Nach dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien setzen die Behörden die Entscheidungen über Asylanträge von Syrerinnen und Syrern aus.
Asylanträge auf Eis gelegtWas nach dem Sturz des Assad-Regimes mit syrischen Geflüchteten passiert
Als Erstes war da die Freude. Tausende Syrerinnen und Syrer kamen nach dem Sturz des syrischen Diktators Baschar al-Assad in mehreren Städten Deutschlands zu spontanen Demonstrationen und Autokorsos zusammen. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von einer „guten Nachricht“ und verwies auf die vielen Opfer des Regimes, das seine Gegner brutal verfolgt hatte.
Und eine Behörde zog wenige Stunden später eine ganz praktische Konsequenz: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) stoppte die Entscheidungen über die über 47.000 Asylanträge von Syrerinnen und Syrern.
Die Lage vor Ort sei unübersichtlich, erklärte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Konkrete Rückkehrmöglichkeiten seien nicht vorhersehbar, der Schutzstatus der Betroffenen derzeit also nicht feststellbar. Eine Ministeriumssprecherin ergänzte, die entsprechenden Anträge würden „im Stapel nach unten sortiert und andere Asylentscheidungen vorgezogen“.
Spahns 1000-Euro-Vorschlag für Syrer
Unions-Fraktionsvize Jens Spahn preschte mit einem weiteren Vorschlag vor: „Wie wäre es, wenn die Bundesregierung sagt: Jeder, der zurück will nach Syrien, für den chartern wir Maschinen, der bekommt ein Startgeld von 1000 Euro“, sagte er dem TV-Sender RTL/ntv. Dies entspricht der Summe, auf die sich die beteiligten Bundesländer im Sommer als Handgeld für abgeschobene Afghanen geeinigt hatten.
Spahn bremste allerdings Erwartungen auf eine rasche Ausreise von Syrern. „Wenn sich im Heimatland die Dinge normalisieren, stabilisieren, wenn es dort Perspektive gibt, dann gibt es die Erwartung, auch zurückzukehren. Aber das wird man sicherlich erst in einigen Tagen und Wochen beurteilen können.“
In Deutschland leben nach Angaben des Bundesinnenministeriums knapp eine Million Syrerinnen und Syrer. Gut 5000 davon sind anerkannte Asylberechtigte, die meisten anderen sind mit unterschiedlichem Schutzstatus registriert. Seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien 2011 sind mehrere 100.000 Menschen aus dem Land nach Deutschland gekommen. Die meisten Flüchtlinge nahmen Nachbarländer auf, darunter die Türkei mit über drei Millionen Menschen sowie Libanon und Jordanien.
Wohin Syrerinnen und Syrer flüchteten
Insgesamt haben laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR rund fünf Millionen Syrerinnen und Syrer in anderen Ländern Zuflucht gesucht, 1,6 Millionen davon in EU-Ländern. In Deutschland ist Syrien eines der Hauptherkunftsländer von Geflüchteten. Besonders viele Geflüchtete kamen 2015 – neben einer Welle von Mitgefühl lösten sie auch offenen Ausländerhass und eine Debatte über die Aufnahmefähigkeit des Staates aus. Seitdem hat die EU ihre Asylregeln deutlich verschärft, zuletzt vor wenigen Monaten. Als Profiteur der Migrationsdebatte gilt die in Teilen rechtsextreme AfD.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Michael Roth (SPD), warnte davor, die Debatte für den Bundestagswahlkampf zu instrumentalisieren. „Wir sollten das jetzt nicht weiter populistisch aufheizen“, sagte er im ZDF. Viele Syrerinnen und Syrer würden wohl freiwillig zurückkehren, wenn der Asylgrund entfalle und es ein Minimum an Stabilität und Befriedung in ihrem Heimatland gebe. Mitunter würden aber Diktatoren durch neue Diktatoren ersetzt. An der Spitze der Aufständischen stünden islamistische Gruppen. „Denen traue ich nicht über den Weg“, sagte Roth. Sie gäben sich derzeit moderat, fraglich sei, ob das so bleibe.
Linken-Chef van Aken: „Verkommene Drecksäcke“
Schärfer wurde Linken-Chef Jan van Aken: „Alle, die jetzt anfangen, über Abschiebungen nach Syrien zu reden, sind einfach nur, und entschuldigen Sie die Wortwahl, das sind einfach nur verkommene Drecksäcke.“
Für den deutschen Arbeitsmarkt wäre die Heimkehr syrischer Geflüchteter nach Einschätzung von Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) verkraftbar. Sie machten 0,6 Prozent der Beschäftigten in Deutschland aus. Jobs gefunden hätten sie vor allem im Bereich Verkehr, Logistik und Sicherheit. 51,9 Prozent der männlichen und 18,9 Prozent der weiblichen Geflüchteten hätten einen Job gefunden, die meisten davon seien sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Prekäre humanitäre Lage in Syrien
Wie sich die Lage in Syrien entwickeln wird, blieb kurz nach dem Sturz Assads und dessen Flucht nach Russland zunächst weiter unklar. Die führende aufständische Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) teilte über soziale Medien mit, sie wolle eine neue Regierung gründen. Deren Struktur ist aber weiter unklar.
Offen ist auch, ob und wie die verschiedenen Rebellengruppen des Landes sowie die unterschiedlichen Konfessionen einbezogen werden. Die HTS hat ihren Ursprung im Islamismus, bemüht sich aber derzeit um einen gemäßigten Auftritt. Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes hat sich die humanitäre Lage in dem Land seit einigen Wochen weiter verschlechtert. Rund 16 Millionen Menschen seien auf Hilfe angewiesen – fast drei Viertel der Bevölkerung. Die Kurdische Gemeinde Deutschland (KGD) warnte vor der Ausbreitung islamistischer Gruppen.
Ein Sprecher der EU-Kommission in Brüssel sagte, die Bedingungen für eine sichere und würdevolle Rückkehr nach Syrien seien nach derzeitiger Einschätzung momentan nicht gegeben. (mit dpa/epd)