Immer mehr Frauen werden von ihren Partnern oder Ex-Partnern misshandelt. Die entsetzlichen Zahlen sind ein Beleg für die gesellschaftliche Verrohung.
Täglich 432 Fälle in DeutschlandGewalt in der Familie wird immer noch tabuisiert und verharmlost
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, jedenfalls nicht direkt: Während die regierenden Parteien im Bund an der Kindergrundsicherung oder am Elterngeld herumfräsen, werden Zahlen bundesweit explodierender Gewalt in Familien gemeldet.
Laut Bundeskriminalamt sind die meisten Opfer Frauen, die Täter meistens Männer. 157.550 Fälle von Gewalt in Partnerschaften wurden den Behörden 2022 gemeldet – das entspricht 432 Fällen täglich. Es sind entsetzliche Zahlen, die als weiterer Beleg für die Verrohung einer Gesellschaft gelten können. Fakt ist auch: Die Verbreitung von Partnerschaftsgewalt wird in unserer Gesellschaft immer noch tabuisiert, mit Klischees behaftet und unterschätzt.
In den letzten Jahren wurden die zunehmenden Fälle von Gewalt in den eigenen vier Wänden oder gegen Frauen häufig mit der Stresssituation durch die Pandemie begründet. Und nun? Der Anstieg gegenüber 2021 beträgt fast 10 Prozent. Fälle von Vergewaltigungen, sexueller Nötigung und sexuellen Übergriffen stiegen zahlenmäßig sogar um 20 Prozent.
Frauen und Kinder in Angst
Die hoffnungsvollste Erklärung wäre noch, dass sich mehr Frauen wehren, indem sie ihre Peiniger bei den Behörden anzeigen. Tatsächlich können entsprechende Kampagnen und schnelles Handeln durch Polizei oder Staatsanwaltschaften dazu beitragen, dass sich mehr Opfer eine Anzeige trauen. Doch entspricht das der erlebten Realität?
Nicht häufig jedenfalls. Ehe Männer sich für Ohrfeigen, Faustschläge, gewaltsamen Sex oder andere Taten gegen Frauen verantworten müssen, vergehen in der Praxis Wochen und Monate. Wenn überhaupt etwas passiert. Wenn in diesen Fällen jemand Stress hat, dann sind es die Frauen, die sich nicht mehr alles gefallen lassen wollen. Sie und meistens ihre Kinder leben fortan in Angst, dass es beim nächsten Mal noch böser ausgeht.
Das alles hat auch viel mit uns zu tun, den Verwandten, den Freunden, den Nachbarn. Viele verstehen häusliche Gewalt nach wie vor als Privatangelegenheit, häufig wird dazu noch dem Opfer die Schuld an der Attacke ihre Partners in die Schuhe geschoben. Nicht wenigen Familien ist das Ansehen ihres Verbunds wichtiger als die Sicherheit einzelner Mitglieder, in diesem Fall Frauen und Kindern. Oder sie tolerieren Gewalt in der Familie als normale Konfliktlösung – gelernt ist gelernt.
Männer stark, Frauen schwach?
Es gibt jedoch weitere Erklärungen für das Anschwellen der Zahlen. Häusliche Gewalt kann als Konsequenz der strukturellen Ungleichheiten zwischen Mann und Frau verstanden werden, meint die Menschenrechtsorganisation Terres des Femmes.
Dies ist nicht von der Hand zu weisen. In „modernen“ Gesellschaften wie der unsrigen wirken patriarchale Traditionen fort. Doch an den damit verbunden Männer- und Frauenbildern, nach denen Männer mächtig, stark und dominant zu sein haben sowie Frauen unterlegen, schwach und passiv, wird zunehmend gerüttelt.
Wo Gleichberechtigung und Vielfalt der Lebensformen ernst genommen werden, muss dieses traditionelle Rollenverhalten zwangsläufig scheitern – im besten Fall durch selbstkritische Verhaltensänderungen. Da dies jedoch der beschwerlichste Weg ist, wehren sich alte und neue Täter gewaltsam gegen erwachendes Selbstbewusstsein von Frauen im Allgemeinen und die Partnerin oder Ex-Frau im Besonderen. Selbst wenn dies erbärmlich ist, wie manche Männer im Nachhinein erkennen.
Schutzraum Familie
Wenn unsere Gesellschaft modern sein will, muss sie für Schutz vor Gewalt sorgen. Dazu zählt auch, aber nicht allein, das Vorhalten und die auskömmliche Finanzierung entsprechender Hilfestrukturen. Vor allem jedoch müssen die Behörden bei der Bekämpfung von Verbrechen – dazu zählt häusliche Gewalt nun einmal – schneller, effizienter und konsequenter handeln. Wenn der Schutzraum Familie nicht mehr funktioniert, kann auch diese Gesellschaft nicht richtig funktionieren.
Denn letztlich bleibt die Anwendung von Gewalt ungeachtet gesellschaftlich begünstigender Strukturen und/oder eigener Erfahrungen eine individuelle Entscheidung des Gewalttäters. Dafür muss er, in manchen Fällen auch sie, so zur Rechenschaft gezogen werden, dass anderen die Lust an Gewaltausübung vergeht.