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„Es wird nicht reichen, Christian Lindner zu beschimpfen“Jusos kritisieren Kevin Kühnert auf Bundeskongress

Lesezeit 4 Minuten
18.11.2023, Niedersachsen, Braunschweig: Kevin Kühnert, Generalsekretär der SPD, spricht beim Bundeskongress der Jungsozialisten (Jusos). Foto: Moritz Frankenberg/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Kevin Kühnert, Generalsekretär der SPD, musste beim Bundeskongress der Jungsozialisten (Jusos) auch viel Kritik einstecken.

Kevin Kühnert musste beim Bundeskongress des SPD-Nachwuchses einiges einstecken. Die Jusos wollen nicht noch eine Hoffnungsfigur verlieren.

Es sind harte Sätze, die sich Kevin Kühnert anhören muss. „Diese Energie, die du mal hattest, fehlt mir.“ „Ich bin nicht für diese neoliberale Politik auf die Straße gegangen.“ „Die SPD will heute das, wofür wir Horst Seehofer damals zerrissen haben.“ „Wir sind enttäuscht.“ Die Delegierten des Juso-Bundeskongresses in Braunschweig schonen ihren früheren gefeierten Chef nicht. Kühnert ist jetzt SPD-Generalsekretär, er steht für die Ampelkoalition.

Ein bisschen wusste er wohl schon, was auf ihn zukam – er hatte die Diskussionen zuvor im Livestream verfolgt. Den Auftritt von SPD-Chefin Saskia Esken zum Beispiel. Vor vier Jahren, als die SPD in einer schweren Krise war, war Esken für viele Jusos so etwas wie eine Hoffnungsfigur. Sie unterstützten ihre Wahl, mit ihrem damaligen Co-Kandidaten Norbert Walter-Borjans setzte sich die bis dato eher unbekannte Esken gegen den damaligen Finanzminister und heutigen Kanzler Olaf Scholz durch.

Enttäuschung über Ampelpolitik

Heute klingt viel Enttäuschung durch. Die Juso-Delegierten reagieren nur verhalten auf Eskens Rede, oft schweigen sie, wenn die Parteichefin Pausen lässt für Applaus. Das Titelblatt des „Spiegel“ mit dem Scholz-Zitat „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“ habe auch sie erschreckt, räumt sie ein. „Aber wenn man das ganze Interview des Kanzlers liest, dann kann man den ganzheitlichen Ansatz der Migrationspolitik der Ampel schon erkennen.“ Die Antwort im Saal: Stille. „Was mich extrem beunruhigt, ist, dass ich damals so was wie Aufbruch in dieser Partei gespürt habe. Uns war allen irgendwie bewusst, dass sich etwas ändern muss“, wirft ihr der frisch gewählte Bundesvorsitzende Philipp Türmer vor und schließt: „Liebe Saskia, ich sehe diesen Aufbruch nicht.“ Als Esken aufbricht, halten einige Jusos aus Protest das „Spiegel“-Cover von Scholz hoch und skandieren: „Say it loud, say it clear, refugees are welcome here“, also „Sag es laut, sag es klar, Flüchtlinge sind hier willkommen“.

Kühnert ist es gewesen, der die Stimmung im SPD-Mitgliederentscheid für Esken und Walter-Borjans wesentlich beeinflusste. „Königsmacher“ wurde er damals genannt. Als er bei den Jusos am Samstag die Bühne betritt, ist es fast 21 Uhr. Die Delegierten haben fast zwölf Stunden Debatte hinter sich. Die Tische sind voll mit leeren Süßigkeitenpackungen, die Mate-Flaschen längst ausgetrunken. Die zahlreichen Gegenreden lassen sich auch als Versuch verstehen, im Regierungsgetümmel nicht auch noch Kühnert als Hoffnungsfigur an eine Politik zu verlieren, die man hier als Neoliberalismus bezeichnet.

Linke Debattenräume zurückerkämpfen

„Ihr habt auch an einigen Stellen recht“, gibt sich Kühnert einsichtig. „Dass wir zu zufrieden geworden sind in dieser Koalition und uns zu oft verstecken hinter Argumenten.“ Aber er betont auch: „Es wird nicht reichen, auf jeder Bühne Christian Lindner zu beschimpfen.“ Er stellt sich gegen die von Union und FDP durchgesetzten Bezahlkarten für Asylsuchende. Und er stellt eine neue Mission in den Raum: Die Linksfraktion löse sich auf, diese Lücke müsse gefüllt werden – eine Chance für die SPD. „Das ist mein Versprechen an euch“, sagt er und fügt hinzu: „Wir müssen das Bollwerk für diesen Sozialstaat sein, damit dieser nicht bei der nächsten Bundestagswahl in den Boden gerammt wird.“

Bei dem Bundeskongress können sich die Jusos auf vieles einigen: Ein Grunderbe, ein soziales Steuerkonzept und eine Anti-Rechts-Kampagne für die Ost-Landtagswahlen 2024. Aber der SPD-Nachwuchs ist an diesem Wochenende tief gespalten. Der Grund: Erstmals seit 2001, erzählt Türmer, mussten sich die Jusos bei der Wahl ihres Bundesvorsitz entscheiden. „Das war für uns alle neu und wir merken, dass vieles noch verarbeitet werden muss.“

Vor der Wahl am Freitag seien Delegierte geschubst und mit Flaschen beworfen worden, einige hätten abreisen wollen, berichtet das Awareness-Team am Sonntag. Mohamed hatte sich am Samstag erneut als stellvertretende Vorsitzende wählen lassen, um die Jusos wieder „zu vereinen“. In drei Wochen steht der SPD-Parteitag in Berlin an. Bis dahin wird Türmer dafür sorgen müssen, dass der Verband wieder zusammenfindet.