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Syrien im Würgegriff einer FamilieDer Assad-Clan und seine Schreckensherrschaft

Lesezeit 9 Minuten
Eine „schrecklich nette“ Familie: Die Assads Anfang der 90er-Jahre. Im Hintergrund (v. l.): Mahir, Bashar, Basil, Majed und Bushra, die Kinder von Hafez al-Assad und seiner Frau Anisa (vorn l.). //

Eine „schrecklich nette“ Familie: Die Assads Anfang der 90er-Jahre. Im Hintergrund (v. l.): Mahir, Bashar, Basil, Majed und Bushra, die Kinder von Hafez al-Assad und seiner Frau Anisa (vorn l.).

54 Jahre herrschten die Assads über Syrien – ein verzweigter Familienclan, der gegen das eigene Volk Krieg führte.

54 Jahre lang, die längste Zeit seiner Geschichte als unabhängiges Land also, herrschte in Syrien der Assad-Clan. Die Herrschaft der Assads glich dabei der fiktiven „Corleone-Verbrecherfamilie“ aus Mafia-Filmen, wie die „New York Times“ schreibt, „mit geheimen Polizeinetzwerken ‒ ein rücksichtsloser Clan von Brüdern und Cousins, die das politische System, das Militär, die Wirtschaft und sogar den Export illegaler Drogen dominierten“.

In den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte Syrien den Ruf des instabilsten Landes des Nahen Ostens: Allein seit dem Ende der französischen Kolonialherrschaft 1946 bis 1970 erlebte es acht Staatsstreiche. Zumindest das endete, als 1970 der in der Sowjetunion ausgebildete Luftwaffenoffizier Hafez al-Assad die Macht an sich riss und das Land in eine säkuläre Einparteien-Diktatur verwandelte.

Sozialist und „arabischer Patriot“

Assad gehörte der religiösen Minderheit der Alawiten an, zu der sich etwa 10 bis 13 Prozent der syrischen Bevölkerung zählen, einer Abspaltung vom schiitischen Islam mit kaum streng religiösen Glaubensregeln und vielen Einflüssen anderer Religionen. Mehr als 75 Prozent der Menschen bekennen sich zum sunnitischen Islam, maximal 8 Prozent sind Christen.

Assad war ein Parteigänger der damals auch in anderen arabischen Ländern sehr populären Baath-Partei, die für einen Zusammenschluss der arabischen Staaten und für sozialistische Ideale stritt. „Vor allem die Armee, aber dann auch die Baath-Bewegung wurde damals zunehmend von syrischen Alawiten dominiert“, so der Nahost-Experte Udo Steinbach zum RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Als Sozialist und „arabischer Patriot“, heute würde man Nationalist sagen, ließ sich der damals 40-jährige Assad also genau von den beiden ideologischen Beigaben leiten, die dem Zeitgeist entsprachen.

Seinen äußeren Hauptfeind sah der junge Militärpilot natürlich in Israel. Die schwere Niederlage im Sechstagekrieg 1967 hatte die arabische Welt erschüttert. Als inneren Feind machte er vor allem die Muslimbrüder aus, die ‒ anders als zum Beispiel die eher marginalen syrischen Kommunisten ‒ seine Diktatur auf eine schwere Probe stellten.

Die Diktatur nahm dann auch schnell die Gestalt einer Schreckensherrschaft an, als die wir sie bis zu ihrem überraschenden Ende in unseren Tagen wahrgenommen haben.
Udo Steinbach, Leiter des MENA Study Centre

„Die Diktatur nahm dann auch schnell die Gestalt einer Schreckensherrschaft an, als die wir sie bis zu ihrem überraschenden Ende in unseren Tagen wahrgenommen haben“, sagt Steinbach, Leiter des MENA Study Centre bei der Berliner Maecenata Stiftung. „Tiefpunkt war dann das Massaker an der eigenen Bevölkerung 1982 in der Stadt Hama“, so der Experte.

Was war geschehen? Repressionen, Korruption und Vetternwirtschaft nährten den Unmut im Land, es kam zu Anschlägen auf Vertreter des Regimes, für die vor allem die radikal-islamischen Muslimbrüder verantwortlich gemacht wurden, die Vorläufer heutiger Islamisten.

Das Regime schlug Anfang 1982 brutal zurück. Mutmaßlich unter dem Kommando von Rifaat al-Assad, dem Bruder von Hafis al-Assad, griff die syrische Armee in der Nacht zum 2. Februar 1982 im Rahmen einer militärischen Großoperation mit Artillerie und Luftwaffe die Stadt Hama an, die als Hochburg der Muslimbruderschaft galt. Der Krieg gegen die eigene Bevölkerung dauerte 27 Tage, die Angaben über Opfer schwanken zwischen 10.000 und 40.000 ermordeten Menschen.

Rifaat al-Assad: Der „Schlächter von Hama“

Fortan hatte Rifaat al-Assad den Beinamen „Schlächter von Hama“. Er überwarf sich mit seinem Bruder und wollte ihn 1984 sogar wegputschen. Er siedelte dann nach Europa über und wurde in Frankreich und Spanien ein erfolgreicher Geschäftsmann mit einem beeindruckenden Immobilienportfolio. Erst im März 2024 wurde der heute 87-Jährige von der Schweizer Bundesanwaltschaft wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, ein Urteil steht noch aus.

Innenpolitisch ging Hafiz al-Assad also selbst für nahöstliche Verhältnisse unglaublich brutal vor, außenpolitisch dagegen schaffte er es, Syrien als unverzichtbare Regionalmacht zu positionieren. Der selbst ernannte Vorkämpfer für die arabische Einheit überwarf sich zunächst mit fast allen arabischen Verbündeten: mit Ägypten, dem wichtigsten Alliierten in den beiden Kriegen von 1967 und 1973, das sich Israel in Friedensverträgen annäherte; mit Jordanien, mit dem es sogar zu einem Konflikt kam; und mit dem Irak, obwohl dort mit Saddam Hussein ein ideologischer Bruder (Baath-Partei) ähnlich grausam herrschte.

Aufrüstung durch die Sowjetunion

Hafiz al-Assad setzte vor allem auf die Sowjetunion, die ihn ungehemmt aufrüstete. „Das ist der Beginn einer langen Waffenbrüderschaft, auch wenn er sich dem Kreml ideologisch nie unterwarf“, betont Steinbach. Zum vorerst zweitwichtigsten Verbündeten stieg nach der sogenannten Islamischen Revolution von 1979 das dem säkulären Assad-Regime eigentlich völlig wesensfremde Mullah-Regime in Teheran auf, welches er auch im Krieg gegen den Irak (1980 bis 1988) militärisch unterstützte.

Mit Amerika stimmt sich Damaskus stets ab, verbündete sich mit ihm sogar militärisch, als eine Washingtoner Koalition im Zweiten Golfkrieg 1990/91 Iraks Invasion in Kuwait stoppte. Und selbst mit dem erklärten Hauptfeind Israel arrangierte sich Hafiz al-Assad stets ‒ die bitteren militärischen Niederlagen von 1967 und 1973 vor Augen. So überstand sein brutales Regime geradezu gestärkt und stabilisiert die turbulenten 90er-Jahre mit der globalen Demokratisierungswelle.

Als umsichtiger Clan-Chef baute Hafiz al-Assad, Vater von fünf Kindern, seinen ältesten, 1962 geborenen Sohn Basil el-Assad zum „Thronfolger“ auf. Schon früh erschien dieser als Chef des präsidialen Sicherheitsapparates in Uniform, läutete propagandistische „Antikorruptionskampagnen“ ein, tauchte immer häufiger in den Staatsmedien auf. Doch zur geregelten Machtübergabe sollte es nie kommen, denn Basil al-Assad starb unerwartet ‒ und Deutschland spielte dabei eher beiläufig eine Rolle.

Ein tödlicher Autounfall ändert alles

In den frühen Morgenstunden des 21. Januar 1994 raste ein Mercedes bei Nebel mit fast 130 Stundenkilometern über die Zubringerstraße von Damaskus zum 30 Kilometer außerhalb der Stadt gelegenen Airport. Am Steuer saß der 31-jährige Basil, neben ihm sein Cousin Hafis Machluf. Der Chauffeur wurde auf den Rücksitz verbannt, denn die beiden aus dem Assad-Clan wollten unbedingt den Flieger nach Deutschland erreichen, der demnächst abhob.

Da passierte es: Basil el-Assad hatte im Nebel die letzte Ausfahrt zum Airport übersehen, raste weiter auf der nicht fertiggestellten Autobahn, die an einer Betonsperre endete. Das Fahrzeug überschlug sich mehrfach, als Einziger im Fahrzeug war Basil sofort tot.

Assads zweitältester Sohn Bashar rückte ins Zentrum

Damit rückte plötzlich Assads zweitältester Sohn Bashar ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Dem war nach seiner Schulausbildung an einem französischen Elitegymnasium in Damaskus vergönnt gewesen, in London das Studium seiner Wahl zu beginnen: Augenheilkunde. Bashar galt als liberaler, unpolitischer Freigeist, als ihn 1994 die Nachricht vom Tod seines Bruders ereilte – verbunden mit der Erwartung, seine privaten Ambitionen hätten fortan in den Hintergrund zu treten. Vor allem Anisa al-Assad, seine Mutter, soll bei der Reorganisation der „Dynastie“ maßgeblich die Fäden gezogen haben.

Was Bashar al-Assad nicht ahnen konnte: Ihm verblieben lediglich sechs Jahre Zeit, um sich auf die Übernahme der Macht vorzubereiten, denn bereits am 10. Juni 2000 starb Hafiz al-Assad an einem Herzinfarkt während eines Telefonats mit dem libanesischen Ministerpräsidenten Selim al-Hoss. Zahlreiche Politiker aus dem Ausland waren zur Trauerfeier angereist, darunter die US-Außenministerin Madeleine Albright.

Zu diesem Zeitpunkt war Bashar erst 34 Jahre ‒ weswegen die syrische Verfassung, die ein Mindestalter von 40 Jahren für das Präsidentenamt vorsah, umgehend geändert werden musste. „Gewählt“ wurde er mit 97 Prozent ‒ das war nur etwas weniger als die 99 Prozent, die sein Vater üblicherweise auf sich verbuchte.

Kann ein Arzt das System heilen?

Für die Welt galt Bashar als Hoffnungsträger. Ein im Westen studierter, vor allem auch sozialisierter Arzt als Präsident ‒ könnte der nicht auch Syrien heilen? „Man hatte damals tatsächlich das Gefühl, der könne das System liberalisieren“, erinnert sich der Nahostexperte Steinbach.

Bashar al-Assad 2005

Bashar al-Assad 2005

Noch größere Hoffnungen verbanden sich mit seiner in London geborenen Freundin Asma, Tochter eines syrischen Herzchirurgen, die Bashar im Dezember 2000 heiratete ‒ kurz nach dessen Regierungsantritt. Die attraktive, weltoffene First Lady, die nach ihrem Studium auch vorübergehend bei der Deutschen Bank gearbeitet hatte und ihren britischen Pass nie aufgab, trat deutlicher als ihre Schwiegermutter öffentlich in Erscheinung. Offenbar nicht der einzige Konfliktpunkt zwischen den Frauen.

Doch Bashar enttäuschte alle Hoffenden bereits in den ersten, noch friedlichen Jahren seiner Herrschaft. „Die inneren Kräfte des Systems haben Bashar zurück auf Kurs gebracht“, ist Steinbach überzeugt. Sein familiäres Umfeld, vor allem seine Mutter Anisa, erwirkten eine Kontinuität des übernommenen Assad-Apparats inklusive Ausbau des Clansystems.

Bashars jüngster Bruder Mahir (geboren 1967), für seinen Jähzorn berüchtigt, übernahm die Leitung der gefürchteten Republikanischen Garde sowie der ähnlich verrufenen Elitetruppe Vierte Division.

Mahir al-Assad galt zudem auch als Schlüsselfigur für die enge Bindung des syrischen Regimes zum Iran, er soll außerdem in die Herstellung und den Schmuggel von Drogen wie Captagon verwickelt sein, was dem notorisch klammen Regime jährlich Milliarden an Devisen in die Kassen spülte.

Außenpolitisch war das Land nach dem Ende des libanesischen Bürgerkriegs 1990 zum heimlichen Herrscher in dem Nachbarland aufgestiegen. Im Verbund mit dem Iran wurde die schiitische, radikal-islamische Hisbollah als Strippenzieher etabliert. In einer vom UN-Sicherheitsrat angeordneten Untersuchung des tödlichen Attentats auf den libanesischen Regierungschef Rafiq al-Hariri 2005 wurde Mahir al-Assad im Zwischenbericht des deutschen Sonderermittlers Detlev Mehlis als Hauptverdächtiger aufgeführt.

Ausbruch des Bürgerkriegs

Der Ausbruch des Syrischen Bürgerkriegs im März 2011 als Folge des Arabischen Frühlings zeigte dann, zu welcher Brutalität das Assad-Regime fähig war. Schätzungsweise eine halbe Million Menschen verlor seitdem ihr Leben, rund 13 Millionen Syrer mussten ihre Heimat verlassen. Bei Ghuta, östlich von Damaskus, soll es Ende August 2013 zu einer ganzen Reihe von Giftgasangriffen auf von Rebellen gehaltene und umstrittene Gebiete gekommen sein. Eine UN-Untersuchung vor Ort wies den Einsatz des chemischen Kampfstoffs Sarin in hoch konzentrierter Form nach.

Präsidentenbruder Mahir al-Assad wird von Beobachtern eine zentrale Rolle beim militärischen Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung zugeschrieben. Im Juni 2011 tauchte ein Video auf, in dem er persönlich auf Demonstranten schießt. Bei einem Attentat gegen das Regime im Jahr 2012 soll der faktisch mächtigste Mann Syriens ein Bein und Teile einer Hand verloren haben.

Assads sind zu Gejagten im eigenen Land geworden

Auch Bushra, „Clan-Begründer“ Hafiz al-Assads „Erstgeborene“ und damit Bashar al-Assads ältere Schwester, soll ähnlich ihrer Mutter eine ausgesprochene Hardlinerin sein. Sie ist die Witwe des beim oben genannten Anschlag 2012 getöteten früheren Militärgeheimdienst-Chefs Assif Schaukat, Bashar al-Assads Schwager.

De facto über Nacht sind die Assads zu Gejagten im eigenen Land geworden. Wie einst Gaddafis Sippe in Libyen müssen sie nun um ihr Leben fürchten. „Sie führten es wie die Mafia, als wäre es ein privates Anwesen, das ganze Land war ihr Hinterhof, der von ihrem Vater geerbt wurde“, sagte Ayman Abdel Nour der „New York Times“, ein ehemaliger College-Freund von Präsident Bashar al-Assad, der sich der Opposition anschloss.

Viele aus dem Assad-Umfeld sollen sich bereits vor dem Sturz ins Ausland abgesetzt haben: Die ehemalige First Lady Anisa, die heute 80-jährige Mutter Bashar al-Assads, soll gerüchteweise seit Jahren im Exil in Dubai leben. Zusammen mit der Familie ihrer Tochter Bushra.

Unmittelbar vor dem Sturz des Assad-Regimes setzte sich Asma al-Assad mit ihren drei Söhnen Hafiz, Zein und Karim nach Moskau ab, wo inzwischen auch ihr Mann eintraf.