EU-Staaten, Parlament und Kommission haben eine Einigung bei der europäischen Asylreform erreicht. Das sind die Reaktionen.
Reaktionen auf Asylreform der EULob von Scholz – Amnesty spricht von „Dammbruch“
FDP-Fraktionschef Christian Dürr hat die Einigung in der EU-Asylreform gelobt. „Europa hat die Wende in der Asylpolitik eingeleitet und damit eine historische Chance genutzt“, sagte Dürr dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Wir werden mehr Ordnung und Kontrolle in die Migration bringen und Grenzverfahren an den europäischen Außengrenzen durchführen“, sagte Dürr weiter. „Die Beschlüsse sind daher ein echter Erfolg und zeigen, dass die EU auch in angespannten Zeiten handlungsfähig ist.“
Bundeskanzler Olaf Scholz erwartet von der Reform der EU-Asylpolitik eine Erleichterung für Deutschland. „Damit begrenzen wir die irreguläre Migration und entlasten die Staaten, die besonders stark betroffen sind – auch Deutschland“, schrieb der SPD-Politiker am Mittwoch auf der Online-Plattform X nach dem am Morgen erzielten Durchbruch in den Verhandlungen zur Asylreform. Die Einigung sei ein „ganz wichtiger Beschluss“.
Metsola: „Bahnbrechende Einigung“
Ein zentrales Element der Reform ist, dass ankommende Asylbewerber mit geringer Bleibechance schneller und direkt von der EU-Außengrenze abgeschoben werden sollen. Dahinter stehen die sogenannten Grenzverfahren. Haben Menschen eine Staatsangehörigkeit, deren Anerkennungsquote für Asyl bei unter 20 Prozent liegt, sollen sie an der Grenze festgehalten werden. Ihr Anspruch auf Asyl soll dann direkt vor Ort und innerhalb von zwölf Wochen in einem Schnellverfahren geprüft werden.
EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola sprach von einem historischen Ergebnis. „Der 20. Dezember 2023 wird in die Geschichte eingehen. Als der Tag, an dem die EU eine bahnbrechende Einigung über neue Regeln zur Steuerung von Migration und Asyl erzielte. Europa hat erneut allen Widrigkeiten getrotzt“, sagte Metsola.
Faeser: Asyl-Kompromiss ist Schlüssel zur Steuerung der Migration
Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser zeigte sich hochzufrieden mit der Einigung. „Ich habe die ganze Nacht hart um Zustimmung im Rat und im Parlament gerungen und viele Gespräche geführt“, sagte die SPD-Politikerin laut einer Mitteilung ihres Ministeriums. Sie betonte: „Wenn wir das Europa der offenen Grenzen im Inneren bewahren wollen, müssen wir die Außengrenzen schützen und funktionierende Verfahren erreichen.“
Die Bundesregierung wolle ein Ende des Sterbens auf dem Mittelmeer sowie der rechtlosen und chaotischen Zustände an den Außengrenzen der Europäischen Union. Beides könne nur mit praxistauglichen europäischen Lösungen erreicht werden. Deshalb müsse künftig an den EU-Außengrenzen „strikt kontrolliert und registriert werden“. Wer nur geringe Aussicht auf Schutz in der EU habe, werde ein rechtsstaatliches Asylverfahren an den Außengrenzen durchlaufen und im Fall einer Ablehnung von dort zurückkehren müssen.
Die Einigung auf ein neues europäisches Asylsystem sei ein „Schlüssel“ zur Steuerung der Migration. Sie teilte am Mittwoch in Berlin mit, die politische Einigung sei von „größter Bedeutung“. Faeser fügte mit Blick auf Menschen hinzu, die auf der Suche nach Schutz oder Arbeit nach Europa kommen, dass die Verantwortung „künftig auf mehr Schultern verteilt sein“ werde. Im neuen System solle Migration insgesamt gesteuert und geordnet werden, sollten humanitäre Standards für Geflüchtete geschützt und die irreguläre Migration begrenzt werden.
Amnesty International Deutschland: „Menschenrechtlicher Dammbruch“
Die Nichtregierungsorganisation ProAsyl zeigte sich entsetzt über die Ergebnisse der Verhandlungen. Es sei ein „Abbau von Menschenrechten im Flüchtlingsschutz“, der vielen Geflüchteten den Zugang zu Schutz versperre. Die EU errichte ein „System der Haftlager für Menschen, die fliehen und nichts verbrochen haben – selbst für Kinder und ihre Familien“, kritisiert die Organisation. Durch die Ausweitung des Konzepts der „sicheren Drittstaaten“ befürchtet ProAsyl neue menschenrechtswidrige Deals mit autokratischen Regierungen, durch die EU-Länder sich vom Flüchtlingsschutz freikaufen wollten.
Auch Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, sagte, sie sei entsetzt: „Die heute erzielte Einigung ist ein menschenrechtlicher Dammbruch.“ Die beschlossenen Verschärfungen würden „die Rechtlosigkeit an den Außengrenzen zur Norm zu machen“ und „die bestehenden Herausforderungen nicht lösen, sondern weiter verschärfen“. Sie kritisiert die Rolle Deutschlands: „Ohne die Zustimmung Deutschlands hätte es keine Einigung gegeben.“
Baerbock: „Jede Einigung in Brüssel ist auch immer ein Kompromiss“
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) räumte ein, dass sich Deutschland in den abschließenden Verhandlungen bei pauschalen Ausnahmen von Kindern und Familien aus den Grenzverfahren nicht habe durchsetzen können. „Zur Wahrheit gehört: Jede Einigung in Brüssel ist auch immer ein Kompromiss“, sagte Baerbock am Mittwoch in Berlin. Gleichwohl bezeichnete sie die Einigung auf ein neues europäisches Asylsystem als „längst überfällig“.
In Europa, in dem Freizügigkeit eine der größten Errungenschaften sei, brauche es verlässliche Regeln für Migration und Asyl. Humanität und Ordnung seien dafür die Leitplanken. „Erstmals werden nun die EU-Mitgliedstaaten zu Solidarität verpflichtet. Damit steigen wir endlich in eine europäische Verteilung ein“, sagte Baerbock, denn die unmenschlichen Zustände an der EU-Außengrenze dürften „nicht das Gesicht bleiben, das Europa der Welt zeigt“. Deutschland werde bei der Umsetzung des neuen Asylsystems darauf achten, „dass es fair, geordnet und solidarisch zugeht.“
Nouripour: „schmerzhafte Punkte“ und Verbesserungen bei EU-Asylreform
Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour zieht ein gemischtes Fazit zur Einigung. Wie auch Baerbock bewertete Nouripour den Einstieg in eine Verteilung von Migranten in Europa positiv. Hier sei in den Verhandlungen eine Verbesserung erzielt worden, sagte er am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
„Die Ergebnisse enthalten an vielen Stellen schmerzhafte Punkte“ räumte Nouripour aber ein. „Beispielsweise die Verpflichtung der Außengrenzstaaten zu Verfahren an den Grenzen sehen wir weiterhin kritisch.“ Die Grünen hätten sich gewünscht, dass der Rat als Vertretung der EU-Staaten mehr auf die Position des Europaparlaments eingeht. Dies sei unter anderem durch die unterschiedlichen, größtenteils sehr restriktiven Positionen der anderen EU-Staaten erschwert worden.
„Als Grüne haben wir für konkrete Lösungen gekämpft, die Humanität und Ordnung zusammenbringen, die unseren humanitären Ansprüchen und Verpflichtungen ebenso gerecht werden wie den großen Herausforderungen in unseren Kommunen und an den Außengrenzen sowie unserer europapolitischen Verantwortung“, sagte Nouripour. „Die derzeitige Situation an den europäischen Grenzen ist unerträglich. So darf es nicht bleiben.“ Deshalb seien die Grünen bereit gewesen, sich auch auf schwierige Verhandlungen über eine Reform des europäischen Asylsystems einzulassen.
„Regeln werden ordnungsgemäße Registrierung und Identifizierung ermöglichen“
Lena Düpont (CDU), migrationspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, erklärte: „Mit der heute geschlossenen Einigung zum Asyl- und Migrationspaket holt sich die Europäische Union den Gestaltungsanspruch einer gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik zurück.“
Geflüchtete, bei denen Sicherheitsbedenken bestünden, und jene mit geringer Aussicht auf internationalen Schutz, müssten ein beschleunigtes Grenzverfahren durchlaufen. Damit werde sichergestellt, dass die Unterstützung denen zu Gute komme, die wirklich Schutz benötigen, und es ermögliche eine effiziente Rückführung derjenigen, die ihn nicht benötigen. „Neue Eurodac-Regeln werden eine ordnungsgemäße Registrierung und Identifizierung ermöglichen und damit irreguläre Migration und unerlaubte Bewegungen zwischen den EU-Ländern unterbinden.“
Linke im EU-Parlament: „Historischer Kniefall vor den Rechtspopulisten“
Scharfe Kritik an den neuen Asylregelungen kommt von den Linken im EU-Parlament. „Der heutige Tag ist dramatisch für die Rechte Schutzsuchender in Europa und ein historischer Kniefall vor den Rechtspopulisten in der EU“, sagt Linken-Politikerin Claudia Ernst. Sie spricht von der „massivste Verschärfung des Europäischen Asyl- und Migrationsrecht seit Gründung der EU“.
Dass selbst Familien mit Kindern unter haftähnlichen Bedingungen an der Grenze über Wochen festgehalten werden dürfen, um ihre Aussicht auf Asyl zu prüfen, prangert Ernst an. „Damit ist das individuelle Recht auf Asyl de facto tot.“ Zudem fürchtet sie, dass Pushbacks an den Außengrenzen, also das Zurückschicken Geflüchteter ohne Prüfung des Asylanspruchs, nun weitergehen werde.
Grüne Jugend will Rücknahme
Auch die Grüne Jugend Deutschland kritisiert, EU-Staaten, EU-Kommission und die entscheidenden Fraktionen im Europaparlament hätten sich „vom europäischen Rechtsruck und ihren menschenfeindlichen Parolen treiben lassen“. Das sagte die Co-Chefin der Grünen-Nachwuchsorganisation, Katharina Stolla, am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Anstatt legale und sichere Fluchtwege zu schaffen, illegalisiert sie Menschen und zieht die Mauern höher“, warf sie der EU vor. „Diese Einigung ist ein Weihnachtsgeschenk an Europas Rechtsextreme und ein Schlag gegen Menschenrechte.“ Sie hat die Bundesregierung zur Ablehnung aufgefordert. „Die Umstände an den europäischen Außengrenzen sind jetzt schon schrecklich und werden durch die Reform noch schlimmer“.
Stolla verlangte: „Die deutsche Zustimmung zu dieser Reform, die eine massive Entrechtung von Geflüchteten bedeutet, muss sofort zurückgenommen werden.“ Deutschland als größter und mächtiger EU-Mitgliedsstaat könne jederzeit darauf hinwirken, dass diese „katastrophale Reform“ nicht rechtsverbindlich werde.
Die Unterbringung von Kindern in haftähnlichen Lagern sei geplant sowie die Abschiebung von Menschen in Länder, in denen ihre Sicherheit nicht garantiert sei, bemängelte Stolla. „Das ist ein unerträglicher Umgang mit Menschen, die vor schrecklichem Leid fliehen und eigentlich dringend Schutz bräuchten.“ (RND/dpa/she)