„Ist eine 100-prozentige Mobilisierung“Ausmaß der Einberufungen erschüttert Russen
Einen Tag nach der Bekanntgabe der Entscheidung durch Wladimir Putin hat am Donnerstag in Russland hat die Teilmobilisierung begonnen. Der Kreml-Chef scheint es nun eilig zu haben.
Um Mitternacht zugestellte Einberufungsbescheide und eine Frist von einer Stunde nach der offiziellen Einberufung bis zum Eintreffen in den Einberufungszentren – der englische „Guardian“ berichtet von hektischen und teils dramatischen Szenen, die sich am ersten Tag der Mobilisierung Russlands abgespielt haben sollen.
Teilmobilisierung in Russland hat begonnen
Demnach soll es Anzeichen dafür geben, dass Russland weit mehr als die 300.000 neuen Wehrpflichtigen in Betracht ziehen könnte, die von Verteidigungsminister Sergej Schoigu gefordert wurden.
„Guardian“-Korrespondent Andrew Roth aus Moskau berichtet von einer Frau in einem kleinen Dorf in der Region Zakamensky in Ostsibirien. Als die Hunde gegen Mitternacht anfingen zu bellen, habe sie gespürt, dass etwas nicht stimmte. Der Dorfvorsteher sei in der 450-Seelen-Gemeinde in der Nähe der Grenze zur Mongolei von Haus zu Haus gegangen und habe mehr als 20 Bescheide verteilt.
Teilmobilisierung: Rekrutierte Männer müssen sofort abreisen
Am nächsten Morgen stand für die Männer die Abreise an, einige hätten das Ganze nur mit Wodka ertragen, so die Schilderung der Frau. In Russland mehrt sich derweil der Protest, viele Berufene möchten nicht für Russland in den Krieg ziehen und ihr Leben aufs Spiel setzen.
Immer mehr Russen fliehen aus Angst vor der angeordneten Teilmobilmachung ins Ausland. Am Freitag informierte auch die benachbarte zentralasiatische Ex-Sowjetrepublik Kasachstan über vermehrte Migration aus Russland. Die Zahlen der Einreisen mit dem Auto stiegen an verschiedenen Übergängen, teilte der Grenzschutz in der Hauptstadt Astana mit. Die Lage sei unter „besonderer Kontrolle“, hieß es.
Russen fliehen in Nachbarländer, in die sie ohne Visa kommen
Zuvor hatten etwa auch die Ex-Sowjetrepubliken Armenien und Georgien im Südkaukasus über massenhafte Einreisen gesprochen. Weil Flüge über Tage ausgebucht sind, fliehen viele Russen mit dem Auto in Länder, in denen sie kein Visum brauchen.
Hinweise darauf, dass die Angst eingezogen zu werden, durchaus berechtigt sei, gibt Alexandra Garmazhapova, Vorsitzende der Aktivistengruppe Free Buryatia Foundation. „Es ist keine teilweise Mobilisierung, es ist eine 100-prozentige Mobilisierung“, sagt sie, die selbst über die Teilmobilisierung in ihrer Region berichtet, laut „Guardian“.
Journalistin berichtet von tausenden Einberufungsbescheiden allein in ihrer Region
Innerhalb von nur 24 Stunden nach Bekanntgabe der Teilmobilisierung hätten sie bereits mehr als 3.000 Berichte über Einberufungen erhalten. Sie weist zudem auf eine Reihe von Fällen hin, in denen Männer in den Fünfzigern Einberufungsbescheide erhielten.
Yanina Nimayeva, eine Journalistin aus Ulan-Ude in Sibirien berichtetet darüber, dass ihr 38-jähriger Ehemann eingezogen wird – obwohl er keinerlei Kampferfahrungen hat, nie in der Armee diente und fünf Kinder zurücklasse. Bei 4.000 eingezogenen Soldaten allein aus ihrer Region drängt sich der Journalistin der Eindruck auf, dass ethnische Minderheiten in Russland überproportional von der Teilmobilisierung betroffen sein könnten.
Lässt Putin möglicherweise mehr als 300.000 Männer rekrutieren?
Unsicher ist derweil auch, wie viele neue Soldaten der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu rekrutiert. Zunächst war von maximal 300.000 die Rede. Die tatsächliche Zahl in einem von Putin unterzeichneten Auftrag allerdings bleibt geheim.
Die unabhängige russische Zeitung Novaya Gazeta Europe berichtete mit Verweis auf eine Quelle in der Präsidialverwaltung, dass Russland gar plane, mehr als eine Million Menschen in die Armee einzuziehen. Beweise legte das Blatt dafür allerdings nicht vor, unabhängig prüfen lassen sich die Angaben ohnehin nicht.
Videos zeigen tränenreiche Abschiede in Russland
Ein Blick in die sozialen Medien allerdings bestärkt den von Yanina Nimayeva formulierten Verdacht. Auf Twitter tauchten bereits einige Videos auf, in denen sich Einberufene von ihren Familien verabschieden. Oft stammten die Clips, deren Authentizität sich meist nicht prüfen lässt, aus russischen Republiken, in denen ethnische Minderheiten leben.
Aus Neryungri, der zweitgrößten Stadt in Jakutien, wurde ein Video geteilt, das Dutzende von Männern zeigte, die im Gornyak-Fußballstadion versammelt und in Busse verladen wurden, die zu Rekrutierungszentren fuhren, während sich Familienmitglieder unter Tränen verabschiedeten.
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In Moskau versammelten sich derweil hunderte Menschen, um in der Innenstadt zu protestieren, nachdem Putin die Mobilisierung angekündigt hatte. Berichten zufolge begannen Polizeibeamte damit, denen, die sie bei den Protesten festgenommen hatten, Einberufungsbenachrichtigungen zu übersenden.