Rassismus beklagtWarum Migranten besonders von Covid-19 betroffen sind
- Ali Ertan Toprak ist Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft für Immigrantenverbände. Er kritisiert, dass Zuwanderer in der Corona-Pandemie zu schlecht über Regeln und Hygieneschutz informiert werden.
- Die Folge: Migranten seien besonders häufig von Covid-19 betroffen.
- Welche Forderungen Toprak stellt, lesen Sie im Gespräch.
Herr Toprak, wie beurteilen Sie Meldungen, wonach die Infektionsrate bei Menschen mit Migrationshintergrund relativ hoch ist?Ali Ertan Toprak: Das ist zum einen sehr besorgniserregend, zum anderen ist es irritierend, dass dieser Befund so spät erst durchsickert. Aus meiner Sicht ist es nicht hinnehmbar, dass so ein lebenswichtiges Thema tabuisiert wird. Wenn gerade bei der Covid-Pandemie ein derartiges Problem auftritt, muss es auch angesprochen werden, um richtige Analysen und Lösungen zu finden. Besonders ärgert mich der Gedanke, dass viele Verantwortliche direkt fürchten, rassistischen Kräften in die Hände zu spielen, wenn die hohe Virus-Rate bei Migranten veröffentlicht wird. Es ist doch eher rassistisch, wenn Menschen mit ausländischen Wurzeln in hohem Maße am Corona-Virus sterben und niemand die Ursachen anspricht.
Wo liegen die Gründe für die Zurückhaltung?
Schauen Sie sich doch nur die fortschreitende Cancel-Culture-Bewegung an, mittlerweile haben doch selbst viele Wissenschaftler aus unterschiedlichen Forschungsfeldern Angst davor, offenkundige gesellschaftliche Probleme anzusprechen – und sollten sie auch Migrationsfelder betreffen. Diese Denk- und Diskussionsverbote führen dazu, dass Ärzte und Virologen sich nicht trauen, öffentlich diese Dinge in den Fokus zu rücken. Denn schnell droht dann eine Rassismus-Debatte. Anstatt die tödlichen Folgen zu beachten, sollte das Migranten-Phänomen unter den Teppich gekehrt werden. Wir leben nun einmal in einer Einwanderungsgesellschaft, und deshalb muss man diese Dinge offen debattieren.
Woran hapert es bei Kommunikation der Covid-Pandemie in Migranten-Communitys?
Es ist doch furchtbar, dass wir nach einem Jahr der grassierenden Pandemie immer noch etliche Menschen nicht mit unseren Informationen zum Hygieneschutz und Warnungen erreichen.
Was ist die Ursache?
Das liegt vor allem daran, dass manche ethnische Gruppen die normalen Medienkanäle nicht nutzen. Da reicht es längst nicht aus, einfach nur die Infos auf Webseiten zu stellen und in andere Sprachen zu übersetzen. Deshalb muss man sich darüber Gedanken machen, diese Menschen besser in das Nachrichtensystem zu integrieren. Als Bundesarbeitsgemeinschaft planen wir eine Fachtagung, um genau über dieses Thema zu sprechen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Aber wie kann man etwa türkischstämmige Menschen abholen, die sich einzig über heimische Medien informieren?
Das ist ein Teil der Misere. Das Covid-Virus ist zwar auch in der Türkei ein Thema, aber die Maßnahmen und Regeln, die in Deutschland gelten, finden sich auf diesen Kanälen nicht wieder. Und es wird dann schwierig, wenn Zweidrittel der türkischstämmigen Bewohner hierzulande ihre News aus den teils staatsgelenkten Medien Ankaras beziehen. Deshalb muss die Frage erlaubt sein, warum lassen wir es zu, dass die deutschen Presseorgane diese Leute nicht erreichen? Ich denke da gerade auch an die öffentlich-rechtlichen Sender.
Heißt das auch, in gewissen Kulturkreisen wird das Infektionsrisiko verharmlost?
Das wäre zu pauschal gedacht. Vieles hängt davon ab, welcher sozialen Schicht diese Menschen angehören, in welchen Wohn- und Arbeitsverhältnissen sie leben. Das hat ja schon die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) festgestellt. Demnach sind weltweit insbesondere Minderheiten und Migranten von der Pandemie betroffen. Dies hängt sicher auch mit Armut und prekären Lebensverhältnissen zusammen. Dazu kommen auch kulturelle Wurzeln, in denen die Großfamilie noch richtig gelebt wird.
Zur Person
Ali Ertan Toprak (51) ist CDU-Mitglied und Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft für Immigrantenverbände in Deutschland und zugleich Bundesvorsitzender der „Kurdischen Gemeinde in Deutschland e.V.“.
Die Großfamilie als Superspreader?
Nein, das nicht gerade. Wenn aber Trauerfeiern oder illegale Großhochzeiten stattfinden, bei denen man sich nicht an die Regeln hält, sollte die Staatsmacht klar und deutlich eingreifen. Die unmissverständliche Botschaft muss hier heißen, dass es keinen Kulturrabatt gibt.
Haben Bund und Länder in dem Bereich versagt?
Eine schwierige Frage. Bund und Länder sind natürlich überfordert gewesen, die gesamte Situation in allen Facetten zu bewältigen. Aber nach einem Jahr muss man schon die Frage stellen, warum das alles so langsam vorangeht ? Als Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft habe ich mich direkt zu Beginn der Pandemie als Vertreter von Migranten-Communitys bei der Bundesregierung gemeldet, um in die Krisenstäbe miteinbezogen zu werden. Das ist aber erst einmal nicht geschehen. Ein Fehler wie sich heute herausstellt, denn ein Viertel aller Einwohner in Deutschland blickt auf eine Migrationsgeschichte zurück. Wir müssen die Diversität unserer Gesellschaft zur Kenntnis nehmen und entsprechend handeln.
Was muss sich ändern?
Die Regierenden müssen die Migrantenverbände mehr einbeziehen. Es reicht einfach nicht aus, die Informationen und Regeln zum Hygieneschutz auf die Webseiten zu stellen und zu übersetzen. Gerade viele ältere Menschen, die durch das Virus ja maßgeblich bedroht sind, informieren sich auf den Kanälen ihrer Herkunftsländer. Deshalb lautet mein Vorschlag, nach dem Vorbild des deutsch-französischen TV-Senders ARTE ein Programmangebot für arabisch, türkisch und kurdische sprechende Zuwanderer zu schaffen. Auch die Migranten sind GEZ-Gebühren-Zahler, und auch die sollten mit seriösen Nachrichten versorgt werden. Es wäre falsch, diese Leute ihren Herkunftsländern zu überlassen.