt Paulus.
Die Bedeutung des Klimaschutzes zur Sicherung eines menschenwürdigen Lebens habe Baum schon sehr früh erkannt und dann darunter gelitten, dass er in seiner Partei, der FDP, damit keine entsprechende Resonanz gefunden habe.
Gerhart Baum: „Natürlich müssen wir besser regiert werden“
Baum selbst meidet in seinen Reminiszenzen wie auch in seiner Skizze gegenwärtiger Herausforderungen die parteipolitischen Zwischen- und Untertöne. Dass wir „natürlich besser regiert werden müssen, aber auch anders“, ist eher eine generelle demokratietheoretische Feststellung als eine Abrechnung mit der Ampel. Anders regieren – das müsste in Baums Sinne auch die Opposition, wenn sie wieder ans Ruder käme. Nämlich so, „dass die Menschen wieder Vertrauen bilden zu den Handelnden dieser Republik“. Wie das ginge? „Wahrhaftiger regieren, Probleme sichtbar machen.“ Das sei Sache aller demokratischen Parteien. Ihnen attestiert Baum – anders als den „Protestparteien“ und „Systemverächtern“ – sehr wohl die „Problemlösungskompetenz“.
Auch wenn er sein ganzes Leben lang noch nie eine solche „Ballung von Krisen und Bedrohungen erlebt“ habe wie zurzeit, insbesondere keine solche Bedrohung der Demokratie, wolle er „jeden Eindruck vermeiden, dass ich mutlos oder verzweifelt bin“, betont Baum und ruft gleich mehrfach zur Verteidigung der Demokratie auf. „Ich habe in meinem Leben versucht, immer wieder aktiv zu werden, auch ungefragt“, sagt er abschließend und fügt den Satz hinzu, der nicht nur für die Gäste seine Ehrendoktorfeier – unter ihnen Kölns OB Henriette Reker und die Präsidentin des NRW-Verfassungsgerichtshofs, Barbara Dauner-Lieb – wie ein Versprechen klingt: „Ich werde das auch weiter tun.“