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Russlands Tag des Sieges in Berlin„Heute bin ich Russe“

Lesezeit 4 Minuten
Gedenken an den „Tag des Sieges“ am Sowjetischen Ehrenmal in Berlin.

Gedenken an den „Tag des Sieges“ am Sowjetischen Ehrenmal in Berlin.

Bei der zentralen Gedenkveranstaltungen zum „Tag des Sieges“ in Berlin zeigen Russland-Fans Flaggen – aber nicht die russische.

Fahnen haben sie am Ende dann doch dabei, wenn auch keine russischen. Als rund 15 Mitglieder des deutschen Ablegers der „Nachtwölfe“, einer Putin-freundlichen Rockergruppe, sich vor dem Sowjetischen Ehrenmal am Tiergarten aufbauen, zücken sie stattdessen tschechische und slowakische Fahnen. Zumindest die Farben – blau, rot, weiß – stimmen ja. Doch um an der letzten Absperrung vor dem Ehrenmal vorbeizukommen, müssen sie auch diese Fahnen abgeben. Kurz nachdem die Rocker unter Jubel ihre Blumen abgelegt und ein Selfie gemacht haben, ist ihr Auftritt auch schon wieder vorbei.

Die „Nachtwölfe“ auf Tour durch Berlin: Sie sind Putin-Freunde.

Die „Nachtwölfe“ auf Tour durch Berlin: Sie sind Putin-Freunde.

Selfie-Stimmung herrscht zur selben Zeit auch am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower-Park. Während Handykameras um die Wette knipsen, sitzen auf einem kleinen Mäuerchen zwei Männer in schwarzer Lederkluft in der Sonne, auf ihren Jacken Aufnäher der Hard-Rock-Band AC/DC und mit der Aufschrift „Ostdeutschland“. Einer der beiden hält einen halbvollen Coffee-to-Go-Becher in der Hand, während er dem anderen von einer gerade durchgestandenen Erkältung erzählt. „Und dann kam dit Fieber, sa‘ ick dir“, nuschelt er, sein Kumpel nickt verständig.

Eine Szene, die die Atmosphäre auf der rund neun Hektar großen Denkmalanlage gut einfängt an diesem 9. Mai, dem russischen Gedenktag an das Ende des Zweiten Weltkrieges. Auf den etwa 400 Metern zwischen der Steinstatue „Mutter Heimat“ und dem eigentlichen Ehrenmal, einer circa 12 Meter hohen Bronzestatue eines Soldaten, promenieren Menschen auf und ab, viele halten Blumen in den Händen, der Wind verteilt russische und deutsche Wortfetzen über das Gelände. Gegen 13 Uhr befinden sich laut Polizei rund 400 Menschen im Treptower Park.

Männer mit Kutten der „Nachtwölfe“ am Sowjetischen Ehrenmal in Berlin.

Männer mit Kutten der „Nachtwölfe“ am Sowjetischen Ehrenmal in Berlin.

Auch am Tiergarten verlaufe alles soweit friedlich, sagt eine Polizeisprecherin gegen 13 Uhr: „Es sind deutlich weniger Menschen da und die Stimmung ist bei weitem nicht so emotionalisiert wie im letzten Jahr.“ Nur über die Fahnenfrage wird gestritten. Aus Sorge vor politischer Instrumentalisierung hatte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zunächst alle Fahnen für die Gedenkveranstaltungen verboten. Kurz darauf wurde das Verbot aufgehoben, woraufhin die Berliner Polizei Beschwerde einlegte und Russland- und Sowjet-Fahnen sowie das Sankt-Georgs-Band erneut verboten wurden – ein Zeichen, das an den Sieg im Zweiten Weltkrieg erinnert und mittlerweile auch als Erkennungszeichen für Putin-Fans fungiert.

Reibereien nur in Einzelfällen – Logo der Söldnergruppe Wagner auf dem Shirt

Das Verbot gilt allerdings nicht für alle. Mitglieder etwa der russischen Botschaft und deren Gäste dürfen zumindest mit Sankt-Georgs-Band zum Ehrendenkmal. Alle anderen müssen lange Kontrollen über sich ergehen lassen: Ein Gedenkzug von knapp 400 Menschen wird gegen 12 Uhr vor dem Ehrendenkmal gestoppt.

Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden einzeln kontrolliert, bevor sie tröpfchenweise auf den Platz vor dem Denkmal durchgelassen werden. Einige von ihnen machen ihrem Ärger über das Fahnen-Verbot Luft. „Wir sind doch nur hier, um zu erinnern. Und damit auch zukünftige Generationen wissen, welchen großen Anteil Russland am Sieg gegen Nazi-Deutschland hatte“, sagt eine ältere Frau. Über den Krieg in der Ukraine will sie nicht reden, wie viele hier.

Zu Reibereien kommt es nur in Einzelfällen. So um Viertel nach 12, als ein Polizeitrupp im Treptower Park plötzlich auf einen Mann zusteuert. Auf der Rückseite seines T-Shirts prangt das Logo der russischen Söldnergruppe Wagner. Der Mann wird angehalten, eine Jacke überzuziehen, die das Logo verdeckt. Der Wagner-Fan protestiert gar nicht erst; ruhig lässt er sich von den Ordnungskräften abführen.

Trotz der friedlichen Stimmung ist eines klar an diesem Tag: Die Mehrheit der Gedenkenden unterstützt den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Ein Mann um die 50 bringt auf den Punkt, was viele hier denken: Ihn ärgere, „wie ungerechtfertigt die Russen hier behandelt werden“, sagt er. Seit zehn Jahren lebe er in Berlin, und eines falle ihm besonders auf: „Ich sehe kaum Bio-Deutsche hier. Und ich frage mich um Gottes Willen: Was läuft hier für ein Film ab?“

Woher er selbst stammt, möchte der Mann lieber nicht verraten. Nur so viel: „Heute bin ich Russe.“ (RND)