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Studie zur AfD-Programmatik„Die AfD ist fremd im christlichen Abendland“

Lesezeit 5 Minuten
Szene vom Christopher Street Day 2023 in Köln

Szene vom Christopher Street Day 2023 in Köln

Eine neue Studie zur Programmatik der AfD hat Nähe und Distanz zu kirchlichen Positionen untersucht.

Frau Heimbach-Steins, ist die AfD die Heimatpartei des „christlichen Abendlands“?

Marianne Heimbach-Steins: Das war die AfD nie, und ist es inzwischen nicht mal mehr im eigenen Selbstverständnis. Die AfD ist fremd im christlichen Abendland. Ihre programmatischen Bezüge auf das Christentum nehmen mehr und mehr ab. Das Christliche ist aus den Programmschriften so gut wie verschwunden. Wenn die AfD heute von Identität oder Leitkultur spricht, dann ausschließlich von einer „deutschen“. Identitätspolitisch treten bestimmte Epochen der deutschen Geschichte wie das Kaiserreich im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert nach vorn.

Warum ist das so?

Das fügt sich ein in eine zunehmende Radikalisierung der Partei und eine Programmatik, die ein extremes politisches Spektrum bedienen will. Da geht mit dem Christlichen nicht gut zusammen.

Die Sozialethikerin Marianne Heimbach-Steins, Universität Münster

Die Sozialethikerin Marianne Heimbach-Steins, Universität Münster

Aber Sie schreiben in Ihrer Studie zur AfD-Programmatik von „Vereinnahmungsversuchen“ der christlichen Tradition.

Tatsächlich gibt es sie nach wie vor, aber mit einer ganz bestimmten Stoßrichtung: nämlich gegen den Islam gerichtet, worunter immer der politische Islam verstanden wird. Um dem Islam als Religion und Muslimen eine gleichberechtigte Zugehörigkeit in Deutschland zu verwehren, werden dann schon einmal sehr pauschal „christliche Werte“ bemüht.

Die christlichen Kirchen wiederum hätte die AfD, wenn man ihre Funktionäre hört, am liebsten unpolitisch.

Das ist genau der Punkt. Die Partei versucht, aus tatsächlichen oder vermeintlichen Schnittmengen etwa zur katholischen Kirche Kapital zu schlagen. Als kritisches Gegenüber ist Kirche nicht genehm.

Sie haben sich ausschließlich Programmschriften angeschaut. Da stehen keine Neonazi-Parolen drin, die SS wird nicht verharmlost, und die Nazi-Zeit ist auch kein „Fliegenschiss“ der deutschen Geschichte. Ist also das Agieren der Partei mit dem Blick in Papiere zutreffend erfasst?

Die ganz harten Sprüche fehlen, das ist schon richtig. Aber ein Wort wie die „Remigration“ von Ausländern steht durchaus in den neueren Programmen. Alles, was dort geschrieben steht, kann die Partei eben nicht mehr als verbale Ausrutscher Einzelner oder als böswillige Missverständnisse abtun. Und wir können auch das fortschreitende Abdriften an den rechten Rand anhand der Texte nachweisen.

Ist der „Unvereinbarkeitsbeschluss“, den die katholischen Bischöfe im Frühjahr gefasst haben, aus Ihrer Sicht durch die AfD-Programmatik gedeckt?

Durchaus, auch wenn es einzelne Überschneidungen gibt.

Wie ist das möglich? Was „unvereinbar“ ist, kann doch keine Schnittmengen haben.

Ich mache das an dem Bereich deutlich, in dem am häufigsten „Berührungspunkte“ angenommen werden: dem angeblich gemeinsamen konservativen Familienbild auf Basis der Ehe von Mann und Frau. In Wahrheit stellt die AfD dieses Bild in einen bevölkerungspolitischen Rahmen: Zum Erhalt des Staatsvolks sollen „deutsche“ Männer und Frauen hinreichend viele „deutsche“ Kinder bekommen. Familienförderung wird diesem Ziel untergeordnet und entsprechend selektiv konzipiert. Das verträgt sich nicht mit der katholischen Soziallehre und dem katholischen Verständnis von Familie. Das heißt: Man muss sehr genau auf diese Rahmungen schauen, um Aussagen über eine Vereinbarkeit einzelner Positionen treffen zu können.

Aber ist die katholische Kirche selbst hinreichend diskriminierungs-sensibel? Die Abwertung von Homosexualität etwa reicht bis in Texte des Vatikans, des höchsten kirchlichen Lehramts.

Das stimmt. Und tatsächlich ist der Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt der einzige Bereich, in dem es programmatisch keine hinreichend klare Differenz zwischen der offiziellen katholischen Lehre und der AfD gibt und der Unvereinbarkeitsbeschluss der Bischöfe nicht gedeckt ist. Das ist eine empfindliche Schwachstelle, die ich für höchst problematisch halte. Rom ist hier längst noch nicht da, wo wir als Kirche sein müssten. In allen anderen Fragen ist die Trennlinie klar.

Ein Mann wie der Kölner Kardinal Rainer Woelki wird mit seiner Ablehnung von Kirchenreformen etwa im Bereich der Sexualmoral am rechten Rand der Kirche gefeiert, galt denselben Kreisen aber wegen seines Einsatzes für Flüchtlinge geradezu als Feindbild. Wie geht das zusammen?

Das Engagement für bestimmte verletzliche Gruppen wie geflüchteter Menschen bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung von Diskriminierung anderer Gruppen, die mit ihrer Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung nicht dem katholischen Leitbild entsprechen, ist eine sehr irritierende Spaltung. Das muss man auch deutlich benennen.

Was sind dann die Folgerungen aus Ihrer Studie?

Die Kirche sollte rechtspopulistischen und menschenfeindlichen Positionen der AfD auch nicht das kleinste Einfallstor öffnen. Dass es solche Stellen gibt, haben wir in unserer Studie markiert. Wir können nicht so tun, als wäre die Kirche da in allem immun. Kritik ist hier umso wichtiger, als die katholische Soziallehre in den meisten sozialen Fragen klare, gut fundierte Gegenpositionen bietet. Ich denke insbesondere an alles, was die soziale Gerechtigkeit betrifft. Die AfD versteht darunter einzig und allein Leistungsgerechtigkeit. Das greift viel zu kurz, untergräbt den Sozialstaat und geht letztlich gegen die schwächeren Mitglieder der Gesellschaft. Und das sagt die katholische Soziallehre von jeher in aller Entschiedenheit.

Sie empfehlen in Ihrer Studie auch einen anderen Kommunikationsstil im Kontrast zu „populistischen Agitationsformen“. Was stellen Sie sich unter einer solchen Kommunikation vor?

Durch Gespräch und Dialogangebote wird man Menschen, die in rechtsextremer Ideologie verhärtet sind, nicht mehr beweglich machen. Ich denke an Menschen, die aus Sorge oder Angst heraus zu einer Partei wie der AfD tendieren. Denen müssen wir deutlich machen, warum die Programmatik dieser Partei problematisch ist. Um das Beispiel von vorhin zu nehmen: Wenn jemand die AfD für die letzte Hüterin des „christlichen Familienbilds“ hält, dann sollte man deutlich machen, warum das nicht stimmt und was er oder sie sich durch die Unterstützung dieser Partei „einkauft“. Das alles aber sachlich, auch mit Bezug auf eigene Erfahrungen, respektvoll, ohne Beschimpfung, Diffamierung oder Fäkalsprache. Also: Ablehnung in der Sache ja, Abwertung der Person nein.


Marianne Heimbach-Steins, geb. 1959, ist Professorin für Christliche Sozialwissenschaften an der Universität Münster. Mit ihrem Wiener Kollegen Alexander Filipovic hat sie in einer Studie – nach 2017 erneut – die Programmatik der AfD mit Positionen der katholischen Kirche verglichen.