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Politik-Experte über Putin„Russland fährt die Strategie, Konflikte zu schüren“

Lesezeit 6 Minuten
Der russische Präsident Wladimir Putin in Nahaufnahme

Förderung nationalistischer Kräfte, Forcieren von Fluchtbewegungen, Desinformation: Wladimir Putin, Präsident von Russland, destabilisiert nach Kräften.

Russland heizt ganz bewusst weltweit Konflikte an. Wie, das erklärt Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik im Interview.

Herr Meister, wie sehr ist Russland in die aktuelle Eskalation in Israel involviert?

Stefan Meister: Die russische Rolle ist da nicht entscheidend. Russland dürfte kein Interesse haben, aktuell zu eskalieren. Die Palästinenser haben noch aus Sowjetzeiten eine enge Beziehung zu Moskau. Möglicherweise gibt es da auch Waffenlieferungen und Training. Aber auch das Verhältnis von Russland und Israel ist sehr eng. Das gilt für Technologietransfer, Wirtschaft, Zusammenarbeit der Geheimdienste, aber auch auf einer persönlichen Ebene für den Kontakt von Wladimir Putin und Benjamin Netanjahu. Es gibt in Israel eine starke aus Russland ausgewanderte jüdische Community. Die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Israel und den USA spielt auch eine Rolle, gerade unter Netanjahu haben sich die Beziehungen mit Russland deshalb vertieft.

Welche Rolle spielt Russland bei der Eskalation von Konflikten weltweit?

Seit 2012/2013 versucht Russland, Leerstellen zu besetzen, die die Amerikaner hinterlassen. Wenn die USA sich aus Konflikten herausziehen oder nicht mehr so aktiv sind, ist Russland gerne zur Stelle. Es bietet sich als Partner an. Da lässt sich mit relativ wenigen Ressourcen ein Effekt erzielen. Aber man darf Russland auch nicht überschätzen. Es hat begrenzte Ressourcen, und es hat im Vergleich zu Ländern wie China nicht viel anzubieten. Vor allem im Bereich Wirtschaft und Investitionen ist Russland kein attraktiver Partner. Öl, Gas und Waffen aus Russland waren bisher begehrt. Da hat sich etwas geändert. Russland kann Waffen, die etwa für Afrika oder Nahost attraktiv waren, nicht mehr liefern. Es kann private Militärs schicken und Training anbieten, aber das brauchen nicht alle. Und Öl und Gas braucht auch nicht jeder. Es gibt aber Länder, die die Perspektive einer Verbindung mit Russland dafür nutzen, in Verhandlungen mit Europa oder den USA mehr rauszuschlagen.

Inwieweit schürt Russland absichtlich Konflikte, etwa um den Fokus des Westens von der Ukraine abzulenken?

Russland fährt schon länger die Strategie, Konflikte zu schüren oder zu erhalten, aber nicht zu lösen. Wir haben das lange in Berg-Karabach gesehen, in Abchasien und im Donbass. Darin sieht Russland eine Gelegenheit, für sich eine Rolle zu schaffen und gleichzeitig die Rolle der Amerikaner zu schwächen. Das ist ja immer das Hauptziel Russlands. Das russische Eingreifen in Syrien war so eine Chance für Moskau, um die eigene Rolle auszubauen und die der USA zu schwächen. Auch auf dem Balkan spielt das eine Rolle. Das geht über Förderung nationalistischer Kräfte bis zum Kalkül, Flüchtlingsbewegungen zu forcieren, die dann in anderen Länden oder in der EU gesellschaftliche Polarisierung fördern. Hierbei geht es um die Schwächung des Gegners. Es gibt auch die Taktik der kontrollierten Destabilisierung und der Schaffung von Zonen, in denen Konflikte hoch- und runtergefahren werden können, die Russland über nichtstaatliche Akteure kontrolliert.

Ganz schön riskant, oder? Eine Destabilisierung anderer Länder und Regionen kann doch auf Russland zurückschlagen.

Natürlich ist das mit Risiken belastet. Es kann immer Akteure geben, die einfach ihr eigenes Ding machen und sich nicht kontrollieren lassen. Aber Russland ist relativ gut darin, immer wieder die Kontrolle zu erlangen. Das gelingt für Syrien und die Gefahr, dass islamistische Gruppen nach Russland kommen. Und nach einem kurzen Aufstand ist es auch gelungen, die Wagner-Truppe in die russischen Armeestrukturen zu integrieren. Anders als die EU kann Russland mit Korruption oder schwacher Staatlichkeit gut umgehen. In der Ukraine ist der Versuch, über instabile Räume im Osten des Landes seit 2014 eine Integration mit der EU und Nato zu verhindern, gescheitert, deswegen ist Russland da ja auch militärisch reingegangen.

Desinformation ist auch ein Exportschlager, mit dem man Regimes etwa in Afrika unterstützt. Das gehört neben der militärischen Unterstützung mittlerweile zum russischen Paket
Stefan Meister

Wie wichtig ist für Russland das Instrument der Desinformation?

Das ist ein sehr wichtiges Mittel. Russland hat das schon früh trainiert, seit den 1990er-Jahren. Die Technologie kam aus den USA, die Beratung zum Teil aus Frankreich, aber natürlich gibt es auch eine sowjetische Tradition in diesem Bereich. Der postsowjetische Raum war eine Art Testfeld. Die Budgets dafür wurden ausgebaut. Einerseits soll damit der Gegner geschwächt werden, also etwa die EU. Deutschland ist dabei ein Hauptziel, da es so wichtig für die EU ist und gleichzeitigt anfällig für russische Desinformation. Falsche Narrative werden hier verbreitet und geteilt. Sie verstärken so die ohnehin vorhandene Polarisierung. Außerdem ist die Desinformation auch ein Exportschlager, mit dem man Regimes etwa in Afrika unterstützt. Das gehört neben der militärischen Unterstützung mittlerweile zum russischen Paket. Es ist Teil einer umfassenden Kriegsführung gegen den Westen. Und es ist relativ erfolgreich.

Welche Möglichkeiten gibt es, dagegen anzugehen?

Deutschland hat mit am längsten gebraucht zu verstehen, was da eigentlich läuft. Andere Staaten wie Estland und Finnland haben schon viel früher und sehr erfolgreich reagiert. Die haben Kampagnen transparent gemacht und den Informationsraum der Medien und des Internets gestärkt. Es geht immer um Resilienz, also darum, dass man die eigenen Schwächen abbaut. Desinformation dient dazu, diese Schwächen, die Spaltungen zu verstärken. Dem kann man entgegenwirken – durch gute Politik und darüber, ein Thema ernst zu nehmen und falschen Narrativen zu widersprechen. Leider gibt es bei uns auch politische Akteure, die fast systematisch russische Desinformation verbreiten. Die haben dasselbe Interesse wie Russland: Sie nutzen die Narrative, weil sie zu Polarisierung führen und bei einer bestimmten Klientel gut ankommen.

Ist den Partnerländern Russlands, wie etwa den Brics-Staaten, egal, dass sie mit einem Konfliktschürer am Tisch sitzen?

Russland verbreitet nicht nur Instabilität. Es kann sich auch konstruktiv zeigen. Es investiert, stellt Militär- und Nukleartechnologie zur Verfügung, hilft bei Energiegewinnung und kann Öl und Gas liefern. Viele Länder denken da ganz pragmatisch an ihre Vorteile. Und sie konstatieren beim Westen auch Doppelstandards und eine Politik, die zu Instabilität führt: Es gibt zwar den westlichen Anspruch, überall Demokratien zu schaffen. Aber dass Irak, Libyen und Afghanistan so instabil sind, ist auch ein Ergebnis US-amerikanischer Politik. Und vielen ist es lieber, mit Russland zu arbeiten, das nicht gleich mit Menschenrechten ankommt, als mit den als übermoralisch empfundenen Europäern.

Dass Irak, Libyen und Afghanistan so instabil sind, ist auch ein Ergebnis US-amerikanischer Politik
Stefan Meister

Russland ist aber in seiner Zuwendung auch sehr flexibel – im Berg-Karabach-Konflikt hat es gerade Armenien alleingelassen.

Durch den Krieg gegen die Ukraine gibt es eine Interessenverschiebung. Zur Umgehung westlicher Sanktionen ist der Nord-Süd-Korridor über Aserbaidschan für Russland sehr wichtig geworden, genauso wie das Verhältnis zur Türkei für Handel und Umgehung von Sanktionen. Zudem sind militärische Ressourcen Russlands in der Ukraine gebunden. Armenien ist für Russland dann einfach nicht mehr so wichtig.

Auf was gilt es sich noch einzustellen?

Russland wird gleichzeitig unter- und überschätzt. Was oft noch übersehen wird, ist die große Resilienz Russlands. Es passt sich immer wieder an neue Bedingungen an. Es hat jetzt auf Kriegswirtschaft umgeschaltet und hat überhaupt kein Problem, drei Jahre diesen Krieg zu führen. Es hat nicht unsere Vorstellungen von Sicherheit und Stabilität. Das Regime tickt anders. Gleichzeitig müssen wir aufpassen, Russland nicht erfolgreicher und stärker zu machen, als es ist. Nicht alles, was passiert, ist ein Plot des Kremls. Der Kreml nutzt oft einfach nur Möglichkeiten, die ihm gegeben werden, ohne dass es da eine langfristige Planung gibt. Und wir geben ihm leider viel zu viele Möglichkeiten, auch indem wir nicht schnell genug entscheiden und reagieren.