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„Der Lehrer ist Mutter, Vater und Bruder“Wie Rechtsextreme im Kampfsport rekrutieren

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Der Dortmunder Neonazi Sven S. bei einer Gerichtsverhandlung mit einem Shirt des „Kampf der Nibelungen“.

Dortmund – Anfangs hatte der junge Mann aus dem Ruhrgebiet mit Rechtsextremismus nichts gemein, ihn interessierte die Ideologie nicht. Dann lernte er einige Neonazis beim Kampfsport kennen. Eigentlich ganz nett, die Leute, dachte er, und das waren sie zu ihm auch. Er verbrachte mehr Zeit mit ihnen, kämpfte schließlich auf neonazistischen Kampfsport-Events mit. Wurde Rechtsextremist. Dann wollte er raus.

So erzählt Lukas Schneider, Berater beim Aussteigerprojekt U-Turn in Dortmund, die Geschichte des Aussteigers. Seit einigen Jahren nutzen Rechtsextremisten den Kampfsport immer strategischer: Zum Rekrutieren, als Geldquelle, als Waffe. Eine Entwicklung, die Sorgen bereitet – und der sich am Montag eine Tagung in Dortmund widmete.

Zusätzliches Einfallstor für Rechte

Das Klischee der rekrutierenden Neonazis sieht ungefähr so aus: Ein paarGlatzköpfe in Springerstiefeln stellen sich vor einen Schulhof, quatschenJugendliche an und verteilen CDs mit Rechtsrock. Es hat einen wahren Kern,dieses Klischee: Rechtsrock ist eine der Türen, die in den Rechtsextremismus führen – auch wenn Schüler heutzutage mit CDs nicht viel anfangen können. Eine weitere dieser Türen bilden die Hooligans, die gewaltaffine Fußballszene. In den letzten Jahren formte ein zusätzliches Einfallstor: der Kampfsport.

Seit 2017, schreibt der Verfassungsschutz, beobachte der Geheimdienst „einen signifikanten Anstieg von rechtsextremistischen Kampfsportturnieren, Kampfsporttrainings und Selbstverteidigungsseminaren“. Am Montag, 21. Juni, veranstaltete die Landeszentrale für politische Bildung deshalb eine Fachtagung zu Rechtsextremismus im Kampfsport im Dortmunder Dietrich-Keuning-Haus.

Niedrigschwelliger Einstieg in rechtsextreme Szene

Lukas Schneider, einer der Referenten, steht in einer Kaffeepause vor dem Haupteingang des Dietrich-Keuning-Hauses, Nordstadt Dortmund, keine zehn Minuten vom Hauptbahnhof entfernt. Seit vier Jahren arbeitet er bei der Beratungsstelle U-Turn, macht Ausstiegsarbeit und Einstiegsprävention in die rechtsextreme Szene. Dortmund gilt als Hochburg der Neonazis in Westdeutschland: Ein quälender Ruf, den die Stadt vor allem den Rechtsextremisten in den Stadtteilen Dorstfeld und Marten verdankt. Beim Kampfsport, sagt Schneider, sei der Eintritt in die rechtsextreme Szene deutlich niedrigschwelliger. „Musik übermittelt ideologische Inhalte. Man muss bereit sein, sich Bands anzuhören, die den Holocaust feiern“, so Schneider. „Beim Kampfsport muss man anfangs ideologisch nichts mittragen.“

Zu Beginn der Mittagspause tritt auch Thomas Pfeiffer vor die Tür, um sich eine Zigarette anzuzünden. Er arbeitet für den Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen, seit 20 Jahren in dem Bereich Aufklärung und Prävention. Etwa eineinhalb Stunden zuvor hielt er einen Vortrag über den Zusammenhang zwischen Rechtsextremismus und Kampfsport. „Aus der Sicht eines jungen Menschen, der sich dem Rechtsextremismus annähert, bietet der Kampfsport etwas Modernes“, erklärt Thomas Pfeiffer. „Die Rechtsextremisten gehen so weg vom Sauf-Image und hin zu einem elitären Image.“

Kampf der Nibelungen: Die Vorbereitung auf den Tag X

In den letzten zehn Jahren, sagt Pfeiffer, habe sich die rechtsextreme Kampfsportszene immer weiter vernetzt und professionalisiert. Dadurch entstünden zwei Probleme: Zum einen lernen Rechtsextremisten Techniken, die sie auf der Straße gegen die Polizei und politische Gegner einsetzen können. „Die Fäuste und die Kampfkünste können eine ungemeine Waffe sein – ohne, dass man dafür irgendeine Ausrüstung braucht“, sagt er. Das zweite Problem an der Professionalisierung sei die Rekrutierung, das Angebot, das die Rechtsextremisten jungen Menschen bieten. „Zumal sie nicht direkt deutlich machen, welche Ideologie dahinter steckt“, so Pfeiffer.

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Die Professionalisierung streckt sich auch auf rechtsextreme Kampfsportevents aus: Seit einigen Jahren erreichen diese Veranstaltungen immer mehr Menschen. Der Kampf der Nibelungen zum Beispiel, organisiert aus Dortmund, gilt heute als größte rechtsextreme Kampfsportveranstaltung Europas mit mehr als 800 Teilnehmern.

Auf den ersten Blick geht es hier nur um den Wettbewerb: Die Veranstalter werben auf ihrer Webseite mit einer professionellen Ausrichtung, mit Ringrichtern, Ärzten vor Ort und Zuschauerrängen. Laut dem Verfassungsschutz demonstrieren die Rechtsextremisten bei dem Event jedoch vor allem ihre Ablehnung des demokratischen Systems. Die eigenen Teilnehmer sehen die Rechtsextremisten als „Kämpfer, als Vorbilder und Gegensatz zum herrschenden politischen ‚System der Heuchler, Versager und Schwächlinge‘“. Es geht um körperliche Ertüchtigung, falsch verstandene Männlichkeit, um die Vorbereitung auf einen Tag X des Umsturzes.

Gleichzeitig ist der Kampf der Nibelungen eine wichtige Einnahmequelle: Rechtsextremistische Kleidungslabel bilden als Sponsoren das Rückgrat solcher Events. „Das Bild nach außen soll beim Kampf der Nibelungen das eines mehr oder weniger normalen, professionellen Kampfsportevents sein“, sagt Pfeiffer. „Doch wer hier teilnimmt, der weiß genau, dass die Veranstaltung rassistisch aufgeladen ist und nur ‚Weiße‘ geduldet werden.“

Trainer achten auf extremistische Symbole bei Schülern

Wie kann man also gegen Extremismus im Kampfsport vorgehen? Lukas Schneider setzt auf Aufklärung. Darauf, rechtzeitig den Leuten die Konsequenzen ihres Handelns zu erklären, bevor sie am Kampf der Nibelungen teilnehmen und – „nicht zu unrecht“ – anschließend als Neonazis gelten. Man müsse verhindern, dass junge Menschen in ihrer Selbstfindungsphase mit Neonazis trainieren. Eine Stadt könne sich zum Beispiel weigern, Rechtsextremisten Lizenzen und Baugenehmigungen auszustellen, damit sie sich ihre eigenen Studios aufbauen. „Ich kann außerdem als Anbieter Leuten, die den Kampfsport aus ideologischen Gründen betreiben, das Training durchaus verweigern“, sagt Schneider.

Thomas Martin Meier, Inhaber von vier Krav Maga Studios im Ruhrgebiet, setzt auf den Dialog mit Schülern. Sind die Gespräche nicht zielführend, sagt er in einer Tagungspause, löse er den Vertrag auf. „Wir haben unsere Trainer geschult, bestimmte rechtsextreme Symbole zu erkennen – die schwarze Sonne, Thor Steinar Kleidung, aber auch Symbole aus der linksextremen und islamistischen Szene“, sagt Meier. „Gerade im Kampfsport können die Techniken schwere Schäden anrichten, wenn man sie missbraucht.“

Benjamin Malekzadeh betont dagegen in einer Talkrunde die Rolle des Trainers. „Der Kampfsportlehrer ist Mutter, Vater, Bruder, Lehrer, Pädagoge und Therapeut“, sagt Malekzadeh.

Kampfsport als Weg raus aus der Szene

Kampfsport kann jedoch nicht nur ein Weg in den Extremismus sein, sondern auch die Tür hinaus. Der Ring oder die Matte bieten ein Ventil für die Sportler, eine Möglichkeit, das Selbstbewusstsein zu stärken. Genau wie die Musik könne der Kampfsport positive und negative Botschaften überbringen, sagt Benjamin Melakzadeh.

Erst vor ein paar Jahren habe eine Aussteigerorganisation bei ihm angefragt. Einer ihrer Klienten sei Kampfsportler gewesen und würde den Sport gerne weiterführen, ohne Extremismus. Ob er bei ihm trainieren dürfe? „Den haben wir mit offenen Armen aufgenommen“, sagt Malekzadeh. Anstatt mit Rechtsextremisten trainierte der Mann in einem Studio, dessen Trainer fast alle einen Migrationshintergrund haben. „Er ist immer noch Mitglied bei mir“, sagt Malekzadeh mit Stolz in der Stimme. „Aus der Szene ist der komplett raus.“