Markus Söder sagt, sein Platz sei in Bayern. Aber der ehrgeizige CSU-Vorsitzende hält sich manches Türchen offen. Eine Analyse.
Söder reloadedWelche Pläne hat der CSU-Chef in der K-Frage?
Es gibt die Momente, da ist das Licht selbst für Markus Söder zu grell. Auf einem Hügel im bayerischen Voralpenland zum Beispiel an einem sehr heißen Julitag. Die Andechser Wallfahrtskirche schiebt hier sehr malerisch ihren Zwiebelturm in den Himmel. Drinnen wäre es kühl, und außerdem gäbe es da ein paar Reliquien, ein Stück vom Kreuz Christi und der Gürtel von Maria Magdalena zum Beispiel.
Draußen in der Hitze, ein paar Meter entfernt vom Kircheneingang, stehen drei Rednerpulte, durchsichtiges Plastik, Zwiebelturm im Hintergrund. Markus Söder steuert das erste an. Landesgruppenchef Alexander Dobrindt bekommt als Gastgeber das in der Mitte. „Ich gehe nach links außen“, murmelt hinter ihm Friedrich Merz, der CDU-Chef.
In der kommenden guten halben Stunde der Pressekonferenz wird die Sonne Merz sehr scharf ausleuchten, wird die Stirn glänzen. Söder steht im Schatten, die Konturen weich, Augenzusammenkneifen nicht nötig.
Wenn es ein Zufall ist, dann schätzt dieser Zufall bayerische Ministerpräsidenten. Söders Optik stimmt.
Und Söder legt Wert auf Optik. 178.618,13 Euro zahlte die Staatskanzlei im Jahr 2022 für Fotohonorare, das hat die Landtags-SPD gerade per Anfrage erfahren. NRW-Regierungschef Hendrik Wüst, einer der aufstrebenden CDU-Leute, kommt auf ähnliche Summen. Bei Söders Vorgänger Horst Seehofer waren es in dessen letztem Amtsjahr 2017 rund 11.000 Euro, 16-mal weniger. In diesem Jahr gab es bis zum 8. Mai Fotoausgaben der Staatskanzlei von 75.726,73 Euro.
„Die Zusammenarbeit ist so gut wie nie“, schwärmt Söder in Andechs über das Verhältnis zur CDU. Aber alles hat halt seine Grenzen.
Noch heute sind viele in der CDU sauer auf Söder
Wenn es um den richtigen Platz vor den Kameras geht zum einen. In der Union gehen viele davon aus, dass die Grenzen auch in einem Jahr wieder deutlich werden. Dann geht es um die Kanzlerkandidatur von CDU/CSU.
„Der Kampf von 2021 wird sich wiederholen“, mutmaßt ein wichtiger CDU-Politiker. Über Monate rangen Söder und der damalige CDU-Vorsitzende Armin Laschet damals um die Kanzlerkandidatur. Laschet gewann, die CSU propagierte Söder als „Kanzlerkandidat der Herzen“, die Union verlor die Bundestagswahl. In der CDU warfen sie der CSU Illoyalität vor, noch heute sind dort viele sauer auf Söder.
Die Umfragen sprechen für ihn – und gegen Merz
Aber in einer ARD-Umfrage von diesem Wochenende für den „Bericht aus Berlin“ entschieden sich nur 20 Prozent der Unionsanhänger für Merz als Kanzlerkandidaten, 29 Prozent für den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst. 38 Prozent votierten für Söder.
Sieht also nicht so gut aus für Merz gerade. Der hat bereits mehrfach Berater ausgetauscht, seine engagiertesten Verteidiger stammen wie eh und je aus der sehr, sehr konservativen Unionsecke. Nach Äußerungen über die Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene distanzierten sich zahlreiche CDU-Spitzenpolitiker offen von ihrem Parteichef.
Merz war die Figur, auf die viele Konservative in der CDU, die mit Angela Merkel fremdelten, über Jahre ihre Hoffnungen projizierten. Und jetzt? Wie Söder verkündet Merz seine Thesen mit absoluter Gewissheit, aber ihm fehlt dessen Selbstironie. Und Wüst hat Merz die Lockerheit voraus.
Im Bundestagswahljahr 2025 wird Merz 70 Jahre alt, Söder ist dann Ende 50, Wüst gerade mal 50. Merz wird der sein ohne Regierungserfahrung. Und dann noch das Image: Privatflugzeug, Haus am bayerischen Tegernsee, an dem Grundstücke zum Luxusgut geworden sind. Also, wie wäre es, Herr Söder? Söder winkt ab. Immer wieder. In Pressekonferenzen. In Interviews.
Oder in Talkshows wie bei Markus Lanz im Mai: „Meine Lebensaufgabe ist in Bayern“, verkündet er dort. „Ich stehe nicht zur Verfügung.“ Er sagt es vor der Kirche in Andechs. „Ich glaube, dass ich es um die 243-mal erzählt habe: Natürlich will ich bayerischer Ministerpräsident bleiben.“
Er wiederholt es auch im ARD-Sommerinterview an diesem Wochenende. Das Zeitfenster, in dem er Kanzlerkandidat hätte werden können, sei verstrichen. Die CDU-Basis habe ihn gewollt 2021, die Parteispitze sei vehement dagegen gewesen.
Es klingt wie: Pech gehabt, liebe CDU, deswegen sitzt ihr halt jetzt in der Opposition. Söders Vorteil ist, dass sich nicht nachprüfen lässt, wie es gelaufen wäre mit ihm als Kanzlerkandidaten. Er bleibt der selbst ernannte Kandidat der Herzen, auch wenn viele in der CDU mit ihm gefremdelt hätten: zu forsch, zu rabiat, zu unberechenbar, zu populistisch. Das waren damals die Bedenken.
Söder muss auf die Landtagswahl schauen
„Ich bleibe da“, sagt Söder jetzt also und meint: in Bayern. Was soll er auch anderes sagen: Am 8. Oktober wird in Bayern gewählt. 2017, bei seiner ersten Wahl als Ministerpräsident, hat er 37,2 Prozent eingefahren, das zweitschlechteste Ergebnis für die CSU. Ein Debakel gleich zu Beginn also.
Söder hatte zuvor seinen Vorgänger Horst Seehofer unsanft beiseitegeschoben, er hatte sich mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel einen erbitterten Kampf um die Flüchtlingspolitik geliefert. Weniger als 40 Prozent, das war im CSU-Selbstverständnis als allmächtige Bayern-Partei ein Schlag in die Magengrube. Es muss also schon irgendwie besser werden dieses Mal.
Über 100 Bierzeltauftritte hat Söder außerdem bis zur Wahl geplant, sie werden sorgfältig fotografisch begleitet. Söder bezeichnet das als „Bekämpfung der Politikverdrossenheit“. Er postet Fotos von Schweinshaxen, Spiegelei mit Speck und Kaiserschmarrn auf den sozialen Netzwerken und schafft Aufmerksamkeit mit Sätzen wie „Ein Leben ohne Bratwurst ist möglich, aber sinnlos“. Und er sagt, dass er in Bayern bleiben werde. Ganz sicher. Keine anderen Pläne.
Söder hat schon viel gesagt – und später genau das Gegenteil
Das Ding ist: Er hat schon so vieles gesagt und gefordert, manches sicher auch etwa 243-mal. Und dann etwas später genau das Gegenteil. Beides jeweils im Brustton der Überzeugung.
Als bayerischer Umweltminister drang er 2010 zunächst auf einen Ausstieg aus dem Atomausstieg. Nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima im März 2011 dann auf einen beschleunigten Ausstieg, spätestens 2022 müsse es so weit sein. Als im Frühjahr die letzten AKW vom Netz gingen, stellte sich Söder vor den Meiler Isar II und verkündete, der Ausstieg sei nun wirklich ein Fehler.
Kurz nach seiner Kür zum Ministerpräsidenten hielt er sich im Hofgarten neben seiner Staatskanzlei an einem Baum fest. Gerade war ein Insektenschutz-Volksbegehren erfolgreich gewesen. Schwarz-Grün, so verkündete er, sei „das interessanteste politische Angebot“. Mittlerweile hat er die Grünen zum Hauptkonkurrenten erkoren, eine Koalition mit ihnen gar ausgeschlossen.
Er trieb den Flüchtlingspolitikstreit mit Merkel voran, sprach 2018 noch von Asyltourismus. Mittlerweile sagt er, es wäre besser gewesen, sich deutlicher von der AfD abzugrenzen.
Von begrenzten Amtszeiten will er nichts mehr wissen
Söder hat auch schon vorgeschlagen, die Amtszeit bayerischer Regierungschefs auf zwei Wahlperioden zu begrenzen, also auf insgesamt zehn Jahre. Davon will er inzwischen nichts mehr wissen. Die Opposition im Landtag habe einen entsprechenden Vorschlag abgelehnt, sagt er. Es ist nicht so häufig, dass Söder auf die Opposition hört.
Söder sagt jetzt auch Sätze wie: „Stil und Umgang der Politik ist extrem wichtig für Vertrauen und Seriosität.“ Er hat seinen Aufstieg in der CSU ehrgeizig vorangetrieben. Er hat seinen Ehrgeiz ironisch gebrochen, indem er sich im Fasching als Prinzregent verkleidete, als Comicfigur Shrek mit dem Zusatz, er sei der Seehofer-Schreck, oder als Edmund Stoiber.
Es ist ein lustvolles Spiel mit der Macht. In der CSU heißt es, Söder sei dabei auch wenig zimperlich. Für Seehofer war das ein Grund, Söder unbedingt verhindern zu wollen. Es ist ihm nicht gelungen.
Dinge ändern sich halt
Auch „Mein Platz ist in Bayern“ hat Söder öfters schon verkündet, ein Jahr vor der letzten Bundestagswahl zum Beispiel. Bis zur Kandidatenkür ein paar Monate später hatte er es sich dann anders überlegt – die Umfragewerte waren nach Söders Schulterschluss mit Angela Merkel in der Corona-Politik einfach zu hübsch.
Die Dinge änderten sich halt, so würde es Söder sagen. Er verweist gerne auf die Grünen, die immer so antimilitaristisch gewesen seien und jetzt Waffenlieferungen in die Ukraine befürworteten. Irgendeinen Grund gibt es immer. Oft sind es die Umfragen.
Für jede Variante hat er Superlative bereit. Die größte Forschungsoffensive, die geringste Arbeitslosigkeit. Selbst der Versuch der Demut kommt bei Söder ein wenig breitbeinig daher. Wenn 400 bayerische Bürgermeister die Staatsregierung auffordern, mal ein bisschen schneller zu machen mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien, empfindet das der frühere Windradbremser Söder als Rückenwind.
Söder lässt sich immer Türen offen
Es gibt einen Söder für alle Lebenslagen, und damit das gelingt, lässt er sich bei aller Absolutheit Türen offen. Kanzlerkandidatenspekulationen können bei der Landtagswahl helfen, sie erhöhen die eigene Bedeutung.
So spricht er im ARD-Sommerinterview am Sonntagabend ausnahmsweise von Berlin, dem Kanzlersitz, nicht als „Chaosstadt“, sondern als „coole Stadt“. Und er sagt, den Kanzlerkandidaten könne die Union erst im Herbst 2024 küren, nach den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen am 1. September und in Brandenburg am 22. September. Merz hat von einer Entscheidung im „Spätsommer“ gesprochen. Im Kalender beginnt der Herbst am 21. September.
Söder hat noch etwas angefügt: Man müsse die Landtagswahlergebnisse genau analysieren „und daraus möglicherweise gute Argumente für die Personalfrage finden“. Das Abschneiden der AfD ist ein Hauptthema der ostdeutschen Wahlen.
Vielleicht kommt ja die CDU auf Söder zu
Merz’ Versprechen, die Partei kleinzukriegen, hat bisher nicht gezogen. Seine Aussagen zur kommunalen Zusammenarbeit mit der AfD hat Söder als Fehler kritisiert. In einer internen CSU-Sitzung zwar, aber so intern sind solche Sitzungen dann halt auch nicht. Dass solche Sätze nach draußen dringen, ist eingepreist. Es könne ja sein, dass die CDU im nächsten Herbst Söder doch „lieb bittet“, sagt ein CSUler.
In Andechs betont Söder, es sei wichtig, geschlossen aufzutreten: „Eifersüchteleien, Sticheleien sind falsch.“ In der CSU wird erzählt, Merz werde von der Parteispitze im Wahlkampf eher zurückhaltend eingeladen. Vor der Kirche dankt Söder Merz für seinen Einsatz. „Bist ja eh schon ein halber Tegernseer“, sagt er. Kann nett gemeint sein. Oder eben auch nicht.