Reformprozess „Synodaler Weg“Ortskirchen müssen Rom das Tempo diktieren
Köln – Sofern Corona nicht dazwischenfährt, tagt Ende September die Vollversammlung des „Synodalen Weges“ in Frankfurt. In erster Lesung wollen die 230 Delegierten dann Vorschläge für Reformen in der katholischen Kirche beraten. Folgte man dem Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke, sollten die Synodalen ihre Arbeit allerdings gleich einstellen.
Zur Person
Thomas Schüller, geboren 1961, ist Professor für Kirchenrecht an der Universität Münster. Von 1993 bis 2009 leitete er die Stabsstelle für kirchliches Recht im Bistum Limburg. (jf)
In seinem neuen Buch „Die Täuschung“ stellt Lüdecke den 2019 von Bischöfen und Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) angestrengten Reformprozess als ein narkotisierendes Gift dar, das dem durch Missbrauch und Finanzskandalen aufgeregten Kirchenvolk zur Ruhigstellung verabreicht werde. Durch nur vermeintlich verbindliche Beratungen werde den Gläubigen vorgegaukelt, man könne Reformen anstoßen, die auch in Rom gehört würden.
Herrschaft der „Gerontokraten“
In Wahrheit sei das jedoch ein Widerspruch in sich. In einer von alten Männern, den Bischöfen (in einem Interview nennt Lüdecke sie „Gerontokraten“), bestimmten absolutistischen Wahlmonarchie mit dem Papst an der Spitze hänge es ausschließlich von deren Wohlwollen ab, wie mit den Ergebnissen synodaler Beratungen zu verfahren sei.
frank&frei zum „Synodalen Weg“
Der Synodale Weg – Reform-Impuls oder Partizipations-Placebo?
Für die erste Runde unserer Talkreihe nach der Sommerpause hat Chefkorrespondent Joachim Frank die Düsseldorfer Juraprofessorin Charlotte Kreuter-Kirchhof, Richterin am NRW-Verfassungsgerichtshof in Münster und Beraterin des Synodalen Wegs, sowie den Kölner Theologieprofessor Hans-Joachim Höhn eingeladen, mit dem Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke über seine Kritik am Synodalen Weg und über die Lage der Kirche zu diskutieren.
Montag, 30. August, um 19 Uhr in der Karl-Rahner-Akademie, Jabachstraße 4-8, 50676 Köln. Teilnahmegebühr 8 Euro (ermäßigt und mit KStA-Abocard 4 Euro).
Hier geht es zur Anmeldung.
Zur rechtlichen Analyse im Gesamtsystem der Kirche und ihres Recht gibt es keine zwei Meinungen. Ich selbst habe das Statut des Synodalen Wegs bereits 2019 als „rechtliches Nullum“ bezeichnet. Die dort gefassten Beschlüsse binden – im Unterschied zu einer kirchenrechtlich von Rom genehmigten nationalen Synode – keinen der Diözesanbischöfe, die demnach völlig frei mit ihnen umgehen können.
Nur naive „Blumenkinder“?
War’s das also mit dem Synodalen Weg und anderen Beteiligungsformaten? Und sind die mitwirkenden Gläubigen nur naive „Blumenkinder“ (Lüdecke), die theologischen Fachberaterinnen und -berater letztlich nur Erfüllungsgehilfen zur Stabilisierung des klerikalen Systems?
In Lüdeckes geschlossenem Denksystem nimmt sich das so aus. Doch fehlt ihm jeglicher Sinn für die Differenz zwischen proklamierter Lehre und promulgiertem Recht der Kirche einerseits, der Lebens- und Rechtswirklichkeit aller Gläubigen andererseits – und die sich daraus ergebenden Dynamiken.
Lehren und Normen sind veränderbar
Tatsächlich wurden vermeintlich unumstößliche Lehren und Gesetze der Kirche immer wieder verändert, oder sie verschwanden ganz. Und häufig waren es nicht die Hierarchen, die solche Veränderungsprozesse autoritativ „von oben“ in Gang setzten, sondern der gelebte Glaube und die Praxis des Kirchenvolks. „Rezeption“ ist hier das Stichwort, ohne die keine Lehre und keine Rechtsnorm auf Dauer Geltung und Bindungskraft beanspruchen können. Zudem sind alle Lehren und Normen zeitbedingt, damit auslegungsbedürftig und veränderungsfähig.
Und was wären denn inhaltlich die Alternativen zum Synodalen Weg, wenn man in der Kirche zumindest im Kampf gegen Missbrauch – um der gequälten Kinder und Jugendlichen – vorankommen will?
Keine Lösungsansätze
Wer bei Lüdecke nach Lösungsansätzen schaut, wird nichts finden außer der Überlegung, dem System der alten Männer Geld (Kirchensteuer) oder Lebenszeit (ehrenamtliches Engagement) zu entziehen. Austreten also. Kann man machen. Für diejenigen aber, die weiter in der Kirche ihren Glauben leben wollen, sind solche „Empfehlungen“ Steine statt Brot.
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Praktisch und theologisch reicht es nicht, das „System Kirche“ zu demaskieren und die Kirchenmitglieder zu desillusionieren – so wichtig die Realitätswahrnehmung ist. Wem noch an der Kirche liegt, der darf von Theologen auch Perspektiven der Veränderung erwarten.
Die Beschlüsse des Synodalen Wegs zu Machtkontrolle, zur Reform einer naturrechtlich fixierten und von Verboten bestimmten Sexualmoral, zu einer lebensdienlichen Existenzform des Priesters und zur Überwindung der Diskriminierung von Frauen werden hoffentlich mit einer großen Mehrheit reformwilliger deutscher Bischöfe einschneidende Änderungen im weithin männerbündisch korrumpierten System der katholischen Kirche anstoßen. Auch gegen Widerstände in Rom.
Die Zeit läuft der Kirche davon
Das beginnt rechtlich mit der Bindung der Bischöfe an unabhängige Gerichte, die ihre Entscheidungen auf Rechtmäßigkeit überprüfen, oder pastoral mit der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. Viel Zeit hat die katholische Kirche nicht mehr zu verlieren. Die Kirchen vor Ort müssen Rom das Tempo der Veränderung diktieren.