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„Das sind keine Engel“Wie soll Europa mit den neuen Machthabern in Syrien umgehen?

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Syrische Bürger stehen auf einem Panzer der Regierungstruppen, und feiern die Übernahme der Stadt durch die Aufständischen.

Syrische Bürger stehen auf einem Panzer der Regierungstruppen, und feiern die Übernahme der Stadt durch die Aufständischen.

Die EU-Außenminister haben am Montag beraten, wie Europa auf die neuen Verhältnisse in Damaskus reagieren soll. Kann die EU zum Partner werden?

Bereits in den ersten Tagen ihrer Amtszeit muss die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas ihre Komfortzone verlassen. Russlands Krieg gegen die Ukraine wird vom Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad vor acht Tagen überlagert und bestimmte auch die Agenda des EU-Außenministertreffens am Montag in Brüssel. „Syrien sieht einer hoffnungsvollen, aber unsicheren Zukunft entgegen“, sagte Kallas, die gerade erst von einem Syrien-Krisengipfel aus Jordanien zurückgekehrt ist. Dort hatte sie mit arabischen und internationalen Diplomaten über Wege zu einem friedlichen Übergang in dem Bürgerkriegsland beraten. Die EU wolle ein stabiles und friedliches Syrien mit einer inklusiven Regierung. Man sei bereit, sich stärker in Syrien zu engagieren und beim Wiederaufbau zu helfen, so Kallas.

Die islamistische Gruppe Haiat Tahrir al-Sham (HTS), die das autoritäre Assad-Regime gestürzt hat, ist in der EU allerdings als Terrororganisation gelistet. Daher gelten Reisebeschränkungen und Vermögen in der EU wurden eingefroren. In Brüssel laufen nun Gespräche über die künftigen Beziehungen der EU zu Syrien und der HTS-Miliz. „Unser Top-Diplomat in Syrien wird heute nach Damaskus reisen, um dort Kontakte mit der neuen Regierung und den Verantwortlichen aufzunehmen“, kündigte Kallas am Montag an. Dabei handelt es sich um den Deutschen Michael Ohnmacht, der bereits seit Herbst die EU-Syrien-Delegation leitet und zuvor deutscher Botschafter in Libyen war.

Wir dürfen nicht vergessen: Das sind frühere Terroristen, die sich von Al-Kaida abgespalten haben. Das sind keine Engel.
Xavier Bettel, Außenminister von Luxemburg

EU-Diplomaten verglichen die Situation mit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan vor drei Jahren. „Wir reden auch mit den Taliban, aber wir haben sie nie als Regierung anerkannt“, sagte ein hochrangiger EU-Diplomat. Er verwies darauf, dass es verschiedene Ebenen diplomatischer Beziehungen gebe. Zunächst gehe es nicht um eine Anerkennung der HTS-Gruppe, sondern um Gespräche auf Arbeitsebene. Einige EU-Staaten planen bereits die Wiedereröffnung ihrer Botschaften in Damaskus. Die Bundesregierung hat noch keine entsprechenden Pläne, hat aber Staatsminister Tobias Lindner zum Sonderkoordinator für Syrien ernannt. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte zudem vergangene Woche einen Acht-Punkte-Plan für eine demokratische und friedliche Entwicklung Syriens vorgelegt, der unter anderem die Aufhebung relevanter Sanktionen vorsieht.

Wie weiter mit den Syrien-Sanktionen?

Die EU hatte seit 2011 als Reaktion auf das gewaltsame Vorgehen des Assad-Regimes gegen die Zivilbevölkerung immer wieder scharfe Sanktionen verhängt. Im Visier waren zahlreiche Organisationen, aber auch Wirtschaftszweige, von denen das Regime profitiert. In Brüssel will man nun genau beobachten, wie sich die neuen Machthaber in Damaskus verhalten und dann entscheiden, ob man die Sanktionen schrittweise zurücknimmt. „Das sind keine Engel“, sagte Luxemburgs Außenminister Xavier Bettel über die HTS-Miliz. „Wir dürfen nicht vergessen: Das sind frühere Terroristen, die sich von Al-Kaida abgespalten haben“, mahnte er. Zwar hat die HTS in den letzten Jahren ihre Rhetorik gemildert und ihr Anführer Muhammad al-Dscholani öffentlichkeitswirksam einen Imagewandel zum Staatsmann inszeniert. Doch Misstrauen und Skepsis gegenüber den mutmaßlich gemäßigten Islamisten sind geblieben.

Wie Bettel hält es auch der niederländische Außenminister Caspar Veldkamp für verfrüht, die Sanktionen aufzuheben. „Wir müssen erst sehen, dass die Rechte von Minderheiten, darunter Christen und Kurden, gewahrt werden.“ Außerdem müsse man beobachten, welche Rolle Russland und die russischen Militärbasen in Syrien künftig spielen werden. „Wir wollen die Russen dort raus haben“, stellte Veldkamp klar.

Russlands Einfluss in Syrien schwindet nach Assads Sturz

Der russische Einfluss in Syrien bereitet den Europäern schon lange Sorgen. Unter Diktator Assad hatte das russische Militär einen Hafen in Tartus am Mittelmeer und eine Luftwaffenbasis in Hmeimim betrieben. Die Basis südlich der Küstenstadt Latakia gilt als gut gesichert. Russischen Staatsmedien zufolge reicht das dortige Luftabwehrsystem bis zu 250 Kilometer weit. Nun ist der Stützpunkt zwar abgeschnitten, aber die HTS-Miliz hat laut russischen Staatsmedien dem Kreml die Sicherheit ihrer Stützpunkte garantiert. Der Kreml hatte das Assad-Regime in der Vergangenheit immer wieder über den Seeweg mit Waffen versorgt und sich an Militäreinsätzen im Bürgerkrieg beteiligt. „Wir werden den neuen Machthabern klarmachen, wie gefährlich die russischen Stützpunkte auf ihrem Territorium für ihre Souveränität, ihre Unabhängigkeit und ihren Frieden sind“, sagte ein hochrangiger Diplomat.

Der Hafen ist von strategischer Bedeutung für die russischen Aktivitäten im Mittelmeer und in Afrika. Von hier aus versorgt Russland seine U-Boote, startet militärische Aufklärungsmissionen im Nahen Osten und bringt seinen Anspruch auf eine geopolitische Rolle in der Region zum Ausdruck. Was mit den Stützpunkten geschehen soll, hat die HTS-Miliz bisher nicht öffentlich erklärt. Die russischen Kriegsschiffe haben den Hafen aber vorsorglich bereits verlassen.

Die EU-Außenbeauftragte Kallas hofft, dass der Sturz Assads in Syrien auch anderen Freunden Russlands eine Lehre sein wird: „Russland und der Iran sind keine Freunde und helfen einem nicht, wenn man in Not ist“, sagte sie. „Sie haben das Assad-Regime im Stich gelassen.“ Die HTS-Miliz will das Land bis März regieren. Wie es danach weitergeht, ist völlig offen. Was in Brüssel bleibt, ist die Hoffnung auf einen friedlichen Übergang in Richtung Demokratie und Freiheit in Syrien. Dann könnte die EU sogar zum Partner werden.