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#söderisst
Wie aus Markus Söder ein gewissenloser Influencer wurde

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Lesezeit 3 Minuten
Mit einem Kniefall vor dem Denkmal der Helden des Warschauer Gettos gedenkt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder der Opfer des Nationalsozialismus. Zum Auftakt seiner Polen-Reise legte der CSU-Chef an dem Denkmal, an dem am 7. Dezember 1970 auch Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) einen Kniefall machte, einen Kranz nieder.

Mit einem Kniefall vor dem Denkmal der Helden des Warschauer Gettos gedenkt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder der Opfer des Nationalsozialismus. Zum Auftakt seiner Polen-Reise legte der CSU-Chef an dem Denkmal, an dem am 7. Dezember 1970 auch Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) einen Kniefall machte, einen Kranz nieder.

Den Politiker Markus Söder gibt es nicht mehr. Es gibt nur noch den Söderfluencer – und der macht Politik ausschließlich für Social Media.

Es gibt genau einen deutschen Politiker, der die sozialen Medien wirklich verstanden hat. Leider ist es wie beim „Zauberlehrling“: Die sozialen Medien fressen ihn und seine etwaigen politischen Inhalte nach und nach auf.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder ist Deutschlands größter Polit-Influencer. Er hat die größten Schokoostereier, die größten Lebkuchen (beide mit Söder-Porträt) und in der Union die meisten Follower auf X und Instagram. Mehr als eine halbe Million Menschen folgen ihm dort jeweils. Seine Ministerpräsidenten-Kollegen und Konkurrenten um die nächste Kanzlerkandidatur der Union, Hendrik Wüst und Daniel Günther, bringen es jeweils nur auf einen Bruchteil.

#söderisst: Wie Instagram den Politiker Markus Söder auffrisst

Das Problem ist nur: Söder macht inzwischen Politik ausschließlich für Social Media. Und er macht Social Media nur für sich. Er hat eine neue Stufe des selbstverliebten Politikers erreicht. Söder ist zum Söderfluencer geworden. Jeder Narzissmus, jede Geschmacklosigkeit, jede Ruchlosigkeit ist instagrammable und daher vorstellbar.

Am Mittwoch in der polnischen Hauptstadt Warschau: Söder legt wie fast jeder deutsche Politiker auf Warschau-Besuch einen Kranz vor dem Mahnmal für die Opfer des Gettoaufstands nieder. Dann aber tut er das, was bisher nur ein deutscher Bundeskanzler tat, Willy Brandt (SPD) am 7. Dezember 1970: Er sinkt auf die Knie. Richtiger: Söder sinkt auf ein Knie, nicht auf beide wie Brandt. Der bestand zeitlebens darauf, dass sein Kniefall ungeplant gewesen sei. Gerade deswegen ist er bis heute das stärkste Symbol deutscher Verantwortung für die Verbrechen der Nationalsozialisten in Europa und für die Politik der Aussöhnung und Annäherung.

Für eine Politik also, die CDU und CSU unter Söders Vorbild Franz Josef Strauß erbittert bekämpfte. Söders reenactment der brandtschen Geste ist nicht nur geschichtsvergessen, sondern entwertet auch seine Begründung für die Kranzniederlegung in Warschau: „Das gebietet nicht nur unsere historische Verantwortung, sondern ist mir auch persönlich sehr wichtig.“ Auch wenn der Influencer Söder Politik machen will, bleibt sie Selbstdarstellung.

Zum Glück fand Söders Kniefall in den polnischen Medien nicht statt

Söders hohle Geste wurde von den polnischen Medien fast vollständig ignoriert – zum Glück. Von Söders Ägypten-Besuch blieb ein Foto vor den Pyramiden. Von seiner China-Reise blieb die Erkenntnis, dass die Volksrepublik froh ist, weniger kritische und anstrengende Besucher als die grüne Bundesaußenministerin Annalena Baerbock zu empfangen. Söder bekam eine Audienz bei Ministerpräsident Li Qiang – der Titel mag gleich sein, die globale Bedeutung deutlich höher.

Hühnerfüße, Entenzungen und Hasenköpfe. Ich bin ehrlich: Söder isst das nicht
Markus Söder in seiner Völlerei-Serie #söderisst

„Die bayerische Identität strebt nach Darstellung auf der Weltbühne“, kommentierte der Passauer Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter im Bayerischen Rundfunk die China-Reise. Was von der Söder-Darstellung blieb, waren Kuschelfotos mit Plüschpandas und eine ungewohnte Folge seiner Völlerei-Serie #söderisst. „Hühnerfüße, Entenzungen und Hasenköpfe. Ich bin ehrlich: #söderisst das nicht“, schrieb der Chinareisende auf Instagram. Der „Münchner Merkur“ titelte: „CSU-Chef lässt Essen in China stehen“, es war die Nachricht seines Besuchs.

Die Bratwürste auf dem Warschauer Weihnachtsmarkt verspeiste Söder dann ohne zu zögern und vor den Kameras. Einen Tag später tat er in Prag dasselbe, im Schlepptau den tschechischen Ministerpräsidenten Petr Fiala, der von Söder gleich den Hashtag #fialaisst verpasst bekam. Die Würste waren gehaltvoller als seine unausgegorene Idee einer bayerisch-böhmischen Kernenergie-Partnerschaft.

Bei der Sonntagsfrage zur Bundestagswahl liegt die CSU in Bayern bei 45 Prozent. Wären dem Söderfluencer Selbstzweifel nicht ohnehin fremd, könnte er auf diese Zahl verweisen. Hauptsache, es schmeckt.