Teil des Gleichheitsgrundsatzes des Grundgesetzes, der in Artikel 3 formuliert ist, ist auch ein ausführlicher Absatz gegen Diskriminierung.
In diesem dritten Absatz steht, dass kein Mensch wegen seiner Rasse diskriminiert werden dürfe.
Nur gibt es überhaupt keine unterschiedlichen Menschenrassen. Nach George Floyds Tod nimmt die Debatte über den falschen Rassebegriff im Grundgesetz erneut Fahrt auf.
Der Entertainer und Quizmaster Hans Rosenthal beschreibt seinen 1980 erschienenen Erinnerungen „Zwei Leben in Deutschland“ eindringlich, wie er und seine Familie 1935 buchstäblich über Nacht den Rassenwahn der Nationalsozialisten am eigenen Leib zu spüren bekamen. Urplötzlich war beim Blutspenden das Blut seines kleinen Bruders Gert nicht mehr erwünscht.
Von einem Tag auf den anderen galt jüdisches Blut nach den Nürnberger Rassegesetzen als unrein. „Ich war damals zehn Jahre alt und empfand den Vorgang als schmerzliches, demütigendes Ereignis. Wir wollten doch, dass anderen Menschen geholfen wurde. Warum stieß man uns zurück? Von dieser Stunde wussten wir alle, und ich wusste es auch: Wir waren Ausgestoßene im eigenen Vaterland!“
Menschenfeindliche Rassenlehre der Nazis
Diese kleine Episode illustriert ebenso anschaulich wie beklemmend die Unerbittlichkeit, mit der die Nazis schon zwei Jahre nach ihrer Machtübernahme ihre menschenfeindliche Rassenlehre anwandten und brutal durchsetzten. Schon in „Mein Kampf“ hatte Adolf Hitler geschrieben: „Der Arier und der Jude – sie sind so weit auseinander wie das Tier vom Menschen. Nicht dass ich den Juden ein Tier nenne. Er steht dem Tier viel ferner als wir Arier.“
Als die Väter und vier Mütter des Grundgesetzes den Rassebegriff in die neue Verfassung aufnahmen, taten sie dies in bester Absicht – als Abwehr-Reaktion gegen den Rassenwahn der Nazis. Im Entwurf des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee im August 1948, der als Grundlage für die Beratungen des Parlamentarischen Rates diente, taucht der Begriff noch nicht auf, sagt der Verfassungshistoriker Michael F. Feldkamp.
In Artikel 3 eingefügt – Keine Einwände der Militärgouverneure
Erst am 5. Oktober 1948 wurde das damals nicht inkriminierte Wort in Artikel 3 eingefügt. Absatz 3 lautet seitdem: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
Die Annahme des Grundgesetzes erfolgte in Bonn am 8. Mai 1949, also am vierten Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation. Die Militärgouverneure der drei Westmächte, die die neue Verfassung genehmigen mussten, hatten keine Einwände. Auch die „Rasse“ blieb unbeanstandet.
Der Begriff hat auch in die Europäische Menschenrechtskonvention Eingang gefunden. Sie enthält in Artikel 14 ein Diskriminierungsverbot. In der „Anti-Rassismus-Richtlinie“ aus dem Jahr 2000 wird ein Gleichbehandlungs-Grundsatz formuliert, der Benachteiligungen „aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft“ ausschließen soll. Mehrere europäische Staaten, darunter Frankreich und Finnland, haben das R-Wort hingegen aus ihren Verfassungen gestrichen.
Debatte nahm nach Floyds Tod erneut Fahrt auf
Nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd durch Polizeigewalt hat in Deutschland eine schon früher geführte Debatte über die Frage Fahrt aufgenommen, ob der historisch belastete Begriff der Rasse an zentraler Stelle des Grundgesetzes stehen bleiben, entfernt oder durch eine andere Formulierung ersetzt werden sollte. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist offen für eine Diskussion über eine Änderung und spricht von „nachdenkenswerten Argumenten“, Innenminister Horst Seehofer (CSU) signalisiert Gesprächsbereitschaft, Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) plädiert für eine Streichung, ebenso Grüne, Linke und Liberale.
Die AfD ist gespalten. Ihr Innenpolitiker Gottfried Curio plädiert in seltener Übereinstimmung mit den Grünen dafür, „Rasse“ durch „ethnische Herkunft“ zu ersetzen.
Der Begriff führt, meist eher in akademischen Kreisen, immer wieder zu Unmut. Im September 2019 wurde an der Universität Jena eine Erklärung mit dem etwas sperrigen Titel „Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung“ verabschiedet.
Darin heißt es: „Die Idee der Existenz von Menschenrassen war von Anfang an mit der Bewertung dieser vermeintlichen Rassen verknüpft, ja die Vorstellung der unterschiedlichen Wertigkeit von Menschengruppen ging der vermeintlich wissenschaftlichen Beschäftigung voraus. Die vorrangig biologische Begründung von Menschengruppen als Rassen – etwa aufgrund der Hautfarbe, Augen- oder Schädelform – hat zur Verfolgung, Versklavung und Ermordung von Abermillionen von Menschen geführt.“
Die Verknüpfung von Merkmalen wie der Hautfarbe mit Eigenschaften „oder gar angeblich genetisch fixierten Persönlichkeitsmerkmalen und Verhaltensweisen“ sei „falsch und niederträchtig“.
Wissenschaftlicher Konsens zum Rassebegriff beim Menschen
In der Wissenschaft besteht seit langem Einigkeit darin, dass es keine menschlichen Rassen gibt. Obwohl die ursprüngliche Interpretation des Rassebegriffs durch Anwendung von Artikel 3 in der Praxis Differenzierungen und Nuancen erfahren hat, habe die Rechtsprechung bislang keine eigene Definition vorgelegt, kritisiert die Bremer Verfassungsrechtlerin Angela Streibel.
Es werde weiter auf den „entstehungsgeschichtlichen Zusammenhang“ zwischen Artikel 3 und der Willkür der NS-Gesetzgebung hingewiesen. Ob die hohen Wellen, die der Fall Floyd derzeit schlägt, in der Justiz etwas bewegen, ist offen.