Eine neue Studie zeigt: Die Menschen sind mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland unzufrieden. Viele glauben an Verschwörungsmythen.
Studie der Friedrich-Ebert-StiftungFast jeder Zweite hat wenig Vertrauen in die deutsche Demokratie
Politiker in der Bundesrepublik haben aktuell alle Hände voll zu tun. Inflation, Krieg in der Ukraine, die wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie und nicht zuletzt die riesigen Herausforderungen des Klimawandels.
In solchen Zeiten ist Vertrauen in die Politik – dem Funktionieren der Demokratie – wichtig. Und das ist Deutschland stabil, sagt eine am Mittwoch (26. April) vorgestellte Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES).
Allerdings auf einem eher niedrigen Niveau: Nur 48,7 Prozent der Befragten sagten, dass sie mit der Art und Weise, wie die Demokratie in Deutschland „sehr zufrieden“ (7,3 Prozent) oder „ziemlich zufrieden“ (41,4 Prozent) sind. Im Vergleich zur vorangegangenen Studie von 2019, also vor der Coronapandemie, ist die Zufriedenheit sogar um zwei Prozentpunkte gestiegen.
Ärmere und schlecht gebildete Menschen sind unzufriedener
Die Studie basiert laut der FES auf einer repräsentativen Befragung, bei der mehr als 2500 wahlberechtigte Deutsche ab 18 Jahren im Sommer 2022 befragt wurden. Dabei wurden auch Unterschiede bei der Zufriedenheit je nach sozialer Lage der Befragten deutlich. Demnach sind ökonomisch schlechter gestellte Menschen, solche mit niedrigen Bildungsabschlüssen oder diejenigen, die sich der Unter- oder Arbeiterschicht zurechnen, deutlich unzufriedener mit der Demokratie.
Nur 32,8 Prozent der Befragten, die sich der Unter- oder Arbeiterschicht zuordnen, gaben an „sehr zufrieden“ (3,8 Prozent) und „ziemlich zufrieden“ (29 Prozent) mit dem Funktionieren der Demokratie zu sein. In der Mittelschicht liegt die Demokratiezufriedenheit bei 54,3 Prozent, bei den Befragten der oberen Mittel- und Oberschicht bei 64,2 Prozent.
57,6 Prozent der Befragten glaubt, dass eine Politik der Verteilungsgerechtigkeit durch Steuern auf hohe Einkommen und Vermögen das Vertrauen in die Demokratie verbessern kann.
Unzufriedenheit in Ostdeutschland nimmt zu
Politikwissenschaftler Frank Decker von der Universität Bonn, der Co-Autor der Studie ist, sagte gegenüber der Agentur AFP: „Nach über 30 Jahren deutscher Einheit sind wir noch nicht ein Land“. Das zeigt sich auch in der Studie der FES – die Unterschiede bei der Demokratiezufriedenheit zwischen Ost- und Westdeutschland nehmen zu.
Rund 52 Prozent der Befragten im Westen gaben an, „sehr“ (8,2 Prozent) und „ziemlich zufrieden“ (44,5 Prozent) zu sein. Im Vergleich zur Erhebung von 2019 ist das ein Anstieg von 2,5 Prozent. In Ostdeutschland ist die Zufriedenheit derweil um 2 Prozent gesunken: 34 Prozent sind in den alten Ländern mit dem Funktionieren der Demokratie „sehr“ (4,2 Prozent) und „ziemlich zufrieden“ (29,8 Prozent).
Über die Hälfte glaubt an mindestens einen Verschwörungsmythos
Die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung will auch einen Zusammenhang zwischen der Unzufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland und dem Glauben an Verschwörungsmythen erkennen.
Bei der Erhebung konzentrierte sich die FES auf fünf dieser Mythen: Eine Verschwörung der westlichen Welt gegen Russland und Putin. Herrschende Eliten wollten das deutsche Volk durch Einwanderer austauschen. Die Regierung habe während der Coronapandemie gezielt Angst in der Bevölkerung geschürt, um massive Grundrechtseinschränkungen durchzusetzen. Das Coronavirus sei eine Biowaffe. Wissenschaftler übertrieben mit den Risiken des Klimawandels, um mehr Geld und Anerkennung zu erhalten.
Rund 54 Prozent der Befragten gaben an, an mindestens einer dieser Verschwörungsmythen zuzustimmen, mehr als ein Drittel (36 Prozent) glaubten schon an zwei. Spitzenreiter bei den Mythen sind die angeblich mit Absicht durchgesetzten Grundrechtseinschränkungen in der Coronapandemie – 36,3 Prozent gaben an, zuzustimmen. Von einer westlichen Verschwörung gegen Russland sind 30,4 Prozent überzeugt. Am wenigsten Zuspruch fand die mutmaßliche Corona-Biowaffe mit 18,1 Prozent.
Die Unzufriedenheit spiegelt sich auch in der politischen Gesinnung wider: Politisch besonders rechts eingestellte Befragte zeigten sich demnach mit 75 Prozent entschieden unzufrieden mit der Demokratie, besonders links eingestellte Befragte nur zu 51 Prozent.
Mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland waren die Wählerinnen und Wähler der AfD mit 94 Prozent am unzufriedensten. Die Unzufriedenheit bei Wählerinnen und Wählern der Grünen war mit 21 Prozent am geringsten, gefolgt von der SPD mit 34 Prozent. Besonders viel Vertrauen schenkten die Befragten dem Bundesverfassungsgericht unter den demokratischen Institutionen, das in der Studie mit rund 71 Prozent vorn liegt.
Demokratieunzufriedenheit ist ein „Einfallstor für Populismus“
Laut Politikwissenschaftler Decker sind die Deutschen grundsätzlich „sorgenvoll und pessimistisch“, was die Zukunft angeht: 2019 blickten der Studie zufolge noch zwei Drittel (66,3 Prozent) der Befragten pessimistisch in die Zukunft, in der Befragung der aktuellen Studie waren es mehr als vier Fünftel (84 Prozent). Am meisten Sorgen machen sich die Befragten über den Klimawandel (80,1 Prozent) und Hass in der Gesellschaft (80 Prozent). Pandemien (51,8 Prozent) und Migration (44,9 Prozent) sind im Vergleich die kleineren Sorgen der Befragten.
76,1 Prozent der Befragten stimmten zudem der Aussage zu, dass die politischen Probleme heutzutage so kompliziert seien, dass sie nur sehr schwer zu durchschauen seien – das ist im Vergleich zur Studie von 2019 eine Verständnis-Verschlechterung von zwölf Prozent.
Sabine Fandrych, geschäftsführender Vorstand der FES, sagte der Agentur AFP, Demokratie sei „nicht nur eine formale Angelegenheit“, sie müsse „auch liefern“. Die Sehnsucht nach einfachen Antworten wachse: „Das ist ein Einfallstor für Populismus“.
68,2 Prozent der Befragten finden der Studie zufolge, jenseits von Wahlen gebe es für Bürgerinnen und Bürger nicht genügend Beteiligungsmöglichkeiten – ein Anstieg von sieben Prozent gegenüber 2019. Besonders den unter 35-Jährigen reichen die Beteiligungsmöglichkeiten demnach nicht aus. (mit AFP)