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Nach FreilassungRussische Dissidenten in Bonn: „Ich kann das nicht aushalten“

Lesezeit 4 Minuten
02.08.2024, Nordrhein-Westfalen, Bonn: Ilja Jaschin bei der Pressekonferenz der Stiftung gegen Korruption. Moderiert wird die Veranstaltung von Wolkow von der Stiftung gegen Korruption, die von Kremlkritiker Nawalny gegründet wurde. Foto: Christoph Reichwein/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Bonn: Ilja Jaschin am Freitag (2. August) bei der Pressekonferenz der Stiftung gegen Korruption.

Wladimir Kara-Mursa, Ilja Jaschin und Andrej Piwowarow sind wieder in Freiheit – und stehen mit gemischten Gefühlen in Bonn.

Als die drei am Freitagabend in Bonn vor der Presse sitzen, da wirken sie sehr erleichtert und sehr beschwert zugleich. Ja, auf den ersten Blick sind Wladimir Kara-Mursa, Ilja Jaschin und Andrej Piwowarow froh, nicht mehr in Russland inhaftiert zu sein. Sie waren am Freitag drei von 26 Gefangenen, die zwischen Russland, Belarus und mehreren westlichen Ländern ausgetauscht wurden, darunter der „Tiergartenmörder“ Wadim Krassikow.

„Ohne Unterstützung hätte niemand von uns das überleben können“, sagt Piwowarow im Haus der Deutschen Welle und strahlt. „Natürlich bewegt das.“ Kara-Mursa zitiert Oskar Schindler: „Derjenige, der ein Leben rettet, der rettet die ganze Menschheit.“ Beide danken der Bundesregierung, namentlich Kanzler Olaf Scholz.

Vor allem Jaschin unterstreicht jedoch, wie „widersprüchlich“ die Situation sei. Denn Krassikow komme frei, andere politische Gefangene in russischen Gefängnissen hingegen nicht. „Ich kann das nicht aushalten“, sagt der Dissident. „Ich möchte jetzt am allerliebsten zurückkehren nach Russland.“ Und natürlich werde der Austausch den russischen Präsidenten Wladimir Putin motivieren, „weitere Geiseln zu nehmen und die Zahl der politischen Gefangenen zu mehren“. Nein, ein wirklich freudiges Ereignis ist diese Pressekonferenz nicht.

Diskrete Ankunft in Deutschland

Als am Donnerstagabend zwei Flugzeuge aus Ankara den Flughafen Köln/Bonn ansteuern, regnet es. 13 Personen sind an Bord, die wenige Stunden zuvor noch in Gefängnissen in Russland und Belarus saßen, die meisten verurteilt zu langen Haftstrafen. Ihre Ankunft in Deutschland vollzieht sich diskret. Anders als in den USA, wo die Ex-Gefangenen Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris vor laufenden Kameras um den Hals fallen. Und anders als in Moskau, wo Putin russische Geheimdienstmitarbeiter auf dem roten Teppich empfängt.

Scholz hat seinen Urlaub unterbrochen für diesen größten Gefangenenaustausch seit dem Kalten Krieg. Am Flughafen wartet er einige Stunden auf die Freigelassenen. Neben Kara-Mursa, Jaschin und Piwowarow ist der Leiter der Menschenrechtsorganisation Memorial, Oleg Orlow, darunter, ein deutsch-russischer Schüler, ein Hamburger, der am St. Petersburger Flughafen wegen Cannabis-Kaugummis verhaftet wurde. Auch der in Belarus wegen Terrorismusvorwürfen zunächst zum Tode verurteilte Hildesheimer Rico K. ist wieder zurück.

Von der Ankunft gibt es zunächst keine Bilder. „Alle sind wohlbehalten hier angekommen“, berichtet Scholz anschließend. „Das war sehr bewegend.“ Viele der Freigelassenen hätten „nicht damit gerechnet, dass das jetzt passiert, und sind immer noch sehr voll der Gefühle, die damit verbunden sind, nun ganz plötzlich doch in Freiheit sein zu können“. Sie hätten in der Haft um Gesundheit und Leben gefürchtet. „Deshalb ist es auch wichtig, dass wir ihnen diesen Schutz jetzt hier ermöglicht haben.“

Die Entscheidung war in der Regierung nicht unumstritten

Eine Rechtfertigung schwingt da mit. Denn die Entscheidung war in der Regierung nicht unumstritten. Schließlich erhielt Russland zehn Geheimdienstmitarbeiter, darunter den „Tiergartenmörder“ Krassikow, der 2019 in der Nähe des Kanzleramtes einen georgischen Oppositionellen erschoss und 2021 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Putin war seine Freilassung besonders wichtig, vor Monaten brachte er einen Austausch gegen den nun tatsächlich auf freien Fuß gesetzten US-Journalisten Evan Gershkovich ins Gespräch.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte Bedenken. Der Generalbundesanwalt sperrte sich. Schließlich bat US-Präsident Biden den Kanzler. Der stimmte schließlich zu. Er habe andere Länder um Dinge bitten müssen, die gegen deren Interessen seien, sagt Biden nach der Begrüßung der US-Freigelassenen. „Ich sage Ihnen, der Kanzler war unglaublich. Er war unglaublich.“

Der unglaubliche Kanzler betont mit Blick auf Krassikow: „Das staatliche Interesse an der Vollstreckung der Freiheitsstrafe war in Abwägung zu bringen mit der Freiheit und Gefahr für Leib und – in einigen Fällen – auch Leben unschuldig in Russland inhaftierter Personen und zu Unrecht politisch Inhaftierter.“ Wer Zweifel an der Entscheidung gehabt habe, verliere diese „nach dem Gespräch mit denjenigen, die jetzt in Freiheit sind“.

Kritik an Gefangenen-Deal mit Russland: „Freilassung von Auftragsmördern des Kreml“

Gleichwohl gibt es weiter unterschiedliche Meinungen. Der ehemalige Chef des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler, bezeichnet den Austausch als „verantwortungsvoll und richtig“. Er zeige, „dass auch bei schwierigster Großwetterlage Verhandlungen zu positiven Ergebnissen führen können“.

Der CDU- Menschenrechtsexperte Michael Brand findet es hingegen zwar erfreulich, dass unschuldige Geiseln frei seien. „Aber wir müssen zugleich wissen, dass das bei einem wie Putin natürlich dazu führt, dass er seine Strategie von Auftragsmorden im Ausland weiter fortsetzt. Man hat also mit der Freilassung von Auftragsmördern des Kreml Menschen in Russland, vielleicht auch in Deutschland, in Gefahr gebracht.“

Wladimir Kara-Mursa, Ilja Jaschin und Andrej Piwowarow wissen das. Jaschin spricht in Bonn von einem ethischen Dilemma. „Emotional“, sagt er, sei das alles „sehr schwer“